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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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rückt werden, damit der gewöhnliche Arbeiter die Ueberzeugung leicht erlange, daß
er für seine Leistungen bezahlt werde. Bei jeder Antheilswirthschaft liegen aber
Anfang und Ende, Aufwand und Ertrag so weit auseinander, daß der Einzelne
die Uebersicht leicht verliert. Dazu kommen Mißtrauen und Tadelsucht gegen die
Mitbetheiligten, und sehr bald der Glaube, er, der Einzelne, thue mehr, als die
andern, dadurch aber erkaltet der Eifer und von der Gesammtheit wird weniger
geleistet, als geschehen sein würde, wäre einem Jeden sein Tagewerk aufgegeben
worden. Wer sich vou der Richtigkeit des Gesagten überzeugen will, der beo¬
bachte, wie eine Genossenschaft die ihr bis jetzt obliegende gemeinsame Arbeit:
Kirchen-, Schul- oder Wegebau betreibt. Ein Jeder kommt so spät als möglich
zur Arbeit, versucht aber, sie recht früh zu verlassen; diejenigen, welche Fuhren
zu verrichten haben, laden so wenig als möglich; ja die Langsamkeit und Ver¬
drossenheit, womit Leistungen in Gemeindeangelegenheiten verrichtet werden, hat
aufmerksame Gemeindevorsteher längst zu dem Entschluß gebracht, solche Arbeiten
von den Mindestfordernden für Geld verrichten zu lassen, weil sie durch die Na¬
turalleistung der Gemeindemitglieder zu theuer werden.

Der Preis der Arbeit hat aber, wie jede Waare, seine natürliche Begrenzung.
Niemals darf er höher gehen, als die Erfolge werth sind, welche die Arbeit her¬
vorbringt. Sind ihre Produkte weniger werth, als sie gekostet hat, so versiegen
die Mittel zu ihrer Unterhaltung.

Leistungen für die Gesammtheit unterliegen zwar einem andern Maaßstabe,
indessen hängen auch diese davon ab, ob die Mittel vorhanden sind, sie zu bezah¬
len, also von Uebcrschüssen, welche einzelne Individuen von Arbeiten erlangt ha¬
ben, die sie in ihrem Gewerbe verrichten ließen.

Die Gemeindeverwaltungen der Städte Paris und Berlin machten zu ihrem
großen Nachtheil in diesem Frühjahr die Erfahrung, daß vor jeder Arbeitsleistung
nothwendig erwogen werden muß, ob durch sie ein Werth erlangt wird, durch
welchen sie sich reproducirt. Kein Gemeinwesen, kein Staat kann dauernd Arbei¬
ten verrichten lassen, die blos deshalb unternommen werden, um Bedürftigen Ver¬
dienst zuzuweisen. Eine solche Maaßregel darf nur von kurzer Dauer sein, wie
jede andere zur Abhilfe eiues momentanen Nothstandes.

Das Eingreifen der Gesetzgebung in die Verhältnisse zwischen Arbeitgeber
und Arbeiter in der Absicht, das Loos der Letzteren zu verbessern, würde noch
nachtheiliger wirken, als selbst eine hohe Besteuerung des Vermögens. Die Ar¬
beiter kämen dadurch zu den Arbeitgebern in eine unnatürliche Stellung. Sie
wurden ihre physische Überlegenheit durch ihre Mehrzahl geltend machen und das¬
jenige fordern, wozu sie sich jetzt durch einen freien Vertrag verpflichten. Der
Arbeitgeber würde dann in eine weit ärgere Abhängigkeit gerathen, als die ist,
in welcher bisher die Arbeiter waren. Diesen stehen die Humanität und religiöse


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rückt werden, damit der gewöhnliche Arbeiter die Ueberzeugung leicht erlange, daß
er für seine Leistungen bezahlt werde. Bei jeder Antheilswirthschaft liegen aber
Anfang und Ende, Aufwand und Ertrag so weit auseinander, daß der Einzelne
die Uebersicht leicht verliert. Dazu kommen Mißtrauen und Tadelsucht gegen die
Mitbetheiligten, und sehr bald der Glaube, er, der Einzelne, thue mehr, als die
andern, dadurch aber erkaltet der Eifer und von der Gesammtheit wird weniger
geleistet, als geschehen sein würde, wäre einem Jeden sein Tagewerk aufgegeben
worden. Wer sich vou der Richtigkeit des Gesagten überzeugen will, der beo¬
bachte, wie eine Genossenschaft die ihr bis jetzt obliegende gemeinsame Arbeit:
Kirchen-, Schul- oder Wegebau betreibt. Ein Jeder kommt so spät als möglich
zur Arbeit, versucht aber, sie recht früh zu verlassen; diejenigen, welche Fuhren
zu verrichten haben, laden so wenig als möglich; ja die Langsamkeit und Ver¬
drossenheit, womit Leistungen in Gemeindeangelegenheiten verrichtet werden, hat
aufmerksame Gemeindevorsteher längst zu dem Entschluß gebracht, solche Arbeiten
von den Mindestfordernden für Geld verrichten zu lassen, weil sie durch die Na¬
turalleistung der Gemeindemitglieder zu theuer werden.

Der Preis der Arbeit hat aber, wie jede Waare, seine natürliche Begrenzung.
Niemals darf er höher gehen, als die Erfolge werth sind, welche die Arbeit her¬
vorbringt. Sind ihre Produkte weniger werth, als sie gekostet hat, so versiegen
die Mittel zu ihrer Unterhaltung.

Leistungen für die Gesammtheit unterliegen zwar einem andern Maaßstabe,
indessen hängen auch diese davon ab, ob die Mittel vorhanden sind, sie zu bezah¬
len, also von Uebcrschüssen, welche einzelne Individuen von Arbeiten erlangt ha¬
ben, die sie in ihrem Gewerbe verrichten ließen.

Die Gemeindeverwaltungen der Städte Paris und Berlin machten zu ihrem
großen Nachtheil in diesem Frühjahr die Erfahrung, daß vor jeder Arbeitsleistung
nothwendig erwogen werden muß, ob durch sie ein Werth erlangt wird, durch
welchen sie sich reproducirt. Kein Gemeinwesen, kein Staat kann dauernd Arbei¬
ten verrichten lassen, die blos deshalb unternommen werden, um Bedürftigen Ver¬
dienst zuzuweisen. Eine solche Maaßregel darf nur von kurzer Dauer sein, wie
jede andere zur Abhilfe eiues momentanen Nothstandes.

Das Eingreifen der Gesetzgebung in die Verhältnisse zwischen Arbeitgeber
und Arbeiter in der Absicht, das Loos der Letzteren zu verbessern, würde noch
nachtheiliger wirken, als selbst eine hohe Besteuerung des Vermögens. Die Ar¬
beiter kämen dadurch zu den Arbeitgebern in eine unnatürliche Stellung. Sie
wurden ihre physische Überlegenheit durch ihre Mehrzahl geltend machen und das¬
jenige fordern, wozu sie sich jetzt durch einen freien Vertrag verpflichten. Der
Arbeitgeber würde dann in eine weit ärgere Abhängigkeit gerathen, als die ist,
in welcher bisher die Arbeiter waren. Diesen stehen die Humanität und religiöse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/487>, abgerufen am 22.07.2024.