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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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her spricht der Radikale zum Uneingeweihten mit hoher Achtung vom Parteiführer
Waldeck; wo man sich unbeachtet glaubt, wird aus dem Respect ein sardonisches
Lächeln, aus dem Parteiführer ein Idiot.

Schon das Aeußere Waldeck's zeigt deutlich den Enthusiasten: eine große
hagere Gestalt, ein blasses, längliches Gesicht, ein feuriges, aber unstät blickendes
Auge. Diesem Exterieur entspricht seine Redeweise. Im Zwiegespräch schüchtern
und beklommen, ist er es auch auf der Tribune, so lange der Gegenstand der
Debatte sein Herz nicht ergreift. Er stockt und flötend, spricht gebückt und in sich
hinein, so daß der Zuhörer oft trotz der angestrengtesten Aufmerksamkeit ihm nicht
zu folgen vermag. Aber wie umgewandelt steht er da, wenn er warm wird: alle
Nachtheile seines Organs sind verschwunden wie durch einen Zauberschlag. Dann
stürmt er auf die Tribune, das Ange blitzt, die ganze Gestalt ist Leben und Be¬
wegung, mit honorer Stimme und in fließendem Vortrage bringt er seine Gründe
vor und schließt niemals ohne donnernden Applaus, zu dem häufig selbst Mit¬
glieder der Rechten unwillkürlich hingerissen werden. Man kann sich dabei eines
magischen Eindruckes kaum erwehren, der freilich um ein Bedeutendes geschwächt
wird, wenn man nachher die stenographischen Berichte liest. Vieles, ja das Meiste
in seinen Reden ist Phrase, dnrch Stichwörter gewinnt er die Versammlung. Man
denke nur an den "teuflischen Geist der Truppen -- die Souveränität des Vol¬
les -- die Armeebefehle, die Einem das Blut ius Gesicht treiben" -- vor allen
Dingen an das berühmte: "Wir können nicht länger mit Ehren hier sitzen, wir
können einander nicht mehr ins Auge sehen ohne Scham, wenn dieser Beschluß
nicht durchgeht." Er wirkt unmittelbar auf das Herz des Zuhörers: wie er selbst
sich einzig dem Zuge des Gemüthes überläßt, so zwingt er anch sein Auditorium
für einen Augenblick, die Logik zu vergessen: nur das Gefühl, uicht der Verstand
spricht dann aus ihm und nnr über das Gefühl, nicht über den Verstand trägt
er aimait momentanen Sieg davon. Man kommt nicht zum Nachdenken, so lange
er redet, was solchen Enthusiasmus erregen kann, das muß doch wohl wahr
sein -- so lautet der Trugschluß in Worte gefaßt, der Jeden unwillkürlich
durchzuckt.

Kenntnisse und alles Concrete läßt er in solchen Augenblicken bei Seite, wo
es das abstracte Prinzip gilt, wo jedes Wort ihn heftiger aufregt und jede Stei¬
gerung des Enthusiasmus ihn weiter hinreißt -- es liegt dann mitunter etwas
Dämonisches, Fauatischcs in Blick und Bewegung. "Wollen Sie uns wieder unter
einen erblichen Kaiser bringen?" ruft er der Kammer zu, "wollen Sie die Ge¬
schichte um Jahrtausende zurückschrauben? sollen wir gar nichts gelernt haben ans
der Vergangenheit?" Ich muß gestehen, erst als er fertig war, konnte ich meine
historische Gelehrsamkeit so weit zusammenraffen, um den abscheulichen Schnitzer
zu merken. -- Er vergißt in einem Momente, wie ein guter Theil der Abwege,
aus welche die englische und französische Revolution gerieth, ihren Grund einzig


her spricht der Radikale zum Uneingeweihten mit hoher Achtung vom Parteiführer
Waldeck; wo man sich unbeachtet glaubt, wird aus dem Respect ein sardonisches
Lächeln, aus dem Parteiführer ein Idiot.

Schon das Aeußere Waldeck's zeigt deutlich den Enthusiasten: eine große
hagere Gestalt, ein blasses, längliches Gesicht, ein feuriges, aber unstät blickendes
Auge. Diesem Exterieur entspricht seine Redeweise. Im Zwiegespräch schüchtern
und beklommen, ist er es auch auf der Tribune, so lange der Gegenstand der
Debatte sein Herz nicht ergreift. Er stockt und flötend, spricht gebückt und in sich
hinein, so daß der Zuhörer oft trotz der angestrengtesten Aufmerksamkeit ihm nicht
zu folgen vermag. Aber wie umgewandelt steht er da, wenn er warm wird: alle
Nachtheile seines Organs sind verschwunden wie durch einen Zauberschlag. Dann
stürmt er auf die Tribune, das Ange blitzt, die ganze Gestalt ist Leben und Be¬
wegung, mit honorer Stimme und in fließendem Vortrage bringt er seine Gründe
vor und schließt niemals ohne donnernden Applaus, zu dem häufig selbst Mit¬
glieder der Rechten unwillkürlich hingerissen werden. Man kann sich dabei eines
magischen Eindruckes kaum erwehren, der freilich um ein Bedeutendes geschwächt
wird, wenn man nachher die stenographischen Berichte liest. Vieles, ja das Meiste
in seinen Reden ist Phrase, dnrch Stichwörter gewinnt er die Versammlung. Man
denke nur an den „teuflischen Geist der Truppen — die Souveränität des Vol¬
les — die Armeebefehle, die Einem das Blut ius Gesicht treiben" — vor allen
Dingen an das berühmte: „Wir können nicht länger mit Ehren hier sitzen, wir
können einander nicht mehr ins Auge sehen ohne Scham, wenn dieser Beschluß
nicht durchgeht." Er wirkt unmittelbar auf das Herz des Zuhörers: wie er selbst
sich einzig dem Zuge des Gemüthes überläßt, so zwingt er anch sein Auditorium
für einen Augenblick, die Logik zu vergessen: nur das Gefühl, uicht der Verstand
spricht dann aus ihm und nnr über das Gefühl, nicht über den Verstand trägt
er aimait momentanen Sieg davon. Man kommt nicht zum Nachdenken, so lange
er redet, was solchen Enthusiasmus erregen kann, das muß doch wohl wahr
sein — so lautet der Trugschluß in Worte gefaßt, der Jeden unwillkürlich
durchzuckt.

Kenntnisse und alles Concrete läßt er in solchen Augenblicken bei Seite, wo
es das abstracte Prinzip gilt, wo jedes Wort ihn heftiger aufregt und jede Stei¬
gerung des Enthusiasmus ihn weiter hinreißt — es liegt dann mitunter etwas
Dämonisches, Fauatischcs in Blick und Bewegung. „Wollen Sie uns wieder unter
einen erblichen Kaiser bringen?" ruft er der Kammer zu, „wollen Sie die Ge¬
schichte um Jahrtausende zurückschrauben? sollen wir gar nichts gelernt haben ans
der Vergangenheit?" Ich muß gestehen, erst als er fertig war, konnte ich meine
historische Gelehrsamkeit so weit zusammenraffen, um den abscheulichen Schnitzer
zu merken. — Er vergißt in einem Momente, wie ein guter Theil der Abwege,
aus welche die englische und französische Revolution gerieth, ihren Grund einzig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/526>, abgerufen am 28.09.2024.