Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit dem Bevollmächtigten hatte ich Gelegenheit mehr zu hören und zu errathen,
als mir lieb war. Es war wohl keine Schuldverpflichtung unter allen, bei wel¬
cher er die im Document genannte Summe wirklich erhalten hatte, die meisten
Forderungen beruhten auf Scheingeschäften, durch welche nicht nnr er übervor-
theilt worden war, sondern die er selbst abgeschlossen hatte, um einen Dritten be¬
trüge" zu helfen. Nach kaufmännischen Begriffen war nicht nnr sein Eigenthum,
er selbst war rettungslos verloren. Die ganze Ernte des nächsten Jahres war
in Voraus verkauft für die Equipage, die mich zu ihm gefahren, für einige
Fässer Ungarwein, Havanuahcigarreu, ein Fortepiano, Seidenstoffe und ähn¬
lichen Plunder; die Wolle seiner Schaafheerde war für die drei nächsten Jahre
an einen Juden verkauft, und noch einmal auf zwei Jahr an einen Berli¬
ner Wollhändler, und der Jude schien ihm dafür eine Partie Sohlenleder,
einige Säcke Pfeffer und eine Quantität Rohzucker geliefert zu haben; wenigstens
stand das auf dem Papier. -- Ich reiste denselben Abend nach Posen und schrieb
von dort an Herrn v. W. In Posen, wo ich durch andre Geschäfte zu verweilen
genöthigt war, hatte ich mehr als hinreichende Gelegenheit mich über die Ver¬
hältnisse eines Lebens zu unterrichten, an dem ich das tiefste menschliche Interesse
"licht abläugnen konnte. Und da erfuhr ich mit Erschrecken, daß die Lage des
unglücklichen Mannes keine Ausnahme, sondern die Regel war. Zwei Drittheile
der polnischen Gutsbesitzer existiren in ähnlichen, ja noch schlimmeren Verhältnis-
sen, denn selbst die Form eines gebildeten Lebens ist bei vielen gar nicht vorhan¬
den; über 20V polnische Gutsbesitzer im Großherzogthum Posen, welche durch die
widerlichsten Hypotheken- und Privatschulden gequält wurden, waren dem Ver¬
bände der ritterlichen Landschaft noch nicht beigetreten, nicht aus Mißtrauen gegen
das segensreiche und populäre Institut, sondern aus Sorglosigkeit, Trägheit und
der wohlbegründeten Scheu, ein Licht in das Dunkel ihrer Geldverhältnisse fallen
zu sehen, der größte Theil von ihnen führte eine bloße Scheinexistenz, ein Leben
fortwährender gesetzlicher Lügen und Winkelzüge; ihre tolle, abenteuerliche Ver¬
schwendung, ihr Mangel an Ordnungssinn und Arbeitskraft hatten sie so fest mit
der Hefe des Handelstaudes, deu Schacherjuden des Großherzogthums verstrickt,
und beide Theile waren so gewöhnt einander durch Finten und Pfiffigkeit zu über¬
vorteilen, daß der größte Theil des Geldverkehrö im Großherzogthum Posen
geworden war, wie eine Filzdecke von grünem Moose, welche einen ungesunden
Sumpf überzieht. Und das Alles bei einem Rechtsverfahren, welches zwar den
^orwurf preußischer Pedanterie nicht abweisen kann, dessen Redlichkeit aber und
""'gie selbst die Polen anerkennen müssen. Und wenn die polnischen Gutsbesitzer
" Mftt der Schlauheit, welche sie bei solchen wucherischer Geschäften zei-
w ausdauernde Klugheit umsetzen könnten, sie müßten ebenso wohlhabend
geworden sei,^ ^s ^ verarmt sind. Aber grade was eine gesunde Entwicklung
!Mr landwirtschaftlichen Industrie hätte hervorbringen können, das Eindringen'


mit dem Bevollmächtigten hatte ich Gelegenheit mehr zu hören und zu errathen,
