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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Milde und Gierke erschien als der Typus der Bourgeois-Partei, wie sie in
Frankreich seit 1830 geherrscht und wie sie mit militärischer Hilfe sich jetzt
wieder un's Ruder zu setzen gewußt hat, er lud also den ganzen Haß der Aristo¬
kratie auf sich; Schreckenstein drohte mit einer militärischen Dictatur -- aber
nicht durch offnes Austreten, denn er wußte der Kammer nie zu imponiren, son¬
dern durch Intriguen, und so hatte das Ministerium auch die Bürgerschaft gegen
sich; An ersw alt endlich galt als ein Hofmann, als unselbstständig gegen Pots¬
dam -- und so ist die Koalition fast aller Parteien gegen die Regierung wohl
zu erklären. Ich will dabei durchaus nicht in Abrede stellen, daß bei der Ab¬
stimmung vom 7. September Einschüchterung der Deputirten eine wesentliche Rolle
gespielt hat, und es klang sonderbar genug, als der lichtfreuudliche Pastor Uh-
lich mit himmelwärts gewandtem Blick von seiner versöhnenden Stellung sprach,
in demselben Augenblick, als er den Fehdebrief an die Regierung mit unterzeich¬
nete. Bei einer Abstimmung im entgegengesetzten Sinne wäre es vielleicht zu einem
Conflict gekommen -- vielleicht sage ich, denn mit Gewißheit kann man in Berlin
Nichts berechnen. Allein die Haltung der Hauptstadt war sehr drohend, es war
nicht die gewöhnliche Crawallstimmung, es war eine sehr ernste, zornige Erregung,
und wenn die Linke -- wie es bei Walde et's Persönlichkeit, den ich für einen auf¬
richtigen Fanatiker halte, allen Anschein hatte--- ausgetreten wäre, so hätte sie über eine
sehr bedeutende Macht disponiren können. Die Radikalen, welche die Souveränität
der Versammlung überall proclamiren, wo sie sich in ihrem Sinn entscheidet, hätten
einer entgegengesetzten Wendung ebenso entschieden die Souveränität der Fäuste
entgegengesetzt. Die Deputirten der Rechten waren ernstlich bedroht; freilich ist das
eine sehr schlechte Entschuldigung für die Feiglinge, die sich einschüchtern ließen
und die nun mit ihrer nachträglichen Wehmuth in der Vossischen nachhinken.

Wozu das Ministerium eigentlich entschlossen war, ist schwer zu sagen. Es
scheint, als habe sie im Fall eines Aufstandes auf das Militär gerechnet. Aber
es fehlt wieder an dem Entschluß im rechten Augenblick; man vergißt, daß je
länger die Krisis dauert, je weniger auf das Heer zu zählen ist. Außerdem wäre
bei einer militärischen Unterdrückung der Radikalen das Reich dieses Ministeriums
ebenfalls zu Ende gewesen.

Die Entscheidung kam ihm unerwartet. Auch da fand es nicht sogleich die
Entschließung. Sein Abtreten war sehr bedenklich; es veranlaßte den König zu
einer Willenserklärung, welche die Krone in Gefahr setzt. So vollkommen ich im
Prinzip mit dieser Erklärung übereinstimme -- daß weder ein Parlament noch
viel weniger eine constitnirende Versammlung executive Maßregeln zu verfügen
habe, wenn man nicht die Zeiten Robespierre's herbeizuführen wünscht -- so we¬
nig kann ich den Schritt billigen, sich auf die persönliche Ansicht des Königs zu
berufen. Er war unnöthig, denn jenes Princip versteht sich von selbst und eine
Ueberschreitung desselben wäre von Seiten der Versammlung die pronuncirte Re-


60*

Milde und Gierke erschien als der Typus der Bourgeois-Partei, wie sie in
Frankreich seit 1830 geherrscht und wie sie mit militärischer Hilfe sich jetzt
wieder un's Ruder zu setzen gewußt hat, er lud also den ganzen Haß der Aristo¬
kratie auf sich; Schreckenstein drohte mit einer militärischen Dictatur — aber
nicht durch offnes Austreten, denn er wußte der Kammer nie zu imponiren, son¬
dern durch Intriguen, und so hatte das Ministerium auch die Bürgerschaft gegen
sich; An ersw alt endlich galt als ein Hofmann, als unselbstständig gegen Pots¬
dam — und so ist die Koalition fast aller Parteien gegen die Regierung wohl
zu erklären. Ich will dabei durchaus nicht in Abrede stellen, daß bei der Ab¬
stimmung vom 7. September Einschüchterung der Deputirten eine wesentliche Rolle
gespielt hat, und es klang sonderbar genug, als der lichtfreuudliche Pastor Uh-
lich mit himmelwärts gewandtem Blick von seiner versöhnenden Stellung sprach,
in demselben Augenblick, als er den Fehdebrief an die Regierung mit unterzeich¬
nete. Bei einer Abstimmung im entgegengesetzten Sinne wäre es vielleicht zu einem
Conflict gekommen — vielleicht sage ich, denn mit Gewißheit kann man in Berlin
Nichts berechnen. Allein die Haltung der Hauptstadt war sehr drohend, es war
nicht die gewöhnliche Crawallstimmung, es war eine sehr ernste, zornige Erregung,
und wenn die Linke — wie es bei Walde et's Persönlichkeit, den ich für einen auf¬
richtigen Fanatiker halte, allen Anschein hatte—- ausgetreten wäre, so hätte sie über eine
sehr bedeutende Macht disponiren können. Die Radikalen, welche die Souveränität
der Versammlung überall proclamiren, wo sie sich in ihrem Sinn entscheidet, hätten
einer entgegengesetzten Wendung ebenso entschieden die Souveränität der Fäuste
entgegengesetzt. Die Deputirten der Rechten waren ernstlich bedroht; freilich ist das
eine sehr schlechte Entschuldigung für die Feiglinge, die sich einschüchtern ließen
und die nun mit ihrer nachträglichen Wehmuth in der Vossischen nachhinken.

