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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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man in der Paulskirche nicht mehr sprechen. Die Grundbedingungen des neuen
Staats -- denn es ist ein neuer Staat, was sich auf den Trümmern des alten
Bundes erhebt -- sind festgestellt, sie sind vom Volke anerkannt und haben Ge¬
setzeskraft; es heißt jetzt: Entweder! oder!

Es handelt sich dabei gar nicht um Phrasen, wie "Aufgehen," "Anschluß"
u. tgi. Es handelt sich um folgende, sehr bestimmte Fragen. Wenn Oestreich
sich seine Autonomie vorbehält, d. h. das Recht, Krieg und Frieden zu schließen,
Verträge einzugehen, seine Handels- und Zollverhältnisse selbstständig zu ordnen
u. tgi., -- können dann östreichische Deputirte in Frankfurt sitzen? -- Ich ant¬
worte, und Deutschland mit mir: Nein! Es ist eine logische und politische Un¬
möglichkeit. Im Feudalstaat des Mittelalters kam es allerdings vor, daß man
Vasall mehrerer Könige zugleich sein konnte; der Staat der neuen Zeit erträgt
das nicht. Der Staat der Revolution, den wir zu bilden im Begriff sind, ist
nichts anderes, als der absolute Staat, ins Demokratische übersetzt. Dieser Staat
verlangt seinen Bürger ganz und ungetheilt. Man hat diese Tendenz unserer
Zeit verkannt, indem man sie ins Romantische übertrug, indem man das Bestre¬
ben der Staaten, sich unabhängig zu organistren, deu Nationalitäten in
die Schuhe schob. Weil Preuße", weil Baiern, Hohenzollern-Hechingen n. s. w.
ihrer Lage nach unmögliche Staaten waren, strebte man nach dem Aufbau eines
neuen deutschen Staats, zu welchem eine rechtliche Grundlage bereits vorhanden
war. Die nationale Sympathie kam dazu, sie war aber nicht die Hauptsache;
auch dem wildesten Deutschthümler ist es nicht eingefallen ^ die Deutschen Sieben¬
bürgens, Kurlands oder Amerikas zum neuen Reich zu ziehen. Oder wenn es
doch geschehen sein sollte -- denn wer kann dem Unsinn eine Grenze stecken? --
so hat dieser Pangmuanismus gerade so viel Sinn als der Panslavismus. Er
geht ans einer Abstraction, einer Phrase hervor und kann es daher nie zu einer
lebendigen Organisation bringen.

Der Oestreicher kann nicht zwei Staaten zugleich angehöre", die in einzelnen
Fällen vielleicht das Entgegengesetzte beschließen.- Ein Beispiel liegt schon nahe:
der italienische Krieg. Eine solche Jneinanderschachtelung von Staaten würde uns
wieder in das Mittelalter zurückführen und einen viel nnkrästigeren, siecheren und
unbeweglicheren Staatencomplex hervorbringen, als selbst der alte deutsche Bund
es war. Oestreich ohne Deutschland kann eine Großmacht sein, Deutschland ohne
Oestreich gleichfalls; Deutschland mit den deutschen Provinzen Oestreichs als in-
tegrirenden Theil vielleicht; Ungarn mit Kroatien vielleicht; aber Deutschland und
Oestreich auf eine irrationelle Weise in einander verzwickt nun und nimmermehr.

Um Ihnen nieine Ansichten klar zu machen, will ich folgende Fragen her¬
vorheben.

1) Woraus ist das Bestreben der deutsch-östreichischen Partei für den An¬
schluß zu erklären? ebenso das Bestreben Deutschlands, sich Oestreich einzuverleiben?

man in der Paulskirche nicht mehr sprechen. Die Grundbedingungen des neuen
Staats — denn es ist ein neuer Staat, was sich auf den Trümmern des alten
Bundes erhebt — sind festgestellt, sie sind vom Volke anerkannt und haben Ge¬
setzeskraft; es heißt jetzt: Entweder! oder!

Es handelt sich dabei gar nicht um Phrasen, wie „Aufgehen," „Anschluß"
u. tgi. Es handelt sich um folgende, sehr bestimmte Fragen. Wenn Oestreich
sich seine Autonomie vorbehält, d. h. das Recht, Krieg und Frieden zu schließen,
Verträge einzugehen, seine Handels- und Zollverhältnisse selbstständig zu ordnen
u. tgi., — können dann östreichische Deputirte in Frankfurt sitzen? — Ich ant¬
worte, und Deutschland mit mir: Nein! Es ist eine logische und politische Un¬
möglichkeit. Im Feudalstaat des Mittelalters kam es allerdings vor, daß man
Vasall mehrerer Könige zugleich sein konnte; der Staat der neuen Zeit erträgt
das nicht. Der Staat der Revolution, den wir zu bilden im Begriff sind, ist
nichts anderes, als der absolute Staat, ins Demokratische übersetzt. Dieser Staat
verlangt seinen Bürger ganz und ungetheilt. Man hat diese Tendenz unserer
Zeit verkannt, indem man sie ins Romantische übertrug, indem man das Bestre¬
ben der Staaten, sich unabhängig zu organistren, deu Nationalitäten in
die Schuhe schob. Weil Preuße«, weil Baiern, Hohenzollern-Hechingen n. s. w.
ihrer Lage nach unmögliche Staaten waren, strebte man nach dem Aufbau eines
neuen deutschen Staats, zu welchem eine rechtliche Grundlage bereits vorhanden
war. Die nationale Sympathie kam dazu, sie war aber nicht die Hauptsache;
auch dem wildesten Deutschthümler ist es nicht eingefallen ^ die Deutschen Sieben¬
bürgens, Kurlands oder Amerikas zum neuen Reich zu ziehen. Oder wenn es
doch geschehen sein sollte — denn wer kann dem Unsinn eine Grenze stecken? —
so hat dieser Pangmuanismus gerade so viel Sinn als der Panslavismus. Er
geht ans einer Abstraction, einer Phrase hervor und kann es daher nie zu einer
lebendigen Organisation bringen.

Der Oestreicher kann nicht zwei Staaten zugleich angehöre», die in einzelnen
Fällen vielleicht das Entgegengesetzte beschließen.- Ein Beispiel liegt schon nahe:
der italienische Krieg. Eine solche Jneinanderschachtelung von Staaten würde uns
wieder in das Mittelalter zurückführen und einen viel nnkrästigeren, siecheren und
unbeweglicheren Staatencomplex hervorbringen, als selbst der alte deutsche Bund
es war. Oestreich ohne Deutschland kann eine Großmacht sein, Deutschland ohne
Oestreich gleichfalls; Deutschland mit den deutschen Provinzen Oestreichs als in-
tegrirenden Theil vielleicht; Ungarn mit Kroatien vielleicht; aber Deutschland und
Oestreich auf eine irrationelle Weise in einander verzwickt nun und nimmermehr.

Um Ihnen nieine Ansichten klar zu machen, will ich folgende Fragen her¬
vorheben.

1) Woraus ist das Bestreben der deutsch-östreichischen Partei für den An¬
schluß zu erklären? ebenso das Bestreben Deutschlands, sich Oestreich einzuverleiben?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/52>, abgerufen am 22.07.2024.