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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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so lange spinnen, seine Aepfelstnen so lange rollen, bis sie ein festes Band ge¬
webt, und eine breite Straße gerollt haben zwischen Italien und Oestreich. Ein
ehrliches und freundschaftliches Verhältniß zwischen zwei freien Völkern wird die
nothwendige Folge sein. In einer Ausbildung der verständigen Interessen Ita¬
liens liegt für Oestreich die sichere und einzige Aussicht Italien an sich zu fesseln,
und es wird vortheilhafter sein, wenn die Küstenstädte von Venedig bis Messina
in den Finanzbüchern der östreichischen Kaufleute, statt in denen des Staates
stehen.

Abgesehen von Italien hat die Frage, ist Oestreich zu groß oder zu klein?
folgenden Sinn. Versteht Oestreich seine Idee und Aufgabe so, daß es in sei¬
nem Organismus darzustellen habe eine brüderliche Verbindung der Deutsche" mit
ihren jüngern östlichen Nachbarn, eine Verbindung, bei welcher die Deutschen
ihre industrielle und wissenschaftliche Bildung, die Organisationskraft ihres Bür-
gerthums und ihre theoretisch gewonnene Freiheit austauschen gegen die frische
Kraft und Energie und den Bvdenrcichthum der Nachbarvölker, verstehen Sie die
Politik Ihres Staates so, dann ist Oestreich in seiner jetzigen Ausdehnung zu
klein; denn die einzelnen Theile des Kaiserstaates leiden an dem Unglück, keine
feste geographische Organisation zu haben. Zwar ist Ungarn, das Mittelland der
Donau, an sein Oberland Oestreich, nicht nur durch Geschichte und slavische
Antipathien, sondern auch dadurch gebunden, daß seine Handelswege sich zumeist
nach Deutschland öffnen, zwar ist noch Siebenbürgen durch seine Grenzberge und
Kolonisation gegen den Osten verpallisadirt, aber das Königreich Dalmatien ist
nur das Vorland von Bosnien und Serbien, Gallizien hat nach Deutschland hin
nur das eine Thor Krakau, seine Abdachung, seine Flüsse und seine Sehnsucht
gehen uach Polen und Rußland, und die Königreiche Kroatien und Slavonien,
so wie das künstliche Bollwerk Oestreichs, die Militärgrenze, sind dnrch den
schmalen Streif des Grenzflusses von ihren wilden slavischen Brüdern nicht ge¬
trennt, und in schwankender Lage, zwischen ungarischen Egoismus und böhmi¬
scher Zügellosigkeit, mögen ihre Gefühle und ihre Interessen sie in einem Schau¬
keln erhalten, welches sie leicht auf die feindliche Seite hinüberiverfen kann.

So ist Oestreich entweder um Gallizien, Dalmatien und die slavische Süd¬
grenze Ungarns zu groß, oder um ein gut Theil Landes zu klein. Mit dem
Verluste der Donaumünduugen scheint für die nächste Zeit jede Aussicht auf die
Handelsstraße durch das schwarze Meer nach Odessa und Constantinopel verloren
zu sein. Diese Empfindung hat die östreichische Politik der Türkei und Nußland
gegenüber in der letzten Zeit schwankend und kraftlos gemacht, hat die Regierung
der einzelnen Landestheile gelähmt; Gallizien und vielleicht auch Kroatien und
Slavonien galten für nicht viel Anderes als einen unsichern Besitz, den man
auf dem alten Fuß erhielt, weil man bei jeder durchgreifenden Besserung elen¬
der Zustände einen Widerstand fürchtete, welcher den Verlust der Länder zur


so lange spinnen, seine Aepfelstnen so lange rollen, bis sie ein festes Band ge¬
webt, und eine breite Straße gerollt haben zwischen Italien und Oestreich. Ein
ehrliches und freundschaftliches Verhältniß zwischen zwei freien Völkern wird die
nothwendige Folge sein. In einer Ausbildung der verständigen Interessen Ita¬
liens liegt für Oestreich die sichere und einzige Aussicht Italien an sich zu fesseln,
und es wird vortheilhafter sein, wenn die Küstenstädte von Venedig bis Messina
in den Finanzbüchern der östreichischen Kaufleute, statt in denen des Staates
stehen.

Abgesehen von Italien hat die Frage, ist Oestreich zu groß oder zu klein?
folgenden Sinn. Versteht Oestreich seine Idee und Aufgabe so, daß es in sei¬
nem Organismus darzustellen habe eine brüderliche Verbindung der Deutsche» mit
ihren jüngern östlichen Nachbarn, eine Verbindung, bei welcher die Deutschen
ihre industrielle und wissenschaftliche Bildung, die Organisationskraft ihres Bür-
gerthums und ihre theoretisch gewonnene Freiheit austauschen gegen die frische
Kraft und Energie und den Bvdenrcichthum der Nachbarvölker, verstehen Sie die
Politik Ihres Staates so, dann ist Oestreich in seiner jetzigen Ausdehnung zu
klein; denn die einzelnen Theile des Kaiserstaates leiden an dem Unglück, keine
feste geographische Organisation zu haben. Zwar ist Ungarn, das Mittelland der
Donau, an sein Oberland Oestreich, nicht nur durch Geschichte und slavische
Antipathien, sondern auch dadurch gebunden, daß seine Handelswege sich zumeist
nach Deutschland öffnen, zwar ist noch Siebenbürgen durch seine Grenzberge und
Kolonisation gegen den Osten verpallisadirt, aber das Königreich Dalmatien ist
nur das Vorland von Bosnien und Serbien, Gallizien hat nach Deutschland hin
nur das eine Thor Krakau, seine Abdachung, seine Flüsse und seine Sehnsucht
gehen uach Polen und Rußland, und die Königreiche Kroatien und Slavonien,
so wie das künstliche Bollwerk Oestreichs, die Militärgrenze, sind dnrch den
schmalen Streif des Grenzflusses von ihren wilden slavischen Brüdern nicht ge¬
trennt, und in schwankender Lage, zwischen ungarischen Egoismus und böhmi¬
scher Zügellosigkeit, mögen ihre Gefühle und ihre Interessen sie in einem Schau¬
keln erhalten, welches sie leicht auf die feindliche Seite hinüberiverfen kann.

So ist Oestreich entweder um Gallizien, Dalmatien und die slavische Süd¬
grenze Ungarns zu groß, oder um ein gut Theil Landes zu klein. Mit dem
Verluste der Donaumünduugen scheint für die nächste Zeit jede Aussicht auf die
Handelsstraße durch das schwarze Meer nach Odessa und Constantinopel verloren
zu sein. Diese Empfindung hat die östreichische Politik der Türkei und Nußland
gegenüber in der letzten Zeit schwankend und kraftlos gemacht, hat die Regierung
der einzelnen Landestheile gelähmt; Gallizien und vielleicht auch Kroatien und
Slavonien galten für nicht viel Anderes als einen unsichern Besitz, den man
auf dem alten Fuß erhielt, weil man bei jeder durchgreifenden Besserung elen¬
der Zustände einen Widerstand fürchtete, welcher den Verlust der Länder zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/36>, abgerufen am 26.06.2024.