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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Aus Paris.



Denken Sie sich einen Nostmdcnnus, der im März oder April 1848 also
gesprochen hätte: Merket ans, Pariser, und feiert nicht so viele Verbrüderungs¬
und Jubelfeste, denn ehe die Hundstage kommen, werden Blutströme eure Stra¬
ßen überschwemmen und die Fratcruitv wird zum Losungswort der Mordbrenner
geworden sein. In den Hundstagen werden die ersten Februarhelden nebst 10,000
Barrikadenbauern in den Bastillen, die euch Louis Philipp hinterließ, gefangen
sitzen, im Namen der französischen Republik wird man Clubs aufheben und Zei¬
tungen unterdrücken; der kleine Graukopf aber, Thiers mit der schrillen Stimme
und dem feinen Lächeln, Thiers ist wieder mächtig auf der Tribune, das repub¬
likanische Parlament fängt seine Worte wie Perlen auf und faßt seine Lehren in Gold.
Dieses Alles nud mehr noch wird sich im glorreichen Sommer 1848 erfüllen. . .
Hier hätte solch ein Prophet den Rath bekommen, nach Bicötre zu gehen, in
Wie" "ud Berlin würde er für einen Verräther an der Menschheit, für einen brül¬
lenden Reaktionär erklärt worden sein. Vor dem 15. Mai war der Optimismus
so unwiderstehlich, daß selbst das Journal des Dvbats sich Zeit nahm, einen Sei'
tenblick über den Canal zu werfen, und mit Zuversicht nachwies, wie die ,,ivvi,Iu-
tion sociitlv "jm volunt it'vero neue-ovo en ki'unico, "ans coutse uno seule
Funke <is Simz' (!)" nächstens das perfide Albion ergreifen und in die Luft spren¬
gen müsse. Auch sollte nicht ein terroristischer Tropfen mehr im Blut des Pari¬
ser Volkes sein. Der 15. Mai und der 24. Juni belehrten uns eines Andern
und es scheint mir sogar lächerlich, die glückliche Unterdrückung des Jnuiaufstau-
des als einen glänzenden Beweis von der Lebenskräftigkeit der französischen Re¬
publik anzuführen. "Nur die Republik," so lautet diese selbstgefällige Argumen¬
tation, welche auch ein Gemeinplatz in der deutschen Presse geworden ist, "nur
die Republik war im Staude, eine Empörung, wie die letzte *), zu besiegen. Wenn
die Monarchie Louis Philipp's oder eine andere in denselben Fall gekommen wäre,
so hätte sie ohne Gnade und Barmherzigkeit erliegen müssen...." Ich glaube
dagegen zur Ehre der Menschheit, daß ein Angriff aus die Gesellschaft auch in
England, in Belgien und Deutschland einigen Widerstand finden dürfte. Oder
heißt es nicht sich mit Gewalt die Augen zuhalten, wenn man den Juniaufstand
einen Kampf gegen die republikanische Staatsform nennen will? Standen die ein¬
gefleischteren Republikaner vor oder hinter den Barrikaden? Ich erlaube mir so¬
gar, auf die Wenn-Philosophie eingehend, zu behaupten, daß die Junihelden,
selbst unter Louis Philipp, aufs Haupt geschlagen worden wären. Der Name



*) Welche, beiläufig gesagt, ein legitimes Kind dieser Republik war.
Aus Paris.



Denken Sie sich einen Nostmdcnnus, der im März oder April 1848 also
gesprochen hätte: Merket ans, Pariser, und feiert nicht so viele Verbrüderungs¬
und Jubelfeste, denn ehe die Hundstage kommen, werden Blutströme eure Stra¬
ßen überschwemmen und die Fratcruitv wird zum Losungswort der Mordbrenner
geworden sein. In den Hundstagen werden die ersten Februarhelden nebst 10,000
Barrikadenbauern in den Bastillen, die euch Louis Philipp hinterließ, gefangen
sitzen, im Namen der französischen Republik wird man Clubs aufheben und Zei¬
tungen unterdrücken; der kleine Graukopf aber, Thiers mit der schrillen Stimme
und dem feinen Lächeln, Thiers ist wieder mächtig auf der Tribune, das repub¬
likanische Parlament fängt seine Worte wie Perlen auf und faßt seine Lehren in Gold.
Dieses Alles nud mehr noch wird sich im glorreichen Sommer 1848 erfüllen. . .
Hier hätte solch ein Prophet den Rath bekommen, nach Bicötre zu gehen, in
Wie» »ud Berlin würde er für einen Verräther an der Menschheit, für einen brül¬
lenden Reaktionär erklärt worden sein. Vor dem 15. Mai war der Optimismus
so unwiderstehlich, daß selbst das Journal des Dvbats sich Zeit nahm, einen Sei'
tenblick über den Canal zu werfen, und mit Zuversicht nachwies, wie die ,,ivvi,Iu-
tion sociitlv «jm volunt it'vero neue-ovo en ki'unico, «ans coutse uno seule
Funke <is Simz' (!)" nächstens das perfide Albion ergreifen und in die Luft spren¬
gen müsse. Auch sollte nicht ein terroristischer Tropfen mehr im Blut des Pari¬
ser Volkes sein. Der 15. Mai und der 24. Juni belehrten uns eines Andern
und es scheint mir sogar lächerlich, die glückliche Unterdrückung des Jnuiaufstau-
des als einen glänzenden Beweis von der Lebenskräftigkeit der französischen Re¬
publik anzuführen. „Nur die Republik," so lautet diese selbstgefällige Argumen¬
tation, welche auch ein Gemeinplatz in der deutschen Presse geworden ist, „nur
die Republik war im Staude, eine Empörung, wie die letzte *), zu besiegen. Wenn
die Monarchie Louis Philipp's oder eine andere in denselben Fall gekommen wäre,
so hätte sie ohne Gnade und Barmherzigkeit erliegen müssen...." Ich glaube
dagegen zur Ehre der Menschheit, daß ein Angriff aus die Gesellschaft auch in
England, in Belgien und Deutschland einigen Widerstand finden dürfte. Oder
heißt es nicht sich mit Gewalt die Augen zuhalten, wenn man den Juniaufstand
einen Kampf gegen die republikanische Staatsform nennen will? Standen die ein¬
gefleischteren Republikaner vor oder hinter den Barrikaden? Ich erlaube mir so¬
gar, auf die Wenn-Philosophie eingehend, zu behaupten, daß die Junihelden,
selbst unter Louis Philipp, aufs Haupt geschlagen worden wären. Der Name



