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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Das alte und das neue Berlin.



In einer der abgelegenen Gassen von Berlin liegt eine enge, passabel demo¬
kratische Kneipe, der man den Namen der "ewigen Lampe" gegeben hat. In dieser
Kneipe wird eine Art Tageblatt redigirt, aller demselben Titel. Wer Lust hat,
liefert einen Beitrag: eine Verhöhnung der russischen Knute, eine Anklage gegen
das Ministerium, ein Epigramm ohne weitern Inhalt, oder was sich sonst schickt;
und wer sich zu einer bestimmten Abendstunde gerade zufällig in jenem Local zu¬
sammenfindet, constituirt sich als Cvmitv und verfügt über die Aufnahme der ein¬
gegangenen Arbeiten. Es ist also nicht eine constaute Gesellschaft: neugierig ist das
Volk und jeder echte Berliner muß wenigstens einmal mitredigirt haben. Uebrigens
ist zum häufigen Besuch die ewige Lampe nicht eingerichtet, denn mehr als 80
Personen gehen nicht wohl hinein, das Gedränge ist groß und man will nicht
alle Tage ein Märtyrer seiner Popularität werden.

Aber bei all diesem Wechsel bleibt der leitende Geist derselbe, wie die Ge
statt des Wellenschlags sich nicht wesentlich verändert, über welche Wassertheilchen
er anch hinspielt. Die ewige Lampe ist der Ausdruck des Berliner Geistes, nicht
besser nud nicht schlechter, als die Vossische und die ZeitungshaNe oder die- Polka-
Kneipen oder die Eoncerte vor dem Potsdamer Thor; sie hat nur den Vorzug,
die Berlineret, die sich in der Vossischen mir in zufälligen Inseraten Lust macht,
aus ihren reinen, so zu sagen principiellen Ausdruck zurückgeführt zu haben. In
den andern Blättern ist in der Person des Redacteurs, des Eigenthümers, selbst
in dem Kreise der Abonnenten, wenn auch noch so unscheinbar, doch eine gewisse
Eonsistenz; hier aber ist die leitende Hand mit Bewußtsein aufgegeben und freu¬
dig überläßt sich der seiner selbst gewisse Geist dem Spiel des Zufalls, aus dessen
Wellen er sich mit Anmuth schaukelt, ohne Furcht, sich jemals zu verliere".

Und sollte es einmal geschehen, daß Gardelieutenants oder Professoren des
heiligen Mittelalters mit allem Bewusstsein eines ellenlangen uckermärkischen Stamni-
baums oder einer sich selbst unverständlichen mystischen Tiefe diese Werkstätte des
Berliner Geistes im Sturm einnahmen und daß plötzlich das christlich germanische
Prinzip und der cvnrfähige, näselnde Accent von Potsdam sich in -der ewigen
Lampe vernehmen ließen, der heilige Geist der Localität würde die Schnürbrüste


GrcnMcn. III. A
Das alte und das neue Berlin.



In einer der abgelegenen Gassen von Berlin liegt eine enge, passabel demo¬
kratische Kneipe, der man den Namen der „ewigen Lampe" gegeben hat. In dieser
Kneipe wird eine Art Tageblatt redigirt, aller demselben Titel. Wer Lust hat,
liefert einen Beitrag: eine Verhöhnung der russischen Knute, eine Anklage gegen
das Ministerium, ein Epigramm ohne weitern Inhalt, oder was sich sonst schickt;
und wer sich zu einer bestimmten Abendstunde gerade zufällig in jenem Local zu¬
sammenfindet, constituirt sich als Cvmitv und verfügt über die Aufnahme der ein¬
gegangenen Arbeiten. Es ist also nicht eine constaute Gesellschaft: neugierig ist das
Volk und jeder echte Berliner muß wenigstens einmal mitredigirt haben. Uebrigens
ist zum häufigen Besuch die ewige Lampe nicht eingerichtet, denn mehr als 80
Personen gehen nicht wohl hinein, das Gedränge ist groß und man will nicht
alle Tage ein Märtyrer seiner Popularität werden.