als mir lieb war. Es war wohl keine Schuldverpflichtung unter allen, bei wel¬
cher er die im Document genannte Summe wirklich erhalten hatte, die meisten
Forderungen beruhten auf Scheingeschäften, durch welche nicht nnr er übervor-
theilt worden war, sondern die er selbst abgeschlossen hatte, um einen Dritten be¬
trüge» zu helfen. Nach kaufmännischen Begriffen war nicht nnr sein Eigenthum,
er selbst war rettungslos verloren. Die ganze Ernte des nächsten Jahres war
in Voraus verkauft für die Equipage, die mich zu ihm gefahren, für einige
Fässer Ungarwein, Havanuahcigarreu, ein Fortepiano, Seidenstoffe und ähn¬
lichen Plunder; die Wolle seiner Schaafheerde war für die drei nächsten Jahre
an einen Juden verkauft, und noch einmal auf zwei Jahr an einen Berli¬
ner Wollhändler, und der Jude schien ihm dafür eine Partie Sohlenleder,
einige Säcke Pfeffer und eine Quantität Rohzucker geliefert zu haben; wenigstens
stand das auf dem Papier. — Ich reiste denselben Abend nach Posen und schrieb
von dort an Herrn v. W. In Posen, wo ich durch andre Geschäfte zu verweilen
genöthigt war, hatte ich mehr als hinreichende Gelegenheit mich über die Ver¬
hältnisse eines Lebens zu unterrichten, an dem ich das tiefste menschliche Interesse
»licht abläugnen konnte. Und da erfuhr ich mit Erschrecken, daß die Lage des
unglücklichen Mannes keine Ausnahme, sondern die Regel war. Zwei Drittheile
der polnischen Gutsbesitzer existiren in ähnlichen, ja noch schlimmeren Verhältnis-
sen, denn selbst die Form eines gebildeten Lebens ist bei vielen gar nicht vorhan¬
den; über 20V polnische Gutsbesitzer im Großherzogthum Posen, welche durch die
widerlichsten Hypotheken- und Privatschulden gequält wurden, waren dem Ver¬
bände der ritterlichen Landschaft noch nicht beigetreten, nicht aus Mißtrauen gegen
das segensreiche und populäre Institut, sondern aus Sorglosigkeit, Trägheit und
der wohlbegründeten Scheu, ein Licht in das Dunkel ihrer Geldverhältnisse fallen
zu sehen, der größte Theil von ihnen führte eine bloße Scheinexistenz, ein Leben
fortwährender gesetzlicher Lügen und Winkelzüge; ihre tolle, abenteuerliche Ver¬
schwendung, ihr Mangel an Ordnungssinn und Arbeitskraft hatten sie so fest mit
der Hefe des Handelstaudes, deu Schacherjuden des Großherzogthums verstrickt,
und beide Theile waren so gewöhnt einander durch Finten und Pfiffigkeit zu über¬
vorteilen, daß der größte Theil des Geldverkehrö im Großherzogthum Posen
geworden war, wie eine Filzdecke von grünem Moose, welche einen ungesunden
Sumpf überzieht. Und das Alles bei einem Rechtsverfahren, welches zwar den
^orwurf preußischer Pedanterie nicht abweisen kann, dessen Redlichkeit aber und
""'gie selbst die Polen anerkennen müssen. Und wenn die polnischen Gutsbesitzer
" Mftt der Schlauheit, welche sie bei solchen wucherischer Geschäften zei-
w ausdauernde Klugheit umsetzen könnten, sie müßten ebenso wohlhabend
geworden sei,^ ^s ^ verarmt sind. Aber grade was eine gesunde Entwicklung
!Mr landwirtschaftlichen Industrie hätte hervorbringen können, das Eindringen'


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277479"/>
          <p xml:id="ID_136" prev="#ID_135" next="#ID_137"> mit dem Bevollmächtigten hatte ich Gelegenheit mehr zu hören und zu errathen,<lb/>