*) Welche, beiläufig gesagt, ein legitimes Kind dieser Republik war.
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[0216] Aus Paris. Denken Sie sich einen Nostmdcnnus, der im März oder April 1848 also gesprochen hätte: Merket ans, Pariser, und feiert nicht so viele Verbrüderungs¬ und Jubelfeste, denn ehe die Hundstage kommen, werden Blutströme eure Stra¬ ßen überschwemmen und die Fratcruitv wird zum Losungswort der Mordbrenner geworden sein. In den Hundstagen werden die ersten Februarhelden nebst 10,000 Barrikadenbauern in den Bastillen, die euch Louis Philipp hinterließ, gefangen sitzen, im Namen der französischen Republik wird man Clubs aufheben und Zei¬ tungen unterdrücken; der kleine Graukopf aber, Thiers mit der schrillen Stimme und dem feinen Lächeln, Thiers ist wieder mächtig auf der Tribune, das repub¬ likanische Parlament fängt seine Worte wie Perlen auf und faßt seine Lehren in Gold. Dieses Alles nud mehr noch wird sich im glorreichen Sommer 1848 erfüllen. . . Hier hätte solch ein Prophet den Rath bekommen, nach Bicötre zu gehen, in Wie» »ud Berlin würde er für einen Verräther an der Menschheit, für einen brül¬ lenden Reaktionär erklärt worden sein. Vor dem 15. Mai war der Optimismus so unwiderstehlich, daß selbst das Journal des Dvbats sich Zeit nahm, einen Sei' tenblick über den Canal zu werfen, und mit Zuversicht nachwies, wie die ,,ivvi,Iu- tion sociitlv «jm volunt it'vero neue-ovo en ki'unico, «ans coutse uno seule Funke <is Simz' (!)" nächstens das perfide Albion ergreifen und in die Luft spren¬ gen müsse. Auch sollte nicht ein terroristischer Tropfen mehr im Blut des Pari¬ ser Volkes sein. Der 15. Mai und der 24. Juni belehrten uns eines Andern und es scheint mir sogar lächerlich, die glückliche Unterdrückung des Jnuiaufstau- des als einen glänzenden Beweis von der Lebenskräftigkeit der französischen Re¬ publik anzuführen. „Nur die Republik," so lautet diese selbstgefällige Argumen¬ tation, welche auch ein Gemeinplatz in der deutschen Presse geworden ist, „nur die Republik war im Staude, eine Empörung, wie die letzte *), zu besiegen. Wenn die Monarchie Louis Philipp's oder eine andere in denselben Fall gekommen wäre, so hätte sie ohne Gnade und Barmherzigkeit erliegen müssen...." Ich glaube dagegen zur Ehre der Menschheit, daß ein Angriff aus die Gesellschaft auch in England, in Belgien und Deutschland einigen Widerstand finden dürfte. Oder heißt es nicht sich mit Gewalt die Augen zuhalten, wenn man den Juniaufstand einen Kampf gegen die republikanische Staatsform nennen will? Standen die ein¬ gefleischteren Republikaner vor oder hinter den Barrikaden? Ich erlaube mir so¬ gar, auf die Wenn-Philosophie eingehend, zu behaupten, daß die Junihelden, selbst unter Louis Philipp, aufs Haupt geschlagen worden wären. Der Name *) Welche, beiläufig gesagt, ein legitimes Kind dieser Republik war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/216>, abgerufen am 29.06.2024.