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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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war sich daher dieses seines Inhalts noch gar nicht bewußt, bis die Eigenthüm¬
lichkeit der Umstände ihn dahin wies.

Die Jugend machte sichs leichter, sie hielt sich an die Kritik. In der Sie¬
gelten Konditorei hatte sich ein Kränzchen des schöngeistigen Liberalismus ge¬
bildet, aus "geistreichen" Dilettanten zusammengesetzt; Walesrode, nachmals
durch seine humoristischen Ausfälle bekannt, war die Seele desselben. Man trieb
hier die Politik mit dem Bewußtsein eines superiören Standpunktes, man machte
Witze auf das Militär, man hänselte die Ovscurmiteu -- z. B. den bekannten
Rintel, der sich das Recht des Kölner Erzbischofs klar machte, katholisch wurde
und die erst ultramontane, jetzt radikale Oderzeitung redigirte -- man war über
Vieles hinaus, kurz es war ziemlich ein Berliner Wesen, wie denn auch die Ele¬
mente dieses Kreises Königsberg in keiner Weise angehörten.

Wenn etwas geeignet war, jenen Sagen über die Urwäldlichkeit Königsberg's
Glauben zu verschaffen, so war es das Studentenleben. Diese weißen, zottigen
Fläusche, die man Winter und Sommer trug und die bei der beständigen Routine
im Löbenichtschen Urbier, dessen naturwüchsige Ursprünglichkeit das Bairische Ideal
noch nicht verdrängt hatte, durch die beständig eigesogene Feuchtigkeit eine solche
Konsistenz gewannen, daß mau sie auf den Boden stellen konnte, ohne daß sie
unsteten -- sie gaben den Masurer und Lithauer Hinterwäldlern ganz das An¬
sehen von Eisbären, die sich zum Spaß mit einer rothen Mütze ausgeputzt hatten.
Die Königsberger Universität war von den demagogischen Umtrieben der zwanzi¬
ger und dreißiger Jahre nicht berührt worden. Es hatte eine Burschenschaft exi-
stirt, sie hatte sich aber selber aufgelöst, weil sie nichts mit sich anzufangen
wußte, und die Koryphäen derselben hatten sich als Corps constituirt, eine Form
der studentischen Maskerade, die am Pregel als eine Neuerung das naive Lands-
mannschafterwesen unterbrach. Man sing einmal eine Untersuchung wegen staats-
gefährlicher Verbindungen an und entdeckte, daß die eine Verbindung ein Wap¬
pen habe, worin zwar der Preußische Adler, aber auch einige Embleme von be¬
denklichem Jacobinismus wäre"; da indessen die patriarchalische Negierung der
Universität sehr gemüthlich war, so begnügte man sich damit, die Betheiligten vor
fernern demagogischen Umtrieben zu warnen. Es gab allerdings eine legitime und
eine modern aufgeklärte Partei: die Rothhäute tranken Bier und Schnaps, lagen
täglich auf der Mensur, trugen Fläusche und gingen mit Mienen einher, in de¬
nen das ganze Bewußtsein des Comments sich ausprägte; die Mut'ees tranken Thee,
lasen Stücke mit vertheilten Rollen und kleideten sich in reactionäre Tuchröcke.
Im Ganzen herrschte eine große Faulheit, und der allerdings vorhandene Libera¬
lismus hielt sich sehr im Allgemeinen. Rosenkranz suchte auf die Gesinnung
wie auf die Gesammtbildung einzuwirken, insofern mit Glück, als der Provinciale
doch nun sich einige Phrasen der deutschen Cultur aneignen konnte; der Bevor¬
zugte lernte über Kant, Schiller und andere Schriftsteller mit Anstand sprechen;


war sich daher dieses seines Inhalts noch gar nicht bewußt, bis die Eigenthüm¬
lichkeit der Umstände ihn dahin wies.

Die Jugend machte sichs leichter, sie hielt sich an die Kritik. In der Sie¬
gelten Konditorei hatte sich ein Kränzchen des schöngeistigen Liberalismus ge¬
bildet, aus „geistreichen" Dilettanten zusammengesetzt; Walesrode, nachmals
durch seine humoristischen Ausfälle bekannt, war die Seele desselben. Man trieb
hier die Politik mit dem Bewußtsein eines superiören Standpunktes, man machte
Witze auf das Militär, man hänselte die Ovscurmiteu — z. B. den bekannten
Rintel, der sich das Recht des Kölner Erzbischofs klar machte, katholisch wurde
und die erst ultramontane, jetzt radikale Oderzeitung redigirte — man war über
Vieles hinaus, kurz es war ziemlich ein Berliner Wesen, wie denn auch die Ele¬
mente dieses Kreises Königsberg in keiner Weise angehörten.

Wenn etwas geeignet war, jenen Sagen über die Urwäldlichkeit Königsberg's
Glauben zu verschaffen, so war es das Studentenleben. Diese weißen, zottigen
Fläusche, die man Winter und Sommer trug und die bei der beständigen Routine
im Löbenichtschen Urbier, dessen naturwüchsige Ursprünglichkeit das Bairische Ideal
noch nicht verdrängt hatte, durch die beständig eigesogene Feuchtigkeit eine solche
Konsistenz gewannen, daß mau sie auf den Boden stellen konnte, ohne daß sie
unsteten — sie gaben den Masurer und Lithauer Hinterwäldlern ganz das An¬
sehen von Eisbären, die sich zum Spaß mit einer rothen Mütze ausgeputzt hatten.
Die Königsberger Universität war von den demagogischen Umtrieben der zwanzi¬
ger und dreißiger Jahre nicht berührt worden. Es hatte eine Burschenschaft exi-
stirt, sie hatte sich aber selber aufgelöst, weil sie nichts mit sich anzufangen
wußte, und die Koryphäen derselben hatten sich als Corps constituirt, eine Form
der studentischen Maskerade, die am Pregel als eine Neuerung das naive Lands-
mannschafterwesen unterbrach. Man sing einmal eine Untersuchung wegen staats-
gefährlicher Verbindungen an und entdeckte, daß die eine Verbindung ein Wap¬
pen habe, worin zwar der Preußische Adler, aber auch einige Embleme von be¬
denklichem Jacobinismus wäre»; da indessen die patriarchalische Negierung der
Universität sehr gemüthlich war, so begnügte man sich damit, die Betheiligten vor
fernern demagogischen Umtrieben zu warnen. Es gab allerdings eine legitime und
eine modern aufgeklärte Partei: die Rothhäute tranken Bier und Schnaps, lagen
täglich auf der Mensur, trugen Fläusche und gingen mit Mienen einher, in de¬
nen das ganze Bewußtsein des Comments sich ausprägte; die Mut'ees tranken Thee,
lasen Stücke mit vertheilten Rollen und kleideten sich in reactionäre Tuchröcke.
Im Ganzen herrschte eine große Faulheit, und der allerdings vorhandene Libera¬
lismus hielt sich sehr im Allgemeinen. Rosenkranz suchte auf die Gesinnung
wie auf die Gesammtbildung einzuwirken, insofern mit Glück, als der Provinciale
doch nun sich einige Phrasen der deutschen Cultur aneignen konnte; der Bevor¬
zugte lernte über Kant, Schiller und andere Schriftsteller mit Anstand sprechen;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/446>, abgerufen am 29.06.2024.