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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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darin hatten, daß die legislativen Körperschaften die Executive usurpirter; sogleich
aber stellt sich ihm das Auftreten des Parlamentes in der irländischen Verschwö¬
rung als ein brauchbares Beispiel dar, und zwar gerade in der Gestalt, wie es
ihm paßt. Ja noch mehr, der Jurist, der Obertribunalsrath tritt mit dem Ent¬
würfe einer Habeascorpusacte vor die Kammer, der nichts weiter enthält, als
vier ans der Verfassung herausgerissene Paragraphen, voll abstracter Grundsätze,
ohne irgend eine Rücksicht auf die praktische Ausführung. Der Minister muß
ihn erst auf diese Absurdität aufmerksam machen und dann überläßt er gerne die
weitere Ausarbeitung seiner Vorlage an Simons. Nicht etwa, daß es ihm an
Kenntnissen fehlte -- im Gegentheil, er ist im Rechte und in manchen volkswirt¬
schaftlichen Verhältnissen gut bewandert, das hat er in der Vcrfassungs- und an¬
der" Commissionen zur Genüge bewiesen. Aber in der Versammlung scheint er
das Detail der gegebenen Zustände für unwesentlich zu halten: hier kämpft er
uicht mit der Waffe der Erfahrung für einen bestimmten klaren Zweck, sondern
einzig mit abstracten Tendenzen für formlose Maximen. Er vergißt, daß mau
mit nackten Prinzipien zwar Umstürzen kann, aber nicht organisiren -- daß man
so ein Robespierre werden mag, aber kein Mirabeau --- daß auch der geistreichste.
Redner, sobald er sich kein deutliches Ziel vorsetzt, verdammt ist, das Werkzeug
seiner Partei zu bleiben.

Und hier sind wir angelangt hei dem Brennpunkte, von dem aus Waldeck's
ganzes Wesen und Wirken sich zu einem einheitlichen, erklärlichen Bilde gestaltet.
ES ist eine edle, reichbegabte, biegsame Natur, der aber jede praktische Einsicht
in die Umgebungen abgeht -- gewohnt, mehr in sich hinein, als in der Außen¬
welt unter den Menschen, nicht mit ihnen zu leben. Das wenige, was man von
seiner Wirksamkeit in Westphalen weiß, deutet bereits auf ein starkes Ueberwiegen
des Gemüthes in seinem geistigen Organismus. Seine hervorstechende Seite war
das freundliche Wohlwolle", mit dem er sich der Landleute annahm: er empfing
davon den Titel des "Banerutöuigs." In Berlin war er zur Zeit der Wahlen
dem Volke wenig oder gar nicht bekannt, als er sich plötzlich zum Kandidaten
auswarf Seine Rede machte keinen besondern Eindruck, sie war leise und
stockend hingcsprvchen -- man hatte sie kaum verstanden und hielt ihn für ei¬
nen confusen Kops. Nur der Protokollführer Prince-Smith aus Elbiug, ward
bei Durchlesuug der Acten von der Entschiedenheit frappirt, mit der sich Waldeck
für rein demokratische Prinzipien erklärte. Er lenkte jetzt die Aufmerksamkeit auf
Waldeck, veranlaßte ihn zu nochmaligem Auftreten und so ward er mit großer
Stimmenmehrheit zum Deputirten gewählt. Nun galt es, sich eine Aare Einsicht
zu verschaffen in die vorliegenden Verhältnisse und die Charaktere der Kollegen,
zu prüfen, nicht blos was die einzelnen Frcictioncn, sondern auch warum sie es
wollten, dann einer Partei beizutreten, die ein bestimmtes Ziel sich vorgesteckt --
mochte dies nun Absolutismus sein oder Republik. Zu' solcher Kritik der cou-


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darin hatten, daß die legislativen Körperschaften die Executive usurpirter; sogleich
aber stellt sich ihm das Auftreten des Parlamentes in der irländischen Verschwö¬
rung als ein brauchbares Beispiel dar, und zwar gerade in der Gestalt, wie es
ihm paßt. Ja noch mehr, der Jurist, der Obertribunalsrath tritt mit dem Ent¬
würfe einer Habeascorpusacte vor die Kammer, der nichts weiter enthält, als
vier ans der Verfassung herausgerissene Paragraphen, voll abstracter Grundsätze,
ohne irgend eine Rücksicht auf die praktische Ausführung. Der Minister muß
ihn erst auf diese Absurdität aufmerksam machen und dann überläßt er gerne die
weitere Ausarbeitung seiner Vorlage an Simons. Nicht etwa, daß es ihm an
Kenntnissen fehlte — im Gegentheil, er ist im Rechte und in manchen volkswirt¬
schaftlichen Verhältnissen gut bewandert, das hat er in der Vcrfassungs- und an¬
der» Commissionen zur Genüge bewiesen. Aber in der Versammlung scheint er
das Detail der gegebenen Zustände für unwesentlich zu halten: hier kämpft er
uicht mit der Waffe der Erfahrung für einen bestimmten klaren Zweck, sondern
einzig mit abstracten Tendenzen für formlose Maximen. Er vergißt, daß mau
mit nackten Prinzipien zwar Umstürzen kann, aber nicht organisiren — daß man
so ein Robespierre werden mag, aber kein Mirabeau -— daß auch der geistreichste.
Redner, sobald er sich kein deutliches Ziel vorsetzt, verdammt ist, das Werkzeug
seiner Partei zu bleiben.