als mir lieb war. Es war wohl keine Schuldverpflichtung unter allen, bei wel¬<lb/>
cher er die im Document genannte Summe wirklich erhalten hatte, die meisten<lb/>
Forderungen beruhten auf Scheingeschäften, durch welche nicht nnr er übervor-<lb/>
theilt worden war, sondern die er selbst abgeschlossen hatte, um einen Dritten be¬<lb/>
trüge» zu helfen. Nach kaufmännischen Begriffen war nicht nnr sein Eigenthum,<lb/>
er selbst war rettungslos verloren. Die ganze Ernte des nächsten Jahres war<lb/>
in Voraus verkauft für die Equipage, die mich zu ihm gefahren, für einige<lb/>
Fässer Ungarwein, Havanuahcigarreu, ein Fortepiano, Seidenstoffe und ähn¬<lb/>
lichen Plunder; die Wolle seiner Schaafheerde war für die drei nächsten Jahre<lb/>
an einen Juden verkauft, und noch einmal auf zwei Jahr an einen Berli¬<lb/>
ner Wollhändler, und der Jude schien ihm dafür eine Partie Sohlenleder,<lb/>
einige Säcke Pfeffer und eine Quantität Rohzucker geliefert zu haben; wenigstens<lb/>
stand das auf dem Papier. &#x2014; Ich reiste denselben Abend nach Posen und schrieb<lb/>
von dort an Herrn v. W. In Posen, wo ich durch andre Geschäfte zu verweilen<lb/>
genöthigt war, hatte ich mehr als hinreichende Gelegenheit mich über die Ver¬<lb/>
hältnisse eines Lebens zu unterrichten, an dem ich das tiefste menschliche Interesse<lb/>
»licht abläugnen konnte. Und da erfuhr ich mit Erschrecken, daß die Lage des<lb/>
unglücklichen Mannes keine Ausnahme, sondern die Regel war. Zwei Drittheile<lb/>
der polnischen Gutsbesitzer existiren in ähnlichen, ja noch schlimmeren Verhältnis-<lb/>
sen, denn selbst die Form eines gebildeten Lebens ist bei vielen gar nicht vorhan¬<lb/>
den; über 20V polnische Gutsbesitzer im Großherzogthum Posen, welche durch die<lb/>
widerlichsten Hypotheken- und Privatschulden gequält wurden, waren dem Ver¬<lb/>
bände der ritterlichen Landschaft noch nicht beigetreten, nicht aus Mißtrauen gegen<lb/>
das segensreiche und populäre Institut, sondern aus Sorglosigkeit, Trägheit und<lb/>
der wohlbegründeten Scheu, ein Licht in das Dunkel ihrer Geldverhältnisse fallen<lb/>
zu sehen, der größte Theil von ihnen führte eine bloße Scheinexistenz, ein Leben<lb/>
fortwährender gesetzlicher Lügen und Winkelzüge; ihre tolle, abenteuerliche Ver¬<lb/>
schwendung, ihr Mangel an Ordnungssinn und Arbeitskraft hatten sie so fest mit<lb/>
der Hefe des Handelstaudes, deu Schacherjuden des Großherzogthums verstrickt,<lb/>
und beide Theile waren so gewöhnt einander durch Finten und Pfiffigkeit zu über¬<lb/>
vorteilen, daß der größte Theil des Geldverkehrö im Großherzogthum Posen<lb/>
geworden war, wie eine Filzdecke von grünem Moose, welche einen ungesunden<lb/>
Sumpf überzieht. Und das Alles bei einem Rechtsverfahren, welches zwar den<lb/>
^orwurf preußischer Pedanterie nicht abweisen kann, dessen Redlichkeit aber und<lb/>
""'gie selbst die Polen anerkennen müssen. Und wenn die polnischen Gutsbesitzer<lb/>
" Mftt der Schlauheit, welche sie bei solchen wucherischer Geschäften zei-<lb/>
w ausdauernde Klugheit umsetzen könnten, sie müßten ebenso wohlhabend<lb/>
geworden sei,^ ^s ^ verarmt sind. Aber grade was eine gesunde Entwicklung<lb/>
