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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Ihrem Inhalt nach hat sich nun freilich die offizielle Sprache geändert, die
Form ist aber dieselbe geblieben. Wir haben eine neue Livree angezogen, einen
neuen Heiligen auf den Altar gestellt, van b-in (ÄliKav hat 'nen neuen Herrn,
ist ein neuer Mann. Unser Souverän ist nicht mehr der König von Gottes Gna¬
den, sondern das absolute Volk, und es ist gesinnungslos, frech und unehrerbietig
an der Souveränität desselben zu zweifeln. Eine wohlmeinende und gesinnungs¬
volle Opposition im Einzelnen läßt man allenfalls gelten: allenfalls sage ich, denn
die Apostel des neuen Evangeliums sind wo möglich noch orthodoxer als die "ho¬
hen Diener" der vorigen Herrschaft, zudem sind sie in ihrem Amt noch neu und
allzugeneigt, eine jede Abweichung von der offiziellen Dogmatik in die Gesinnung
zu schieben. Es geht ihnen wie den byzantinischen Theologen, die ihre Gesinnung
so ins Detail katechisirt hatten, daß sie schon in der Veränderung von ö/novo-.o?
in o/llotov<nox einen frechen und unehrcrvietigen Tadel der bestehenden Landesgesetze
sahen und den gesinnungslosen Häretiker ohne Weiteres in die Flammen warfen.

Um also Heuer gute Gesinnung von schlechter zu unterscheiden, müssen wir
casuistisch zu Werke gehn. Sage ich z. B.: "Wir können Posen nicht freilassen,
theils weil zu viele Deutsche darin sind, die nicht polnisch werden wollen, theils
weil wir die Festung brauchen," so ist das gesinnungslos, denn zur Gesinnung
gehört der unbedingte Glaube an Polens welthistorischen Beruf. Sage ich da-
gegen: "Wir wollen Posen freilassen, was auch die posener Deutschen dazu sagen,"
so ist das auch gesinnungslos, denn "Deutschland über Alles!" steht auch im Ka¬
techismus. Wie soll ich es denn machen? Ich muß so sagen: "Ich will, daß
Polen augenblicklich frei werde, und halte Jeden, der es nicht will, für einen
feilen, gesinnungslosen Reactionär; ich will serner, daß Deutschland keinen Fu߬
breit Landes abtrete und halte Jeden, der es anders meint, sür einen Verrä¬
ther ....", und uun kann ich fortfahren wie ich will, für oder wider die Her¬
ausgabe Posens, ich habe in jedem Fall meine Gesinnung nach beiden Seiten hin
salvirt

Es würde nicht schwer sein, für die einzelnen Fälle die Recepte aufzuzählen,
durch welche man den Verdacht der Reaction vermeidet. Im Allgemeinen kommen
sie darauf hinaus, daß man als unfehlbare Theorie vorausschickt, was man prak¬
tisch bekämpfen will. Wer das thut, gehört zur gesinnungsvollen Opposition und
jeder Biedermann wird ihm die Hand drücken, wenn auch die "Entschiedener"
über Halbheit, Mangel an philosophischem Muth u. dergl. die Achsel zucken. Die
"Entschiedener" ziehen unverdrossen die Konsequenzen ihres Prinzips, also im
Fall dasselbe einen innern Widerspruch enthält, haben sie die Naivität, mit gleicher



*) Das östreichische Ministerium hat so eben in seiner Finanzvorlage eine derartige wohl¬
meinende Gesinnung ausgedrückt. Es erklärt zuerst theoretisch, sich der Einheit Deutschlands
auch in seinen Aollgcsetzen freudigst anschließen zu wollen, und setzt gleich darauf hinzu, das
TavaksMvnopol behalte sich freilich die Regierung vor.

Ihrem Inhalt nach hat sich nun freilich die offizielle Sprache geändert, die
Form ist aber dieselbe geblieben. Wir haben eine neue Livree angezogen, einen
neuen Heiligen auf den Altar gestellt, van b-in (ÄliKav hat 'nen neuen Herrn,
ist ein neuer Mann. Unser Souverän ist nicht mehr der König von Gottes Gna¬
den, sondern das absolute Volk, und es ist gesinnungslos, frech und unehrerbietig
an der Souveränität desselben zu zweifeln. Eine wohlmeinende und gesinnungs¬
volle Opposition im Einzelnen läßt man allenfalls gelten: allenfalls sage ich, denn
die Apostel des neuen Evangeliums sind wo möglich noch orthodoxer als die „ho¬
hen Diener" der vorigen Herrschaft, zudem sind sie in ihrem Amt noch neu und
allzugeneigt, eine jede Abweichung von der offiziellen Dogmatik in die Gesinnung
zu schieben. Es geht ihnen wie den byzantinischen Theologen, die ihre Gesinnung
so ins Detail katechisirt hatten, daß sie schon in der Veränderung von ö/novo-.o?
in o/llotov<nox einen frechen und unehrcrvietigen Tadel der bestehenden Landesgesetze
sahen und den gesinnungslosen Häretiker ohne Weiteres in die Flammen warfen.

Um also Heuer gute Gesinnung von schlechter zu unterscheiden, müssen wir
casuistisch zu Werke gehn. Sage ich z. B.: „Wir können Posen nicht freilassen,
theils weil zu viele Deutsche darin sind, die nicht polnisch werden wollen, theils
weil wir die Festung brauchen," so ist das gesinnungslos, denn zur Gesinnung
gehört der unbedingte Glaube an Polens welthistorischen Beruf. Sage ich da-
gegen: „Wir wollen Posen freilassen, was auch die posener Deutschen dazu sagen,"
so ist das auch gesinnungslos, denn „Deutschland über Alles!" steht auch im Ka¬
techismus. Wie soll ich es denn machen? Ich muß so sagen: „Ich will, daß
Polen augenblicklich frei werde, und halte Jeden, der es nicht will, für einen
feilen, gesinnungslosen Reactionär; ich will serner, daß Deutschland keinen Fu߬
breit Landes abtrete und halte Jeden, der es anders meint, sür einen Verrä¬
ther ....", und uun kann ich fortfahren wie ich will, für oder wider die Her¬
ausgabe Posens, ich habe in jedem Fall meine Gesinnung nach beiden Seiten hin
salvirt

Es würde nicht schwer sein, für die einzelnen Fälle die Recepte aufzuzählen,
durch welche man den Verdacht der Reaction vermeidet. Im Allgemeinen kommen
sie darauf hinaus, daß man als unfehlbare Theorie vorausschickt, was man prak¬
tisch bekämpfen will. Wer das thut, gehört zur gesinnungsvollen Opposition und
jeder Biedermann wird ihm die Hand drücken, wenn auch die „Entschiedener"
über Halbheit, Mangel an philosophischem Muth u. dergl. die Achsel zucken. Die
„Entschiedener" ziehen unverdrossen die Konsequenzen ihres Prinzips, also im
Fall dasselbe einen innern Widerspruch enthält, haben sie die Naivität, mit gleicher



*) Das östreichische Ministerium hat so eben in seiner Finanzvorlage eine derartige wohl¬
meinende Gesinnung ausgedrückt. Es erklärt zuerst theoretisch, sich der Einheit Deutschlands
auch in seinen Aollgcsetzen freudigst anschließen zu wollen, und setzt gleich darauf hinzu, das
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/270>, abgerufen am 26.06.2024.