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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Frage stellen wurde. Daß überhaupt Deutschland, das bis jetzt nur seinen 24.
Februar gehabt, anch noch seinem 15. Mai und 21. Juni entgegengeht, wird
wohl keinem mehr entgehen, der noch irgend ein Auge hat.

Ein 21. Juni wäre bei uns viel gefährlicher als in Frankreich, weil er
dort sich an Einem Ort zusammenzieht, bei uns aber fieberhaft den ganzen Orga¬
nismus durchbeben würde. Nur dadurch kann die Gefahr eines solchen Zusam¬
menstoßes vermindert werden, wenn die constitutionelle Partei sich centralisirt.
Das kann sie aber nur in der Reichsgewalt und in der Nationalversammlung.

Die Ereignisse haben es klar herausgestellt, was wir uns selber gern ver¬
schwiegen hätten: Die einzelnen Staaten, wenn sie nicht unbedingt
in das Reich aufgehen, haben keine Lebensfähigkeit mehr. Ich
meine das nicht blos in dem Sinn, daß sie, isolirt, nicht mehr die alte Macht,
den alten Einfluß behaupten können, sondern ganz wörtlich: isolirt, stürzen sie zu¬
sammen !

Die constitutionelle Partei, welche für den Augenblick in Preußen regiert,
möge sich das klar macheu. Ans der einen Seite die rothe Republik, die mit dem
fanatischen Jesuitismns dieser Partei jedes Mittel, z. B. auch die Fahne der von
ihr sonst so sehr verachteten Centralgewalt, benutzt, um die Regierung -- sei es
welche eS wolle, zu stürzen; auf der andern die Aristokratie, die sich schon zusam-
mcuthut, um den heilsamen Reformen des Gouvernements einen verhängnißvollen
Widerstand entgegenzusetzen und die sich bei dieser Bestrebung ans einen Theil
der Armee und auch wohl auf den Hof stützt; endlich eine Constituante, die jeden
Augenblick etwas anderes will und der es wohl gelingen möchte, die Kraft der Re¬
gierung zu lähmen, aber nie, sie zu stützen: die schlechteste Volksvertretung, welche
bisher in der Geschichte vorgekommen ist.

So steht es in Preußen. Dagegen in Frankfurt eine verständige, wohl orga-
nisirte Versammlung, welche die besten Garantien einer zweckmäßigen Gesetzgebung
gibt, eine Centralgewalt, die eben so energisch als rücksichtsvoll gegen die
einzelnen Mächte, namentlich gegen Preußen auftritt, so wenig ihr dieses
entgegen kommt; eine Gewalt, die außerdem, wo es irgend noch gesunde Menschen
gibt, das Vertrauen der Nation besitzt, wahrend Preußen überall scheel ange¬
sehen wird.

Bleibt hier noch eine Wahl! -- Nur diese: sich Stück für Stück, ohne Nutzen
und ohne Dank, entwinden zu lassen, was man doch nicht behaupten kann, oder
in freiem Entschluß ein Opfer zu bringen, das tausendfältige Früchte tragen muß.

Wir waren früher der Ansicht, daß die organische Entwickelung der einzelnen
Staaten eine gesündere sein und größere Lebensfähigkeit haben würde, auch unter den
neuen demokratischen Formen, als die künstliche und zunächst doch nur mechanische
Zusammensetzung des Reichs, das ohne allen Boden zu sein schien. Wir haben
in dieser Voraussetzung überall die augenscheinliche Neigung der östreichischen und


Frage stellen wurde. Daß überhaupt Deutschland, das bis jetzt nur seinen 24.
Februar gehabt, anch noch seinem 15. Mai und 21. Juni entgegengeht, wird
wohl keinem mehr entgehen, der noch irgend ein Auge hat.

Ein 21. Juni wäre bei uns viel gefährlicher als in Frankreich, weil er
dort sich an Einem Ort zusammenzieht, bei uns aber fieberhaft den ganzen Orga¬
nismus durchbeben würde. Nur dadurch kann die Gefahr eines solchen Zusam¬
menstoßes vermindert werden, wenn die constitutionelle Partei sich centralisirt.
Das kann sie aber nur in der Reichsgewalt und in der Nationalversammlung.

Die Ereignisse haben es klar herausgestellt, was wir uns selber gern ver¬
schwiegen hätten: Die einzelnen Staaten, wenn sie nicht unbedingt
in das Reich aufgehen, haben keine Lebensfähigkeit mehr. Ich
meine das nicht blos in dem Sinn, daß sie, isolirt, nicht mehr die alte Macht,
den alten Einfluß behaupten können, sondern ganz wörtlich: isolirt, stürzen sie zu¬
sammen !

Die constitutionelle Partei, welche für den Augenblick in Preußen regiert,
möge sich das klar macheu. Ans der einen Seite die rothe Republik, die mit dem
fanatischen Jesuitismns dieser Partei jedes Mittel, z. B. auch die Fahne der von
ihr sonst so sehr verachteten Centralgewalt, benutzt, um die Regierung — sei es
welche eS wolle, zu stürzen; auf der andern die Aristokratie, die sich schon zusam-
mcuthut, um den heilsamen Reformen des Gouvernements einen verhängnißvollen
Widerstand entgegenzusetzen und die sich bei dieser Bestrebung ans einen Theil
der Armee und auch wohl auf den Hof stützt; endlich eine Constituante, die jeden
Augenblick etwas anderes will und der es wohl gelingen möchte, die Kraft der Re¬
gierung zu lähmen, aber nie, sie zu stützen: die schlechteste Volksvertretung, welche
bisher in der Geschichte vorgekommen ist.