!Mr landwirtschaftlichen Industrie hätte hervorbringen können, das Eindringen'</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] mit dem Bevollmächtigten hatte ich Gelegenheit mehr zu hören und zu errathen, als mir lieb war. Es war wohl keine Schuldverpflichtung unter allen, bei wel¬ cher er die im Document genannte Summe wirklich erhalten hatte, die meisten Forderungen beruhten auf Scheingeschäften, durch welche nicht nnr er übervor- theilt worden war, sondern die er selbst abgeschlossen hatte, um einen Dritten be¬ trüge» zu helfen. Nach kaufmännischen Begriffen war nicht nnr sein Eigenthum, er selbst war rettungslos verloren. Die ganze Ernte des nächsten Jahres war in Voraus verkauft für die Equipage, die mich zu ihm gefahren, für einige Fässer Ungarwein, Havanuahcigarreu, ein Fortepiano, Seidenstoffe und ähn¬ lichen Plunder; die Wolle seiner Schaafheerde war für die drei nächsten Jahre an einen Juden verkauft, und noch einmal auf zwei Jahr an einen Berli¬ ner Wollhändler, und der Jude schien ihm dafür eine Partie Sohlenleder, einige Säcke Pfeffer und eine Quantität Rohzucker geliefert zu haben; wenigstens stand das auf dem Papier. — Ich reiste denselben Abend nach Posen und schrieb von dort an Herrn v. W. In Posen, wo ich durch andre Geschäfte zu verweilen genöthigt war, hatte ich mehr als hinreichende Gelegenheit mich über die Ver¬ hältnisse eines Lebens zu unterrichten, an dem ich das tiefste menschliche Interesse »licht abläugnen konnte. Und da erfuhr ich mit Erschrecken, daß die Lage des unglücklichen Mannes keine Ausnahme, sondern die Regel war. Zwei Drittheile der polnischen Gutsbesitzer existiren in ähnlichen, ja noch schlimmeren Verhältnis- sen, denn selbst die Form eines gebildeten Lebens ist bei vielen gar nicht vorhan¬ den; über 20V polnische Gutsbesitzer im Großherzogthum Posen, welche durch die widerlichsten Hypotheken- und Privatschulden gequält wurden, waren dem Ver¬ bände der ritterlichen Landschaft noch nicht beigetreten, nicht aus Mißtrauen gegen das segensreiche und populäre Institut, sondern aus Sorglosigkeit, Trägheit und der wohlbegründeten Scheu, ein Licht in das Dunkel ihrer Geldverhältnisse fallen zu sehen, der größte Theil von ihnen führte eine bloße Scheinexistenz, ein Leben fortwährender gesetzlicher Lügen und Winkelzüge; ihre tolle, abenteuerliche Ver¬ schwendung, ihr Mangel an Ordnungssinn und Arbeitskraft hatten sie so fest mit der Hefe des Handelstaudes, deu Schacherjuden des Großherzogthums verstrickt, und beide Theile waren so gewöhnt einander durch Finten und Pfiffigkeit zu über¬ vorteilen, daß der größte Theil des Geldverkehrö im Großherzogthum Posen geworden war, wie eine Filzdecke von grünem Moose, welche einen ungesunden Sumpf überzieht. Und das Alles bei einem Rechtsverfahren, welches zwar den ^orwurf preußischer Pedanterie nicht abweisen kann, dessen Redlichkeit aber und ""'gie selbst die Polen anerkennen müssen. Und wenn die polnischen Gutsbesitzer " Mftt der Schlauheit, welche sie bei solchen wucherischer Geschäften zei- w ausdauernde Klugheit umsetzen könnten, sie müßten ebenso wohlhabend geworden sei,^ ^s ^ verarmt sind. Aber grade was eine gesunde Entwicklung !Mr landwirtschaftlichen Industrie hätte hervorbringen können, das Eindringen'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/49>, abgerufen am 26.06.2024.