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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Berlin und dadurch die an sich schon schiefe Stellung eines unproductiven Berufs
noch erschwert. In Berlin herrscht wenigstens unter einem großen Theile der
Offiziere das Bedürfniß der Bildung, man sieht sie vielfach in den Collegien,
gemischt unter die Studenten, in sorgfältigem Nachschreiben beschäftigt. In Kö¬
nigsberg galt das nicht für fashionable, wozu freilich die abscheuliche Localität
des Universitätsgebäudes das ihrige beigetragen haben mag, man füllte seine Zeit
mit Pharao und ähnlicher Beschäftigung aus. Das allgemeine Gerücht, daß der
Kronprinz den Adel und die Pietisten wieder begünstigen werde, hatte sich auch
hierher verbreitet, obgleich das Organ der nachmals herrschenden Partei, das Ber¬
liner politische Wochenblatt, wenig Eingang fand, und die einzelnen Züge, die
man aus seinem Leben in einer Masse, die mit den altenfritzenschen Anecdoten
wetteifern konnten, erzählte, schmeckten zu sehr nach Berlin, seinem blasirten Witz
und seiner Arroganz, als daß sie der innerlichen, reflectirten Denkweise der Ost¬
preußen zusagen konnten.

Eine andere Art der Opposition setzte sich bei einem Theil der Aristokratie
sest. Es war der engere Umgang des Oberpräsidenten v. Schön. Dieser Staats¬
mann ans der alten Stein'schen Zeit, die seit 1822 dnrch die Reaction gegen das
Gespenst der Demagogie in den Hintergrund gedrängt war, hat später in dem
bekannten "Woher und wohin?" eine Art politischen Glaubensbekenntnisses
veröffentlicht. Es fordert wesentlich Einschränkung der Bureaukratie zu Gunsten
der ständischen Selbstregierung. Schön war in der Provinz nicht gerade populär,
sein brüskes Wesen hatte oft verletzt und er galt als Aristokrat. Es war eigent-
lich nur eine kleine Partei adeliger Grundbesitzer, die Auerwalds u. s. w., die
auf seine Ideen eingingen. Er, wie seine Partei hofften auf eine Zukunft; sie
waren mit dem Kronprinzen zum Theil persönlich befreundet und rechneten aus
eine nähere Einigung. Auch sie wollten nicht radikales Abbrechen mit der Ver
gangenheit, sondern ein "organisches Fortbilden" auf dem bestehenden Rechtsboden.
Die Provinzialstände waren das einzige größere ständische Institut, sie hatten zu¬
gleich etwas Naturwüchsiges und Liberales, von ihnen sollte also die weitere
Entwickelung ausgehen. Aber sie hatten keinen Halt im Volke; man horte nichts
von ihnen, als die Landtagsabschiede, wo man dann erfuhr, daß sie über ver
schiedene Gegenstände, die in der Regel nur ein höchst locales und particuläres
Interesse hatten, eine Bittschrift eingereicht hätten und abschläglich beschieden wä>
ren. Man kümmerte sich daher im Ganzen wenig um die Wahlen; der Bürger-
stand war wegen der beschränkenden Bedingungen sehr schlecht vertreten und die
Bureaukratie mit ihren Accidentien, Gerichten u. s. w., hatte immer wenigsten"
den Vorzug größerer Einsicht voraus, ja. sie war im Ganzen demokratischer,
man gelangte zu ihr nicht durch zehnjährigen Grundbesitz, sondern dnrch ein EM
men. Der Polizeistaat mußte es arg macheu, wenn man auf diese Neste der
alten Feudalität seine Hoffnung setzen wollte. Der oppvsitMielle Liberalismus


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Berlin und dadurch die an sich schon schiefe Stellung eines unproductiven Berufs
noch erschwert. In Berlin herrscht wenigstens unter einem großen Theile der
Offiziere das Bedürfniß der Bildung, man sieht sie vielfach in den Collegien,
gemischt unter die Studenten, in sorgfältigem Nachschreiben beschäftigt. In Kö¬
nigsberg galt das nicht für fashionable, wozu freilich die abscheuliche Localität
des Universitätsgebäudes das ihrige beigetragen haben mag, man füllte seine Zeit
mit Pharao und ähnlicher Beschäftigung aus. Das allgemeine Gerücht, daß der
Kronprinz den Adel und die Pietisten wieder begünstigen werde, hatte sich auch
hierher verbreitet, obgleich das Organ der nachmals herrschenden Partei, das Ber¬
liner politische Wochenblatt, wenig Eingang fand, und die einzelnen Züge, die
man aus seinem Leben in einer Masse, die mit den altenfritzenschen Anecdoten
wetteifern konnten, erzählte, schmeckten zu sehr nach Berlin, seinem blasirten Witz
und seiner Arroganz, als daß sie der innerlichen, reflectirten Denkweise der Ost¬
preußen zusagen konnten.

Eine andere Art der Opposition setzte sich bei einem Theil der Aristokratie
sest. Es war der engere Umgang des Oberpräsidenten v. Schön. Dieser Staats¬
mann ans der alten Stein'schen Zeit, die seit 1822 dnrch die Reaction gegen das
Gespenst der Demagogie in den Hintergrund gedrängt war, hat später in dem
bekannten „Woher und wohin?" eine Art politischen Glaubensbekenntnisses
veröffentlicht. Es fordert wesentlich Einschränkung der Bureaukratie zu Gunsten
der ständischen Selbstregierung. Schön war in der Provinz nicht gerade populär,
sein brüskes Wesen hatte oft verletzt und er galt als Aristokrat. Es war eigent-
lich nur eine kleine Partei adeliger Grundbesitzer, die Auerwalds u. s. w., die
auf seine Ideen eingingen. Er, wie seine Partei hofften auf eine Zukunft; sie
waren mit dem Kronprinzen zum Theil persönlich befreundet und rechneten aus
eine nähere Einigung. Auch sie wollten nicht radikales Abbrechen mit der Ver
gangenheit, sondern ein „organisches Fortbilden" auf dem bestehenden Rechtsboden.
Die Provinzialstände waren das einzige größere ständische Institut, sie hatten zu¬
gleich etwas Naturwüchsiges und Liberales, von ihnen sollte also die weitere
Entwickelung ausgehen. Aber sie hatten keinen Halt im Volke; man horte nichts
von ihnen, als die Landtagsabschiede, wo man dann erfuhr, daß sie über ver
schiedene Gegenstände, die in der Regel nur ein höchst locales und particuläres
Interesse hatten, eine Bittschrift eingereicht hätten und abschläglich beschieden wä>
ren. Man kümmerte sich daher im Ganzen wenig um die Wahlen; der Bürger-
stand war wegen der beschränkenden Bedingungen sehr schlecht vertreten und die
Bureaukratie mit ihren Accidentien, Gerichten u. s. w., hatte immer wenigsten«
den Vorzug größerer Einsicht voraus, ja. sie war im Ganzen demokratischer,
man gelangte zu ihr nicht durch zehnjährigen Grundbesitz, sondern dnrch ein EM
men. Der Polizeistaat mußte es arg macheu, wenn man auf diese Neste der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/445>, abgerufen am 28.09.2024.