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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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tralgewalt soll keine Opposition beschränkter Regiernngsmeuschcn sein, sondern ein
Widerstand nationalen Willens, welcher dieselbe demokratische Basis und Berech¬
tigung haben kann, als die Beschlüsse der Versammlung. Jedenfalls hat die
Constituante durch die getroffene Wahl ihr Schicksal mit dem der Reichsverweser-
schaft verbunden, das Ansehen Beider wird zusammen steigen und fallen. Wer
schon jetzt die Zukunft sowohl aus der Physiognomie der Gesellschaft, als aus deu
Personen des Reichsministeriums, ja aus der Persönlichkeit des Fürsten selbst,
welcher an der Spitze steht, zu prophezeihen wagt, der übernimmt zu gleicher
Zeit die Verpflichtung seine Muthmaßungen über die Folgen eines möglichen Um¬
schlags der öffentlichen Meinung auszusprechen.

Zunächst verdankt Deutschland der Frankfurter Versammlung und der Stellung
des Erzherzogs den unendlichen Vortheil, daß die einzelnen Staaten für die de¬
mokratische Umwandlung ihrer eigenen Verhältnisse Zeit und Muth gewinnen.
Der Gegenwart und der nächsten Zukunft ist die große Aufgabe gestellt, in allen
kleinen Kreisen des staatlichen Lebens festen Grund zu legen für den Neubau un¬
serer Zeit. Freie Formen des Nechtsverfahrens, Selbstregiment der Stadt- und
Landgemeine, freies Regieren der Landeskreise und Bezirke, gerechte Prinzipien der
Besteuerung, möglichst feste Verbindung des Volkes und des Heeres und vor
Allem die Anfänge der socialen Reformen, welche die letzte Forderung unserer
Zeit sind, können während dieses Uebergangregimentes in das Leben treten. Wird
dies gewonnen, dann erst ist die wahre Grundlage vorhanden für eine freie Ver¬
einigung der deutschen Völker, welche die Scparatiuteressen nicht aufhebt, sondern
versöhnt. Und wenn hier die Ueberzeugung ausgesprochen wird, daß in dieser
Zeit der preußische Staat seine Pflicht und sein Recht, die Führerschaft deutschen
Lebens zu übernehmen antreten wird, so ist damit zu gleicher Zeit die Hoffnung
ausgesprochen, daß es dem preußischen Volk am ersten und vollständigsten gelingen
muß, die Keime des neuen Lebens in sich zu entwickeln und zur Blüthe zu bringen.

Die Beweise dafür liegen in der merkwürdigen Organisation des preußischen
Staates, welcher höchst originelle, ja bewundernswürdige demokratische Unterlagen
besitzt und einzelne derselben, z. B. Gewerbefreiheit, ganz radikal gebildethat. Frei¬
lich ist das segensreiche Gedeihen dieser Institutionen überall gedrückt und beschränkt
worden durch den Umstand, daß sie von der Regierung gegeben, behütet, über¬
wacht und bevormundet worden sind, gerade dadurch entstand die seltsame Verbin-
bu"S zwischen freiem Volksleben und aufgeklärten Negierungsdespotismus, welche
Preußen zu einem Gegenstand des Mißtrauens viel häufiger gemacht hat, als
nöthig WM. Jetzt sind alle freisinnigen Institutionen Preußens von diesem Druck
befreit und können sich zeitgemäß entwickeln. Nicht die Größe des Heeres, nicht
die Ordnung des Haushalts soll hierbei in Rechnung gebracht werden, wohl
aber der Umstand, daß in Preußen das große Prinzip, jeder Mann sei in Waffen
geübt, durch die Landwehr bereits die Anfänge volksthümlicher Gestaltung gewor-


tralgewalt soll keine Opposition beschränkter Regiernngsmeuschcn sein, sondern ein
Widerstand nationalen Willens, welcher dieselbe demokratische Basis und Berech¬
tigung haben kann, als die Beschlüsse der Versammlung. Jedenfalls hat die
Constituante durch die getroffene Wahl ihr Schicksal mit dem der Reichsverweser-
schaft verbunden, das Ansehen Beider wird zusammen steigen und fallen. Wer
schon jetzt die Zukunft sowohl aus der Physiognomie der Gesellschaft, als aus deu
Personen des Reichsministeriums, ja aus der Persönlichkeit des Fürsten selbst,
welcher an der Spitze steht, zu prophezeihen wagt, der übernimmt zu gleicher
Zeit die Verpflichtung seine Muthmaßungen über die Folgen eines möglichen Um¬
schlags der öffentlichen Meinung auszusprechen.

Zunächst verdankt Deutschland der Frankfurter Versammlung und der Stellung
des Erzherzogs den unendlichen Vortheil, daß die einzelnen Staaten für die de¬
mokratische Umwandlung ihrer eigenen Verhältnisse Zeit und Muth gewinnen.
Der Gegenwart und der nächsten Zukunft ist die große Aufgabe gestellt, in allen
kleinen Kreisen des staatlichen Lebens festen Grund zu legen für den Neubau un¬
serer Zeit. Freie Formen des Nechtsverfahrens, Selbstregiment der Stadt- und
Landgemeine, freies Regieren der Landeskreise und Bezirke, gerechte Prinzipien der
Besteuerung, möglichst feste Verbindung des Volkes und des Heeres und vor
Allem die Anfänge der socialen Reformen, welche die letzte Forderung unserer
Zeit sind, können während dieses Uebergangregimentes in das Leben treten. Wird
dies gewonnen, dann erst ist die wahre Grundlage vorhanden für eine freie Ver¬
einigung der deutschen Völker, welche die Scparatiuteressen nicht aufhebt, sondern
versöhnt. Und wenn hier die Ueberzeugung ausgesprochen wird, daß in dieser
Zeit der preußische Staat seine Pflicht und sein Recht, die Führerschaft deutschen
Lebens zu übernehmen antreten wird, so ist damit zu gleicher Zeit die Hoffnung
ausgesprochen, daß es dem preußischen Volk am ersten und vollständigsten gelingen
muß, die Keime des neuen Lebens in sich zu entwickeln und zur Blüthe zu bringen.

Die Beweise dafür liegen in der merkwürdigen Organisation des preußischen
Staates, welcher höchst originelle, ja bewundernswürdige demokratische Unterlagen
besitzt und einzelne derselben, z. B. Gewerbefreiheit, ganz radikal gebildethat. Frei¬
lich ist das segensreiche Gedeihen dieser Institutionen überall gedrückt und beschränkt
worden durch den Umstand, daß sie von der Regierung gegeben, behütet, über¬
wacht und bevormundet worden sind, gerade dadurch entstand die seltsame Verbin-
bu"S zwischen freiem Volksleben und aufgeklärten Negierungsdespotismus, welche
Preußen zu einem Gegenstand des Mißtrauens viel häufiger gemacht hat, als
nöthig WM. Jetzt sind alle freisinnigen Institutionen Preußens von diesem Druck
befreit und können sich zeitgemäß entwickeln. Nicht die Größe des Heeres, nicht
die Ordnung des Haushalts soll hierbei in Rechnung gebracht werden, wohl
aber der Umstand, daß in Preußen das große Prinzip, jeder Mann sei in Waffen
geübt, durch die Landwehr bereits die Anfänge volksthümlicher Gestaltung gewor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/195>, abgerufen am 22.07.2024.