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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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waren sie, so tollkühn, leichtsinnig nud enthusiastisch, von so edlem Selbstgefühl
und so liebenswürdig in ihrer Gastfreundschaft, man mußte ihnen gut sein, den
Jungen und den Alten, aber man konnte nicht an sie glauben. Und doch waren
sie es allein , welche die polnische Nationalität darstellten. Denn was ich von
den polnMm WMM^dU.Wren Städte gesehen und gehört, war wenig tröst¬
lich, und obgleich ich himmelweit davon entfernt bin, sie ein schäbiges, lüderliches,
verknöchertes Gesinde! zu nennen, so müßte ich doch lügen, wenn ich behaupten
wollte, daß mir ihre Physiognomie sonderlich gefallen hätte. Die Landleute end¬
lich, die Masse der Bevölkerung, machen dem Gutsherrn noch ihren "v^-in, ilomik,"
indem sie sich bis auf die Erde neigen und die Füße des Herrn umfassen, aber
d^e preußische Negierung hat die Nichtswürdigkeit gehabt, ihre patriarchalische
Abhängigkeit von den Gutsherrn zu vernichten und sie durch Ablösung ihrer
Dienste gegen eine jäWcheMnte.Ly.Me......MW5r...zu verwandeln. Noch sind sie
sehr unwissend, ihre Wirthschaften keineswegs besser als die der polnischen Ritter¬
gutsbesitzer, aber sie haben bereits den gefunden Egoismus freier Eigenthümer
und ich bin unsicher, ob ihre Erinnerungen an die alte Herrlichkeit des "gemor¬
deten" Polens mächtiger sind, als z. B. die Sehnsucht der deutschen Bauern nach
der Zeit Götzens von Berlichingen und des kräftigen Faustrechts.

Mir wurde bei meinem Wirth immer unbehaglicher, je länger ich mich in
seine Verhältnisse hineinlebte. Auch die Frauen interessirten mich nicht mehr; die
ewige schwarze Seide, die ewige tragische Leidenschaftlichkeit, der vollständige Man¬
gel an komfortabler Häuslichkeit und -- derb gesagt -- an gemeinem Menschen-
verstand verstimmten mich, und seit ich das Unglück gehabt hatte, die Tochter mit
den Sammetbrauen in einem Morgenrocke von sehr bedenklicher Farbe zu erblicken,
irrte meine Phantasie, so oft ich ihre Robe ansah, auf peinigende Weise von der
Oberfläche der Dinge nach innen. Mein Wirth war liebenswürdig, wie immer,
aber mir schien, als würde seine Fröhlichkeit gezwungener, seine Frühstückstunde
länger, je näher der erwähnte Termin kam. Er war zu sehr Gentleman, sich in
Wein zu übernehmen, aber er trank viel und hastig, herrschte seine Leute an und
vergaß nie, dem Diener zu klingeln, wenn er seine Pfeife anbrennen wollte; an¬
fänglich hatte er zuweilen die Herablassung gehabt, dies selbst zu thun. Einmal,
nur einmal hatte ich ihn im Verdacht, daß er mich berauschen wollte, um mich
zu einem festen Versprechen zu drängen, aber er ließ sogleich ab, als ich die
Flasche vom Tisch entfernte. Endlich brach der verhängnißvolle Tag an, mein
Wirth schützte Unwohlsein vor und ließ mich allein nach der Stadt fahren, wo
sein Bevollmächtigter die Forderungen der bisherigen Gläubiger zu ordnen hatte.
Es war ein trauriger, widerlicher Tag, mein Gastfreund war ruinirt, keine Scholle
seines Bodens, kein Ziegel seiner Dächer gehörten ihm, er war ruinirt durch den
bodenlosesten Leichtsinn, die ärgste Gewissenlosigkeit. Mehr als 50 Gläubiger
waren versammelt; meist polnische Juden, und bei ihren hitzigen Verhandlungen


