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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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den Zeitumständen Rechnung zu tragen hat; daß man am Princip festhalten kann,
ohne sich an den Katechismus der Doctrin, an die äußere Farbe der Partei zu
binden.

Sehr viel hängt in dieseni Augenblick von Einer Persönlichkeit ab, deren Ein¬
fluß nach allen Seiten hin am Weitesten gehen dürfte. Es ist der General
Wrangel. Der Abschluß des Waffenstillstands wird auch auf die inneren An¬
gelegenheiten die nachtheiligste Rückwirkung ausüben. Vor Allein ist wichtig, daß
nun die Leitung des Militärs einem zuverlässige" und allgemein verehrten Manne
übertragen ist, an dessen Willenskraft noch Niemand zu zweifeln gewagt hat.
Die Machinationen unserer Radicalen, auch das Heer zu desorgauisiren, werden
nun wohl auf einen unerwarteten Widerstand stoßen, und es läßt sich erwarten,
daß schon die erste Proclamation, welche der General von Potsdam aus erlasse"
hat, schwer in die Wagschaale der Entscheidung fallen wird. Wer einigermaßen
mit der frühern Stellung des alten Feldherrn vertraut ist, wird nicht in Zweifel
darüber sein, auf welche Seite dieses Gewicht sich neigt. Die Versuche einiger
Anarchisten, Wrangel im Namen der deutschen Einheit zum Ungehorsam gegen
seinen eignen Staat zu verleiten, werden einen ihrer Absicht entgegengesetzten Er¬
folg haben.

Gehen wir nun zur zweiten Partei unsers politischen Lebens über, zu den
Preußischen Whigs. Sie haben vor dem März gemeinsam gegen den Absolutis¬
mus gekämpst, sie treten unter den jetzigen Umständen gemeinsam den Radicalen
entgegen. In der Paulskirche schließt sich der größere Theil derselben entschieden
den vormaligen Gegnern an, um für die Aufrechterhaltung Preußens und für die
gesetzliche Freiheit überhaupt zu wirke"; ja sie gehören theilweise der äußersten
Rechten an. Die launenhafte Nolksgunst, die noch im vorigen Jahr dem Frei¬
herrn v. Vincke den lautesten Jnbel entgegcnjanchzte, weil er mit der vornehmen
Impertinenz, die nur ein Aristokrat der absoluten Regierung gegenüber zu be¬
haupten weiß, dem alten System in's Gesicht schlug, hat sich seitdem vou ihm
gewendet; er wird nicht viel darauf geben. Wie im vorigen Jahre, vertritt er
mit gleicher Kühnheit und gleicher Consequenz die Sache des Rechts gegen die
Willkür; nur daß damals die Diener der souveränen Krone diese Willkür gel¬
tend zu machen suchten, jetzt die Paphlagouier des souveränen Volks. Es ist
doch in der Art seiner Opposition, wenn man ihn mit seinen jetzigen Freunden
aus dem alten System vergleicht, ein wesentlicher Unterschied; trotz dem sprühen¬
den Witz seiner Reden tritt doch überall schroff und unerschütterlich das Knochen¬
gerüst seiner Ueberzeugung hervor, während z. B. bei dem Fürsten Lichnowsky
der Witz den eigentliche" Inhalt seiner Dialektik absorbirt; man kann von ihm
sagen, daß er von der Verkehrtheit seiner Gegner lebt; es fehlt seiner Opposition
an dem eigentlich sittlichen Inhalt, der politischen Ueberzeugung; er verhält sich


den Zeitumständen Rechnung zu tragen hat; daß man am Princip festhalten kann,
ohne sich an den Katechismus der Doctrin, an die äußere Farbe der Partei zu
binden.

Sehr viel hängt in dieseni Augenblick von Einer Persönlichkeit ab, deren Ein¬
fluß nach allen Seiten hin am Weitesten gehen dürfte. Es ist der General
Wrangel. Der Abschluß des Waffenstillstands wird auch auf die inneren An¬
gelegenheiten die nachtheiligste Rückwirkung ausüben. Vor Allein ist wichtig, daß
nun die Leitung des Militärs einem zuverlässige» und allgemein verehrten Manne
übertragen ist, an dessen Willenskraft noch Niemand zu zweifeln gewagt hat.
Die Machinationen unserer Radicalen, auch das Heer zu desorgauisiren, werden
nun wohl auf einen unerwarteten Widerstand stoßen, und es läßt sich erwarten,
daß schon die erste Proclamation, welche der General von Potsdam aus erlasse»
hat, schwer in die Wagschaale der Entscheidung fallen wird. Wer einigermaßen
mit der frühern Stellung des alten Feldherrn vertraut ist, wird nicht in Zweifel
darüber sein, auf welche Seite dieses Gewicht sich neigt. Die Versuche einiger
Anarchisten, Wrangel im Namen der deutschen Einheit zum Ungehorsam gegen
seinen eignen Staat zu verleiten, werden einen ihrer Absicht entgegengesetzten Er¬
folg haben.

Gehen wir nun zur zweiten Partei unsers politischen Lebens über, zu den
Preußischen Whigs. Sie haben vor dem März gemeinsam gegen den Absolutis¬
mus gekämpst, sie treten unter den jetzigen Umständen gemeinsam den Radicalen
entgegen. In der Paulskirche schließt sich der größere Theil derselben entschieden
den vormaligen Gegnern an, um für die Aufrechterhaltung Preußens und für die
gesetzliche Freiheit überhaupt zu wirke«; ja sie gehören theilweise der äußersten
Rechten an. Die launenhafte Nolksgunst, die noch im vorigen Jahr dem Frei¬
herrn v. Vincke den lautesten Jnbel entgegcnjanchzte, weil er mit der vornehmen
Impertinenz, die nur ein Aristokrat der absoluten Regierung gegenüber zu be¬
haupten weiß, dem alten System in's Gesicht schlug, hat sich seitdem vou ihm
gewendet; er wird nicht viel darauf geben. Wie im vorigen Jahre, vertritt er
mit gleicher Kühnheit und gleicher Consequenz die Sache des Rechts gegen die
Willkür; nur daß damals die Diener der souveränen Krone diese Willkür gel¬
tend zu machen suchten, jetzt die Paphlagouier des souveränen Volks. Es ist
doch in der Art seiner Opposition, wenn man ihn mit seinen jetzigen Freunden
aus dem alten System vergleicht, ein wesentlicher Unterschied; trotz dem sprühen¬
den Witz seiner Reden tritt doch überall schroff und unerschütterlich das Knochen¬
gerüst seiner Ueberzeugung hervor, während z. B. bei dem Fürsten Lichnowsky
der Witz den eigentliche» Inhalt seiner Dialektik absorbirt; man kann von ihm
sagen, daß er von der Verkehrtheit seiner Gegner lebt; es fehlt seiner Opposition
an dem eigentlich sittlichen Inhalt, der politischen Ueberzeugung; er verhält sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/484>, abgerufen am 29.06.2024.