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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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floh den strafenden Händen und schnitt sich damit die Rückkehr zu seiner kirchlichen
Stellung ab. Blum mußte sich nnn zu einem Handwerk entschließen; er versuchte
es mit der Goldschmiedekunst, zeigte aber dafür so wenig Sinn, daß er sie bald
aufgab, zu einem Gürtler in die Lehre trat und es bei diesem, trotz der entsetz¬
lichsten Behandlung, aushielt. Nach überstandener Lehrzeit, während welcher er
wenig gelernt hatte, ging er aus die Wanderschaft, erfuhr aber an verschiedenen
Plätzen, wo er in Arbeit trat, auf bittere Weise, daß er, um ein tüchtiger Gürt¬
ler zu sein, noch manche Lücke auszufüllen habe. Er kehrte nach Köln zurück und
fand endlich hier in der Laternenfabrik von F. W. Schwitz eine Stellung, in der
er zum ersten Male die ihm verliehenen geistigen Gaben mit Erfolg zur Anwen-
dung bringen konnte. Der Besitzer der Fabrik erkannte sehr bald Blum'ö Fähig¬
keiten; er schenkte ihm sein volles Vertrauen und nahm ihn mit ans Reisen durch
einzelne Staaten des südlichen Deutschlands. Während dieser Reisen verweilte
Blum ein halbes Jahr in München und zum ersten Male erkannte er, daß das
Leben, das für ihn bisher ein Dornenpfad gewesen, auch Freuden biete, Der
Fabrikant Schmitz ging nach Berlin, Blum folgte ihm dorthin und war hier be¬
müht, dnrch unablässiges Selbststudium den bis dahin noch dürftigen Schatz sei¬
nes Wissens zu vermehren. Die Erfüllung der Militärpflicht, dann die Reise
des Schmitz nach Belgien und Frankreich, störten Blum's Verhältnisse; er ging
im August 1830 mit einem dürftigen Reisegeld nach Köln, und mußte hier, um
seine, mit dem bittersten Mangel kämpfenden Eltern unterstützen zu können, die
untergeordnete Stelle eines Theaterdieners bei dem Direktor Ringelhardt anneh¬
men, der ihn jedoch ein Jahr später, nachdem er die Direktion des Leipziger
Theaters übernommen, dorthin berief und ihn als Theatersekretär, Bibliothekar
und Hilfskasstrer anstellte. Von diesem Angellblicke an widmete sich Blum der
schriftstellerischen Thätigkeit dnrch Mitwirkung an verschiedenen Zeitschriften und
größeren Werken, und seit dem Jahre !,85!7 betrat er auch das politische Feld,
zunächst als Sprecher derjenigen Deputation Leipziger Bürger, welche den sächsi¬
schen Abgeordneten Todt und Dieskau einen Ehrenbecher zu überreichen hatte."

Soweit der befreundete Biograph. Wir setzen nnn aus eigner Anschauung
weiter fort.

Die Wirksamkeit eines Volksmanns wird stets unter localen Bedingungen
stehen. Die eigenthümliche Stellung, welche Leipzig in der Politik einnimmt, gab
der Thätigkeit des angehenden Demagogen Stoss und Richtung.

Leipzig geht den übrigen sächsischen Städten in der politischen Betriebsamkeit
voran. Dresden lebt zum großen Theil vom Hof und von den Fremden, es läßt
sich durch die schöne Natur seiner Umgebungen, seine Kunstschätze und Kuriositäten
erhalten. Leipzig, als bedeutende Handelsstadt, hat ein autonomes Leben; es ist
zwar auch eine bewegliche Kolonie von Fremden, aber die Meßjuden wie die Li-
teraten, Gesellen und Studenten werden genöthigt, in nähere Beziehungen zu


floh den strafenden Händen und schnitt sich damit die Rückkehr zu seiner kirchlichen
Stellung ab. Blum mußte sich nnn zu einem Handwerk entschließen; er versuchte
es mit der Goldschmiedekunst, zeigte aber dafür so wenig Sinn, daß er sie bald
aufgab, zu einem Gürtler in die Lehre trat und es bei diesem, trotz der entsetz¬
lichsten Behandlung, aushielt. Nach überstandener Lehrzeit, während welcher er
wenig gelernt hatte, ging er aus die Wanderschaft, erfuhr aber an verschiedenen
Plätzen, wo er in Arbeit trat, auf bittere Weise, daß er, um ein tüchtiger Gürt¬
ler zu sein, noch manche Lücke auszufüllen habe. Er kehrte nach Köln zurück und
fand endlich hier in der Laternenfabrik von F. W. Schwitz eine Stellung, in der
er zum ersten Male die ihm verliehenen geistigen Gaben mit Erfolg zur Anwen-
dung bringen konnte. Der Besitzer der Fabrik erkannte sehr bald Blum'ö Fähig¬
keiten; er schenkte ihm sein volles Vertrauen und nahm ihn mit ans Reisen durch
einzelne Staaten des südlichen Deutschlands. Während dieser Reisen verweilte
Blum ein halbes Jahr in München und zum ersten Male erkannte er, daß das
Leben, das für ihn bisher ein Dornenpfad gewesen, auch Freuden biete, Der
Fabrikant Schmitz ging nach Berlin, Blum folgte ihm dorthin und war hier be¬
müht, dnrch unablässiges Selbststudium den bis dahin noch dürftigen Schatz sei¬
nes Wissens zu vermehren. Die Erfüllung der Militärpflicht, dann die Reise
des Schmitz nach Belgien und Frankreich, störten Blum's Verhältnisse; er ging
im August 1830 mit einem dürftigen Reisegeld nach Köln, und mußte hier, um
seine, mit dem bittersten Mangel kämpfenden Eltern unterstützen zu können, die
untergeordnete Stelle eines Theaterdieners bei dem Direktor Ringelhardt anneh¬
men, der ihn jedoch ein Jahr später, nachdem er die Direktion des Leipziger
Theaters übernommen, dorthin berief und ihn als Theatersekretär, Bibliothekar
und Hilfskasstrer anstellte. Von diesem Angellblicke an widmete sich Blum der
schriftstellerischen Thätigkeit dnrch Mitwirkung an verschiedenen Zeitschriften und
größeren Werken, und seit dem Jahre !,85!7 betrat er auch das politische Feld,
zunächst als Sprecher derjenigen Deputation Leipziger Bürger, welche den sächsi¬
schen Abgeordneten Todt und Dieskau einen Ehrenbecher zu überreichen hatte."

Soweit der befreundete Biograph. Wir setzen nnn aus eigner Anschauung
weiter fort.

Die Wirksamkeit eines Volksmanns wird stets unter localen Bedingungen
stehen. Die eigenthümliche Stellung, welche Leipzig in der Politik einnimmt, gab
der Thätigkeit des angehenden Demagogen Stoss und Richtung.

Leipzig geht den übrigen sächsischen Städten in der politischen Betriebsamkeit
voran. Dresden lebt zum großen Theil vom Hof und von den Fremden, es läßt
sich durch die schöne Natur seiner Umgebungen, seine Kunstschätze und Kuriositäten
erhalten. Leipzig, als bedeutende Handelsstadt, hat ein autonomes Leben; es ist
zwar auch eine bewegliche Kolonie von Fremden, aber die Meßjuden wie die Li-
teraten, Gesellen und Studenten werden genöthigt, in nähere Beziehungen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/376>, abgerufen am 29.06.2024.