Wozu das Ministerium eigentlich entschlossen war, ist schwer zu sagen. Es
scheint, als habe sie im Fall eines Aufstandes auf das Militär gerechnet. Aber
es fehlt wieder an dem Entschluß im rechten Augenblick; man vergißt, daß je
länger die Krisis dauert, je weniger auf das Heer zu zählen ist. Außerdem wäre
bei einer militärischen Unterdrückung der Radikalen das Reich dieses Ministeriums
ebenfalls zu Ende gewesen.

Die Entscheidung kam ihm unerwartet. Auch da fand es nicht sogleich die
Entschließung. Sein Abtreten war sehr bedenklich; es veranlaßte den König zu
einer Willenserklärung, welche die Krone in Gefahr setzt. So vollkommen ich im
Prinzip mit dieser Erklärung übereinstimme — daß weder ein Parlament noch
viel weniger eine constitnirende Versammlung executive Maßregeln zu verfügen
habe, wenn man nicht die Zeiten Robespierre's herbeizuführen wünscht — so we¬
nig kann ich den Schritt billigen, sich auf die persönliche Ansicht des Königs zu
berufen. Er war unnöthig, denn jenes Princip versteht sich von selbst und eine
Ueberschreitung desselben wäre von Seiten der Versammlung die pronuncirte Re-


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[0479] Milde und Gierke erschien als der Typus der Bourgeois-Partei, wie sie in Frankreich seit 1830 geherrscht und wie sie mit militärischer Hilfe sich jetzt wieder un's Ruder zu setzen gewußt hat, er lud also den ganzen Haß der Aristo¬ kratie auf sich; Schreckenstein drohte mit einer militärischen Dictatur — aber nicht durch offnes Austreten, denn er wußte der Kammer nie zu imponiren, son¬ dern durch Intriguen, und so hatte das Ministerium auch die Bürgerschaft gegen sich; An ersw alt endlich galt als ein Hofmann, als unselbstständig gegen Pots¬ dam — und so ist die Koalition fast aller Parteien gegen die Regierung wohl zu erklären. Ich will dabei durchaus nicht in Abrede stellen, daß bei der Ab¬ stimmung vom 7. September Einschüchterung der Deputirten eine wesentliche Rolle gespielt hat, und es klang sonderbar genug, als der lichtfreuudliche Pastor Uh- lich mit himmelwärts gewandtem Blick von seiner versöhnenden Stellung sprach, in demselben Augenblick, als er den Fehdebrief an die Regierung mit unterzeich¬ nete. Bei einer Abstimmung im entgegengesetzten Sinne wäre es vielleicht zu einem Conflict gekommen — vielleicht sage ich, denn mit Gewißheit kann man in Berlin Nichts berechnen. Allein die Haltung der Hauptstadt war sehr drohend, es war nicht die gewöhnliche Crawallstimmung, es war eine sehr ernste, zornige Erregung, und wenn die Linke — wie es bei Walde et's Persönlichkeit, den ich für einen auf¬ richtigen Fanatiker halte, allen Anschein hatte—- ausgetreten wäre, so hätte sie über eine sehr bedeutende Macht disponiren können. Die Radikalen, welche die Souveränität der Versammlung überall proclamiren, wo sie sich in ihrem Sinn entscheidet, hätten einer entgegengesetzten Wendung ebenso entschieden die Souveränität der Fäuste entgegengesetzt. Die Deputirten der Rechten waren ernstlich bedroht; freilich ist das eine sehr schlechte Entschuldigung für die Feiglinge, die sich einschüchtern ließen und die nun mit ihrer nachträglichen Wehmuth in der Vossischen nachhinken. Wozu das Ministerium eigentlich entschlossen war, ist schwer zu sagen. Es scheint, als habe sie im Fall eines Aufstandes auf das Militär gerechnet. Aber es fehlt wieder an dem Entschluß im rechten Augenblick; man vergißt, daß je länger die Krisis dauert, je weniger auf das Heer zu zählen ist. Außerdem wäre bei einer militärischen Unterdrückung der Radikalen das Reich dieses Ministeriums ebenfalls zu Ende gewesen. Die Entscheidung kam ihm unerwartet. Auch da fand es nicht sogleich die Entschließung. Sein Abtreten war sehr bedenklich; es veranlaßte den König zu einer Willenserklärung, welche die Krone in Gefahr setzt. So vollkommen ich im Prinzip mit dieser Erklärung übereinstimme — daß weder ein Parlament noch viel weniger eine constitnirende Versammlung executive Maßregeln zu verfügen habe, wenn man nicht die Zeiten Robespierre's herbeizuführen wünscht — so we¬ nig kann ich den Schritt billigen, sich auf die persönliche Ansicht des Königs zu berufen. Er war unnöthig, denn jenes Princip versteht sich von selbst und eine Ueberschreitung desselben wäre von Seiten der Versammlung die pronuncirte Re- 60*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/479>, abgerufen am 28.09.2024.