So steht es in Preußen. Dagegen in Frankfurt eine verständige, wohl orga-
nisirte Versammlung, welche die besten Garantien einer zweckmäßigen Gesetzgebung
gibt, eine Centralgewalt, die eben so energisch als rücksichtsvoll gegen die
einzelnen Mächte, namentlich gegen Preußen auftritt, so wenig ihr dieses
entgegen kommt; eine Gewalt, die außerdem, wo es irgend noch gesunde Menschen
gibt, das Vertrauen der Nation besitzt, wahrend Preußen überall scheel ange¬
sehen wird.

Bleibt hier noch eine Wahl! — Nur diese: sich Stück für Stück, ohne Nutzen
und ohne Dank, entwinden zu lassen, was man doch nicht behaupten kann, oder
in freiem Entschluß ein Opfer zu bringen, das tausendfältige Früchte tragen muß.

Wir waren früher der Ansicht, daß die organische Entwickelung der einzelnen
Staaten eine gesündere sein und größere Lebensfähigkeit haben würde, auch unter den
neuen demokratischen Formen, als die künstliche und zunächst doch nur mechanische
Zusammensetzung des Reichs, das ohne allen Boden zu sein schien. Wir haben
in dieser Voraussetzung überall die augenscheinliche Neigung der östreichischen und


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[0395] Frage stellen wurde. Daß überhaupt Deutschland, das bis jetzt nur seinen 24. Februar gehabt, anch noch seinem 15. Mai und 21. Juni entgegengeht, wird wohl keinem mehr entgehen, der noch irgend ein Auge hat. Ein 21. Juni wäre bei uns viel gefährlicher als in Frankreich, weil er dort sich an Einem Ort zusammenzieht, bei uns aber fieberhaft den ganzen Orga¬ nismus durchbeben würde. Nur dadurch kann die Gefahr eines solchen Zusam¬ menstoßes vermindert werden, wenn die constitutionelle Partei sich centralisirt. Das kann sie aber nur in der Reichsgewalt und in der Nationalversammlung. Die Ereignisse haben es klar herausgestellt, was wir uns selber gern ver¬ schwiegen hätten: Die einzelnen Staaten, wenn sie nicht unbedingt in das Reich aufgehen, haben keine Lebensfähigkeit mehr. Ich meine das nicht blos in dem Sinn, daß sie, isolirt, nicht mehr die alte Macht, den alten Einfluß behaupten können, sondern ganz wörtlich: isolirt, stürzen sie zu¬ sammen ! Die constitutionelle Partei, welche für den Augenblick in Preußen regiert, möge sich das klar macheu. Ans der einen Seite die rothe Republik, die mit dem fanatischen Jesuitismns dieser Partei jedes Mittel, z. B. auch die Fahne der von ihr sonst so sehr verachteten Centralgewalt, benutzt, um die Regierung — sei es welche eS wolle, zu stürzen; auf der andern die Aristokratie, die sich schon zusam- mcuthut, um den heilsamen Reformen des Gouvernements einen verhängnißvollen Widerstand entgegenzusetzen und die sich bei dieser Bestrebung ans einen Theil der Armee und auch wohl auf den Hof stützt; endlich eine Constituante, die jeden Augenblick etwas anderes will und der es wohl gelingen möchte, die Kraft der Re¬ gierung zu lähmen, aber nie, sie zu stützen: die schlechteste Volksvertretung, welche bisher in der Geschichte vorgekommen ist. So steht es in Preußen. Dagegen in Frankfurt eine verständige, wohl orga- nisirte Versammlung, welche die besten Garantien einer zweckmäßigen Gesetzgebung gibt, eine Centralgewalt, die eben so energisch als rücksichtsvoll gegen die einzelnen Mächte, namentlich gegen Preußen auftritt, so wenig ihr dieses entgegen kommt; eine Gewalt, die außerdem, wo es irgend noch gesunde Menschen gibt, das Vertrauen der Nation besitzt, wahrend Preußen überall scheel ange¬ sehen wird. Bleibt hier noch eine Wahl! — Nur diese: sich Stück für Stück, ohne Nutzen und ohne Dank, entwinden zu lassen, was man doch nicht behaupten kann, oder in freiem Entschluß ein Opfer zu bringen, das tausendfältige Früchte tragen muß. Wir waren früher der Ansicht, daß die organische Entwickelung der einzelnen Staaten eine gesündere sein und größere Lebensfähigkeit haben würde, auch unter den neuen demokratischen Formen, als die künstliche und zunächst doch nur mechanische Zusammensetzung des Reichs, das ohne allen Boden zu sein schien. Wir haben in dieser Voraussetzung überall die augenscheinliche Neigung der östreichischen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/395>, abgerufen am 29.06.2024.