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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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ren, rothblonden Bart und ihr habt ungefähr einen Umriß des BlumMen Kop¬
fes. Und dieser Kopf scheint gar nicht, wie bei andern Sterblichen, ans einem
Hals zu sitzen, sondern ist unmittelbar zwischen die breiten Schultern gequetscht,
zwischen denen er sich langsam wie eine schwere Kerkerthüre bewegt. Die ganze
Gestalt des trefflichen Volksmannes hat etwas Plumpes, Schwerfälliges, Un¬
beholfenes."

Man sieht, es ist uicht sehr geschmeichelt, aber es trifft. Man hat Blum's
Aeußeres häufig zu schlechte" Vergleichen benutzt, z. B. hat man in seiner Nase
eine unreife Pflaume sehen wollen, wie Louis Philipp von der Birne nicht los¬
kommt. Wir wollen uns eleganter ausdrücken und Blum einen in eine Satyr-
maske verschlossnen Sokrates nennen.

Ueber sein früheres Leben gibt uns ein anderer Freund ') Auskunft.

"Blum, am 10. November 1807 zu Köln geboren, hat alle die Kenntnisse,
die ihn als praktischen Volksmann auszeichnen, sich durch sich selbst erworben;
denn weder sein Vater, ein verdorbener Theologe, der sich später als Böttcher
kümmerlich nähren mußte und 1815 starb, noch sein Stiefvater, noch auch seine
Mutter, die vor ihrer ersten Ehe der dienenden Klasse angehörte, hatten die Mit¬
tel, die Fähigkeit oder den Willen, auch mir einige Sorgfalt aus seine Erziehung
zu verwenden. Blum's Jugend bis zu seinem zehnten Jahre ist ein düsteres
Nachtbild, in dem alle Arten des menschlichen Elends in den schrecklichsten Schat-
tirungen abwechseln. Nicht genug, daß er bei den niedrigsten häuslichen Arbeiten
die härtesten Entbehrungen ertragen mußte, hatte er auch noch von seinem rohen
Stiefvater die grausamsten Mißhandlungen zu erdulden, und doch behielt er in
solcher Lage Muth und Selbstgefühl genng, um die Zumuthungen seiner Gro߬
mutter, die Noth seiner Eltern durch Betteln zu mildern, entschieden zurückzu¬
weisen. In seinem zehnten Jahre, nachdem die Hungersnoth von 1817 glücklich
überstanden war, erhielt er zum ersten Male in einer Elementarschule Gelegenheit,
sich geistig zu beschäftigen; zwei Jahre später, nachdem er zur Communion gegan¬
gen, wurde er Messediener und hatte als solcher freien Unterricht in der Pfarr¬
schule. In dieser untergeordneten Stellung gerieth der Knabe Blum sehr bald
mit der Geistlichkeit in Streit, und wegen seiner Zweifel an der Transsubstantia-
tion wurde er sogar vor eine Art Inquisitionstribunal gestellt, dem er die Zwei¬
fel mit um so größerer Entschiedenheit aussprach, da dieselben nur durch Ver¬
letzung des Beichtgeheimnisses mehreren Geistlichen bekannt geworden sein konnten,
und er hieraus schloß, daß, wenn man mit dem Sakrament der Beichte solch ar¬
ges Spiel treibe, auch der Glaube an alle übrigen Lehrsätze erschüttert werden
müsse. Die starke Logik des Knaben versetzte seine geistlichen Richter in großen
Zorn, und einer derselben wollte ihn aus der Stelle dafür züchtigen; aber er ent-



*) Aus demselben Blatte.
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ren, rothblonden Bart und ihr habt ungefähr einen Umriß des BlumMen Kop¬
fes. Und dieser Kopf scheint gar nicht, wie bei andern Sterblichen, ans einem
Hals zu sitzen, sondern ist unmittelbar zwischen die breiten Schultern gequetscht,
zwischen denen er sich langsam wie eine schwere Kerkerthüre bewegt. Die ganze
Gestalt des trefflichen Volksmannes hat etwas Plumpes, Schwerfälliges, Un¬
beholfenes."

Man sieht, es ist uicht sehr geschmeichelt, aber es trifft. Man hat Blum's
Aeußeres häufig zu schlechte» Vergleichen benutzt, z. B. hat man in seiner Nase
eine unreife Pflaume sehen wollen, wie Louis Philipp von der Birne nicht los¬
kommt. Wir wollen uns eleganter ausdrücken und Blum einen in eine Satyr-
maske verschlossnen Sokrates nennen.

Ueber sein früheres Leben gibt uns ein anderer Freund ') Auskunft.

„Blum, am 10. November 1807 zu Köln geboren, hat alle die Kenntnisse,
die ihn als praktischen Volksmann auszeichnen, sich durch sich selbst erworben;
denn weder sein Vater, ein verdorbener Theologe, der sich später als Böttcher
kümmerlich nähren mußte und 1815 starb, noch sein Stiefvater, noch auch seine
Mutter, die vor ihrer ersten Ehe der dienenden Klasse angehörte, hatten die Mit¬
tel, die Fähigkeit oder den Willen, auch mir einige Sorgfalt aus seine Erziehung
zu verwenden. Blum's Jugend bis zu seinem zehnten Jahre ist ein düsteres
Nachtbild, in dem alle Arten des menschlichen Elends in den schrecklichsten Schat-
tirungen abwechseln. Nicht genug, daß er bei den niedrigsten häuslichen Arbeiten
die härtesten Entbehrungen ertragen mußte, hatte er auch noch von seinem rohen
Stiefvater die grausamsten Mißhandlungen zu erdulden, und doch behielt er in
solcher Lage Muth und Selbstgefühl genng, um die Zumuthungen seiner Gro߬
mutter, die Noth seiner Eltern durch Betteln zu mildern, entschieden zurückzu¬
weisen. In seinem zehnten Jahre, nachdem die Hungersnoth von 1817 glücklich
überstanden war, erhielt er zum ersten Male in einer Elementarschule Gelegenheit,
sich geistig zu beschäftigen; zwei Jahre später, nachdem er zur Communion gegan¬
gen, wurde er Messediener und hatte als solcher freien Unterricht in der Pfarr¬
schule. In dieser untergeordneten Stellung gerieth der Knabe Blum sehr bald
mit der Geistlichkeit in Streit, und wegen seiner Zweifel an der Transsubstantia-
tion wurde er sogar vor eine Art Inquisitionstribunal gestellt, dem er die Zwei¬
fel mit um so größerer Entschiedenheit aussprach, da dieselben nur durch Ver¬
letzung des Beichtgeheimnisses mehreren Geistlichen bekannt geworden sein konnten,
und er hieraus schloß, daß, wenn man mit dem Sakrament der Beichte solch ar¬
ges Spiel treibe, auch der Glaube an alle übrigen Lehrsätze erschüttert werden
müsse. Die starke Logik des Knaben versetzte seine geistlichen Richter in großen
Zorn, und einer derselben wollte ihn aus der Stelle dafür züchtigen; aber er ent-



*) Aus demselben Blatte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/375>, abgerufen am 29.06.2024.