Und hier sind wir angelangt hei dem Brennpunkte, von dem aus Waldeck's
ganzes Wesen und Wirken sich zu einem einheitlichen, erklärlichen Bilde gestaltet.
ES ist eine edle, reichbegabte, biegsame Natur, der aber jede praktische Einsicht
in die Umgebungen abgeht — gewohnt, mehr in sich hinein, als in der Außen¬
welt unter den Menschen, nicht mit ihnen zu leben. Das wenige, was man von
seiner Wirksamkeit in Westphalen weiß, deutet bereits auf ein starkes Ueberwiegen
des Gemüthes in seinem geistigen Organismus. Seine hervorstechende Seite war
das freundliche Wohlwolle», mit dem er sich der Landleute annahm: er empfing
davon den Titel des „Banerutöuigs." In Berlin war er zur Zeit der Wahlen
dem Volke wenig oder gar nicht bekannt, als er sich plötzlich zum Kandidaten
auswarf Seine Rede machte keinen besondern Eindruck, sie war leise und
stockend hingcsprvchen — man hatte sie kaum verstanden und hielt ihn für ei¬
nen confusen Kops. Nur der Protokollführer Prince-Smith aus Elbiug, ward
bei Durchlesuug der Acten von der Entschiedenheit frappirt, mit der sich Waldeck
für rein demokratische Prinzipien erklärte. Er lenkte jetzt die Aufmerksamkeit auf
Waldeck, veranlaßte ihn zu nochmaligem Auftreten und so ward er mit großer
Stimmenmehrheit zum Deputirten gewählt. Nun galt es, sich eine Aare Einsicht
zu verschaffen in die vorliegenden Verhältnisse und die Charaktere der Kollegen,
zu prüfen, nicht blos was die einzelnen Frcictioncn, sondern auch warum sie es
wollten, dann einer Partei beizutreten, die ein bestimmtes Ziel sich vorgesteckt —
mochte dies nun Absolutismus sein oder Republik. Zu' solcher Kritik der cou-


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[0527] darin hatten, daß die legislativen Körperschaften die Executive usurpirter; sogleich aber stellt sich ihm das Auftreten des Parlamentes in der irländischen Verschwö¬ rung als ein brauchbares Beispiel dar, und zwar gerade in der Gestalt, wie es ihm paßt. Ja noch mehr, der Jurist, der Obertribunalsrath tritt mit dem Ent¬ würfe einer Habeascorpusacte vor die Kammer, der nichts weiter enthält, als vier ans der Verfassung herausgerissene Paragraphen, voll abstracter Grundsätze, ohne irgend eine Rücksicht auf die praktische Ausführung. Der Minister muß ihn erst auf diese Absurdität aufmerksam machen und dann überläßt er gerne die weitere Ausarbeitung seiner Vorlage an Simons. Nicht etwa, daß es ihm an Kenntnissen fehlte — im Gegentheil, er ist im Rechte und in manchen volkswirt¬ schaftlichen Verhältnissen gut bewandert, das hat er in der Vcrfassungs- und an¬ der» Commissionen zur Genüge bewiesen. Aber in der Versammlung scheint er das Detail der gegebenen Zustände für unwesentlich zu halten: hier kämpft er uicht mit der Waffe der Erfahrung für einen bestimmten klaren Zweck, sondern einzig mit abstracten Tendenzen für formlose Maximen. Er vergißt, daß mau mit nackten Prinzipien zwar Umstürzen kann, aber nicht organisiren — daß man so ein Robespierre werden mag, aber kein Mirabeau -— daß auch der geistreichste. Redner, sobald er sich kein deutliches Ziel vorsetzt, verdammt ist, das Werkzeug seiner Partei zu bleiben. Und hier sind wir angelangt hei dem Brennpunkte, von dem aus Waldeck's ganzes Wesen und Wirken sich zu einem einheitlichen, erklärlichen Bilde gestaltet. ES ist eine edle, reichbegabte, biegsame Natur, der aber jede praktische Einsicht in die Umgebungen abgeht — gewohnt, mehr in sich hinein, als in der Außen¬ welt unter den Menschen, nicht mit ihnen zu leben. Das wenige, was man von seiner Wirksamkeit in Westphalen weiß, deutet bereits auf ein starkes Ueberwiegen des Gemüthes in seinem geistigen Organismus. Seine hervorstechende Seite war das freundliche Wohlwolle», mit dem er sich der Landleute annahm: er empfing davon den Titel des „Banerutöuigs." In Berlin war er zur Zeit der Wahlen dem Volke wenig oder gar nicht bekannt, als er sich plötzlich zum Kandidaten auswarf Seine Rede machte keinen besondern Eindruck, sie war leise und stockend hingcsprvchen — man hatte sie kaum verstanden und hielt ihn für ei¬ nen confusen Kops. Nur der Protokollführer Prince-Smith aus Elbiug, ward bei Durchlesuug der Acten von der Entschiedenheit frappirt, mit der sich Waldeck für rein demokratische Prinzipien erklärte. Er lenkte jetzt die Aufmerksamkeit auf Waldeck, veranlaßte ihn zu nochmaligem Auftreten und so ward er mit großer Stimmenmehrheit zum Deputirten gewählt. Nun galt es, sich eine Aare Einsicht zu verschaffen in die vorliegenden Verhältnisse und die Charaktere der Kollegen, zu prüfen, nicht blos was die einzelnen Frcictioncn, sondern auch warum sie es wollten, dann einer Partei beizutreten, die ein bestimmtes Ziel sich vorgesteckt — mochte dies nun Absolutismus sein oder Republik. Zu' solcher Kritik der cou- 66*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/527>, abgerufen am 29.06.2024.