Aber bei all diesem Wechsel bleibt der leitende Geist derselbe, wie die Ge
statt des Wellenschlags sich nicht wesentlich verändert, über welche Wassertheilchen
er anch hinspielt. Die ewige Lampe ist der Ausdruck des Berliner Geistes, nicht
besser nud nicht schlechter, als die Vossische und die ZeitungshaNe oder die- Polka-
Kneipen oder die Eoncerte vor dem Potsdamer Thor; sie hat nur den Vorzug,
die Berlineret, die sich in der Vossischen mir in zufälligen Inseraten Lust macht,
aus ihren reinen, so zu sagen principiellen Ausdruck zurückgeführt zu haben. In
den andern Blättern ist in der Person des Redacteurs, des Eigenthümers, selbst
in dem Kreise der Abonnenten, wenn auch noch so unscheinbar, doch eine gewisse
Eonsistenz; hier aber ist die leitende Hand mit Bewußtsein aufgegeben und freu¬
dig überläßt sich der seiner selbst gewisse Geist dem Spiel des Zufalls, aus dessen
Wellen er sich mit Anmuth schaukelt, ohne Furcht, sich jemals zu verliere».

Und sollte es einmal geschehen, daß Gardelieutenants oder Professoren des
heiligen Mittelalters mit allem Bewusstsein eines ellenlangen uckermärkischen Stamni-
baums oder einer sich selbst unverständlichen mystischen Tiefe diese Werkstätte des
Berliner Geistes im Sturm einnahmen und daß plötzlich das christlich germanische
Prinzip und der cvnrfähige, näselnde Accent von Potsdam sich in -der ewigen
Lampe vernehmen ließen, der heilige Geist der Localität würde die Schnürbrüste


GrcnMcn. III. A
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[0013] Das alte und das neue Berlin. In einer der abgelegenen Gassen von Berlin liegt eine enge, passabel demo¬ kratische Kneipe, der man den Namen der „ewigen Lampe" gegeben hat. In dieser Kneipe wird eine Art Tageblatt redigirt, aller demselben Titel. Wer Lust hat, liefert einen Beitrag: eine Verhöhnung der russischen Knute, eine Anklage gegen das Ministerium, ein Epigramm ohne weitern Inhalt, oder was sich sonst schickt; und wer sich zu einer bestimmten Abendstunde gerade zufällig in jenem Local zu¬ sammenfindet, constituirt sich als Cvmitv und verfügt über die Aufnahme der ein¬ gegangenen Arbeiten. Es ist also nicht eine constaute Gesellschaft: neugierig ist das Volk und jeder echte Berliner muß wenigstens einmal mitredigirt haben. Uebrigens ist zum häufigen Besuch die ewige Lampe nicht eingerichtet, denn mehr als 80 Personen gehen nicht wohl hinein, das Gedränge ist groß und man will nicht alle Tage ein Märtyrer seiner Popularität werden. Aber bei all diesem Wechsel bleibt der leitende Geist derselbe, wie die Ge statt des Wellenschlags sich nicht wesentlich verändert, über welche Wassertheilchen er anch hinspielt. Die ewige Lampe ist der Ausdruck des Berliner Geistes, nicht besser nud nicht schlechter, als die Vossische und die ZeitungshaNe oder die- Polka- Kneipen oder die Eoncerte vor dem Potsdamer Thor; sie hat nur den Vorzug, die Berlineret, die sich in der Vossischen mir in zufälligen Inseraten Lust macht, aus ihren reinen, so zu sagen principiellen Ausdruck zurückgeführt zu haben. In den andern Blättern ist in der Person des Redacteurs, des Eigenthümers, selbst in dem Kreise der Abonnenten, wenn auch noch so unscheinbar, doch eine gewisse Eonsistenz; hier aber ist die leitende Hand mit Bewußtsein aufgegeben und freu¬ dig überläßt sich der seiner selbst gewisse Geist dem Spiel des Zufalls, aus dessen Wellen er sich mit Anmuth schaukelt, ohne Furcht, sich jemals zu verliere». Und sollte es einmal geschehen, daß Gardelieutenants oder Professoren des heiligen Mittelalters mit allem Bewusstsein eines ellenlangen uckermärkischen Stamni- baums oder einer sich selbst unverständlichen mystischen Tiefe diese Werkstätte des Berliner Geistes im Sturm einnahmen und daß plötzlich das christlich germanische Prinzip und der cvnrfähige, näselnde Accent von Potsdam sich in -der ewigen Lampe vernehmen ließen, der heilige Geist der Localität würde die Schnürbrüste GrcnMcn. III. A

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/13>, abgerufen am 26.06.2024.