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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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sich durch eine Unbesonnenheit -- die der sonst so bedächtige Mann doch zuweilen
begeht -- seinen Stand erschwerte. Ohne gewählt zu sein, ging er in die Ver¬
sammlung der in Frankfurt angekommenen Deputaten, nud das benutzten in Leipzig
nicht nnr seine politischen Gegner, sondern auch einige seiner Parteigenossen, die
ihn persönlich nicht leiden konnten, um sich gegen seine Wahl zu erklären. Den¬
noch überwog sein Anhang, und Robert Blum sitzt als Vertreter Leipzigs in der
ersten deutscheu Constituante.

Von jetzt an müssen wir seine Wirksamkeit genauer unterscheiden: als Partei-
chef, als Redner, als Demagog und als Schriftsteller.

Er ist im Parlament der anerkannte Chef der "Linken", mit Ausschluß einiger
dreißig Mitglieder, die alö "äußerste Linke" unter Ruge's Führung eine unab¬
hängige Stellung eingenommen haben. Die Programme beider Fractionen weichen
im Wesentlichen nicht von einander ab; sie sind bereits in dielen Blättern kririsirt
worden. Doch unterscheiden sie sich in ihrer Haltung: die "äußerste" Linke trägt
ihre Uebereinstimmung mit der in Baden geschlagenen Partei, so wie mit den de¬
mokratischen und republikanischen Vereinen offen zur Schau, die "Linke" cachirt
sie wenigstens in ihren officiellen Handlungen. Man muß bei ihrer Thätigkeit
zwischen dem Zweck und den Mitteln unterscheiden; der angegebene Zweck, eine
für die Gesammtheit Deutschlands republikanische Regierungsform, hatte -- wenig¬
stens bis zur Entscheidung der Sache durch die Wahl des Reichsverwesers --
eben so viel Berechtigung als die entgegengesetzte Ansicht, obgleich die Vorliebe
für die kleinen Monarchien, namentlich für Sachsen, die Blum mit so viel Ge¬
müthlichkeit zur Schau trägt und in deren Namen er sogar die Reichsverweser-
schaft bekämpfte, weil sie der Souveränität der kleinen Staaten Abbruch thue zu
Gunsten der großen Hänser, in einem wunderlichen Verhältniß steht zu dem eben
so zur Schau getragenen Haß gegen die Selbstständigkeit der großem Staaten,
insbesondere Preußens. Dagegen sind die Mittel, welche sie anwendet, um für
ihre Ansichten Propaganda zu machen, höchst verwerflicher Natur. Das erste
Auftreten Blum's war die Mainzer Angelegenheit, ein schlechter Abklatsch der
Aachener Geschichte, die einen um so widerwärtigern Eindruck machte, da die neue
Versammlung einen wesentlich andern Charakter trug als der Fünfziger-Ausschuß.
Gleich darauf die mysteriöse Erzählung von der Verschwörung des preußischen
Cabinets gegen die Nationalversammlung, die durch Schassrath's Bemerkung: ei¬
nem Volksmann wie Blum müsse man alles glauben, auch wenn er nichts bewiese,
anch wenn ein Minister (jeder Minister ist vo ipse" ein Ungeheuer) ihn Lügen
strafe, um nichts gebessert wurde. Blum konnte sagen: Herr behüte mich vor
meinen Freunden!

Nachdem dnrch die Einsetzung der Centralgewalt und die Einstimmung der
Regierungen der neue Rechtszustand Deutschlands festgesetzt war, wurde die Stellung
Blum's und seiner Partei eine mißlichere. Bis dahin stand er im Princip mit


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sich durch eine Unbesonnenheit — die der sonst so bedächtige Mann doch zuweilen
begeht — seinen Stand erschwerte. Ohne gewählt zu sein, ging er in die Ver¬
sammlung der in Frankfurt angekommenen Deputaten, nud das benutzten in Leipzig
nicht nnr seine politischen Gegner, sondern auch einige seiner Parteigenossen, die
ihn persönlich nicht leiden konnten, um sich gegen seine Wahl zu erklären. Den¬
noch überwog sein Anhang, und Robert Blum sitzt als Vertreter Leipzigs in der
ersten deutscheu Constituante.

Von jetzt an müssen wir seine Wirksamkeit genauer unterscheiden: als Partei-
chef, als Redner, als Demagog und als Schriftsteller.

Er ist im Parlament der anerkannte Chef der „Linken", mit Ausschluß einiger
dreißig Mitglieder, die alö „äußerste Linke" unter Ruge's Führung eine unab¬
hängige Stellung eingenommen haben. Die Programme beider Fractionen weichen
im Wesentlichen nicht von einander ab; sie sind bereits in dielen Blättern kririsirt
worden. Doch unterscheiden sie sich in ihrer Haltung: die „äußerste" Linke trägt
ihre Uebereinstimmung mit der in Baden geschlagenen Partei, so wie mit den de¬
mokratischen und republikanischen Vereinen offen zur Schau, die „Linke" cachirt
sie wenigstens in ihren officiellen Handlungen. Man muß bei ihrer Thätigkeit
zwischen dem Zweck und den Mitteln unterscheiden; der angegebene Zweck, eine
für die Gesammtheit Deutschlands republikanische Regierungsform, hatte — wenig¬
stens bis zur Entscheidung der Sache durch die Wahl des Reichsverwesers —
eben so viel Berechtigung als die entgegengesetzte Ansicht, obgleich die Vorliebe
für die kleinen Monarchien, namentlich für Sachsen, die Blum mit so viel Ge¬
müthlichkeit zur Schau trägt und in deren Namen er sogar die Reichsverweser-
schaft bekämpfte, weil sie der Souveränität der kleinen Staaten Abbruch thue zu
Gunsten der großen Hänser, in einem wunderlichen Verhältniß steht zu dem eben
so zur Schau getragenen Haß gegen die Selbstständigkeit der großem Staaten,
insbesondere Preußens. Dagegen sind die Mittel, welche sie anwendet, um für
ihre Ansichten Propaganda zu machen, höchst verwerflicher Natur. Das erste
Auftreten Blum's war die Mainzer Angelegenheit, ein schlechter Abklatsch der
Aachener Geschichte, die einen um so widerwärtigern Eindruck machte, da die neue
Versammlung einen wesentlich andern Charakter trug als der Fünfziger-Ausschuß.
Gleich darauf die mysteriöse Erzählung von der Verschwörung des preußischen
Cabinets gegen die Nationalversammlung, die durch Schassrath's Bemerkung: ei¬
nem Volksmann wie Blum müsse man alles glauben, auch wenn er nichts bewiese,
anch wenn ein Minister (jeder Minister ist vo ipse» ein Ungeheuer) ihn Lügen
strafe, um nichts gebessert wurde. Blum konnte sagen: Herr behüte mich vor
meinen Freunden!

Nachdem dnrch die Einsetzung der Centralgewalt und die Einstimmung der
Regierungen der neue Rechtszustand Deutschlands festgesetzt war, wurde die Stellung
Blum's und seiner Partei eine mißlichere. Bis dahin stand er im Princip mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/391>, abgerufen am 29.06.2024.