waren sie, so tollkühn, leichtsinnig nud enthusiastisch, von so edlem Selbstgefühl
und so liebenswürdig in ihrer Gastfreundschaft, man mußte ihnen gut sein, den
Jungen und den Alten, aber man konnte nicht an sie glauben. Und doch waren
sie es allein , welche die polnische Nationalität darstellten. Denn was ich von
den polnMm WMM^dU.Wren Städte gesehen und gehört, war wenig tröst¬
lich, und obgleich ich himmelweit davon entfernt bin, sie ein schäbiges, lüderliches,
verknöchertes Gesinde! zu nennen, so müßte ich doch lügen, wenn ich behaupten
wollte, daß mir ihre Physiognomie sonderlich gefallen hätte. Die Landleute end¬
lich, die Masse der Bevölkerung, machen dem Gutsherrn noch ihren „v^-in, ilomik,"
indem sie sich bis auf die Erde neigen und die Füße des Herrn umfassen, aber
d^e preußische Negierung hat die Nichtswürdigkeit gehabt, ihre patriarchalische
Abhängigkeit von den Gutsherrn zu vernichten und sie durch Ablösung ihrer
Dienste gegen eine jäWcheMnte.Ly.Me......MW5r...zu verwandeln. Noch sind sie
sehr unwissend, ihre Wirthschaften keineswegs besser als die der polnischen Ritter¬
gutsbesitzer, aber sie haben bereits den gefunden Egoismus freier Eigenthümer
und ich bin unsicher, ob ihre Erinnerungen an die alte Herrlichkeit des „gemor¬
deten" Polens mächtiger sind, als z. B. die Sehnsucht der deutschen Bauern nach
der Zeit Götzens von Berlichingen und des kräftigen Faustrechts.

Mir wurde bei meinem Wirth immer unbehaglicher, je länger ich mich in
seine Verhältnisse hineinlebte. Auch die Frauen interessirten mich nicht mehr; die
ewige schwarze Seide, die ewige tragische Leidenschaftlichkeit, der vollständige Man¬
gel an komfortabler Häuslichkeit und — derb gesagt — an gemeinem Menschen-
verstand verstimmten mich, und seit ich das Unglück gehabt hatte, die Tochter mit
den Sammetbrauen in einem Morgenrocke von sehr bedenklicher Farbe zu erblicken,
irrte meine Phantasie, so oft ich ihre Robe ansah, auf peinigende Weise von der
Oberfläche der Dinge nach innen. Mein Wirth war liebenswürdig, wie immer,
aber mir schien, als würde seine Fröhlichkeit gezwungener, seine Frühstückstunde
länger, je näher der erwähnte Termin kam. Er war zu sehr Gentleman, sich in
Wein zu übernehmen, aber er trank viel und hastig, herrschte seine Leute an und
vergaß nie, dem Diener zu klingeln, wenn er seine Pfeife anbrennen wollte; an¬
fänglich hatte er zuweilen die Herablassung gehabt, dies selbst zu thun. Einmal,
nur einmal hatte ich ihn im Verdacht, daß er mich berauschen wollte, um mich
zu einem festen Versprechen zu drängen, aber er ließ sogleich ab, als ich die
Flasche vom Tisch entfernte. Endlich brach der verhängnißvolle Tag an, mein
Wirth schützte Unwohlsein vor und ließ mich allein nach der Stadt fahren, wo
sein Bevollmächtigter die Forderungen der bisherigen Gläubiger zu ordnen hatte.
Es war ein trauriger, widerlicher Tag, mein Gastfreund war ruinirt, keine Scholle
seines Bodens, kein Ziegel seiner Dächer gehörten ihm, er war ruinirt durch den
bodenlosesten Leichtsinn, die ärgste Gewissenlosigkeit. Mehr als 50 Gläubiger
waren versammelt; meist polnische Juden, und bei ihren hitzigen Verhandlungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/48>, abgerufen am 22.07.2024.