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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Sie bemerken zwischen sich und ihrem Brodherrn nnr den einen Unterschied, daß
er von wohlhabenden Leuten abstammt, sie dagegen von armen. Je weniger Bil¬
dung ein Mensch hat, desto rücksichtsloser pflegt er gegen andere zu sein. Es
gibt daher keinen drückenderen Aristokratismus als den bäuerlichen. Die Besitzer
eines größern Gutes, welche in der Regel mit der Leitung und Anordnung der
wirthschaftlichen Angelegenheiten vollauf beschäftigt sind, erwerben sich durch ihre
geistige Ueberlegenheit, so wie durch bessere Sitten leichter die Achtung und An¬
hänglichkeit der gewöhnlichen Arbeiter. Diesen liegt es nicht nahe, eine Verglei-
chung zwischen sich nud ihrem gebildeten Arbeitgeber anzustellen, besonders wenn
er eine solche nicht durch ein hochmüthiges oder inhumanes Betragen herbeiführt.
Arbeitgeber geringern Standes können willigen Gehorsam und angestrengten Fleiß
nur dadurch von ihren Arbeitern erlangen, daß sie bei allen Geschäften voran¬
gehen, selbst mit Hand anlegen, durch geschickte Leitung das Gelingen fördern
und Arbeit und Genuß treulich mit ihren Gehilfen theilen. Dies ist das Gcbcch-
reu, was in manchen Gegenden noch landüblich ist. So lange es besteht, kennt
man dort kein Proletariat. Schiller hat uns im Attinghausen ein freundliches
Bild von dem Verhältniß zwischen einem größern Grundbesitzer und seinen Knech¬
ten aufgestellt. Von allen bäuerlichen Besitzern dagegen sollten "Ali, der Knecht"
und "Kathi, die Großmutter" studirt werden, zwei vortreffliche Bücher, Spiegel
dieser einfachen und gefunden menschlichen Verhältnisse.

Erlangen solche Gesinnungen, wie in diesen Dichtungen dargestellt sind, Bei¬
fall und Würdigung, so organisirt sich das Verhältniß zwischen Arbeitgebern und
Arbeitern von selbst nach jedes Ortes Bedürfniß und Sitte, die unendlich ver¬
schieden sind und bleiben werden. Eine Einmischung der Gesetzgebung hierein
kann eben so wenig wirken, wie im Familienleben, an welches sich das in Rede
stehende Verhältniß anschließt.

Wie ein glückliches Familienleben undenkbar ist, wenn dem Hausvater die
Mittel fehlen, alle Glieder des Hauses zu nähren und zu kleiden, so kann ein
Arbeitgeber auch nur dann seine Arbeiter genügend lohnen, wenn die von ihm
geleitete Unternehmung, sei sie eine landwirtschaftliche, industrielle oder kaufmän¬
nische, die Mittel dazu abwirft. Wo persönliche Freiheit und kein Hörigkeits-
oder Sclavenverhältniß besteht, da werden die Arbeiter sich von selbst diejenige
Beschäftigung suchen, die ihnen die Vortheilhasteste ist. Das wechselseitige Be¬
dürfniß wird sie mit den Capitalbesitzern als Unternehmern und Arbeitgebern zu¬
sammen führen und es wird zwischen ihnen eine Belohnuugsweise zu Stande kom¬
men, bei welcher beide Parteien bestehen können. Dies ist eine unerläßliche Be¬
dingung, soll sich ein dauerhaftes Verhältniß gründen. Niemand vermag, außer
für eine kurze Zeit, mehr auszugeben, als er einnimmt. Der Arbeiter, der nur
für sich und seine Familie zu sorgen hat, kann allenfalls durch Einschränkung in
seinen Bedürfnissen und durch Aufzehrung einer in günstiger Zeit gemachten Er-


Srenjbotm. IV. 61

Sie bemerken zwischen sich und ihrem Brodherrn nnr den einen Unterschied, daß
er von wohlhabenden Leuten abstammt, sie dagegen von armen. Je weniger Bil¬
dung ein Mensch hat, desto rücksichtsloser pflegt er gegen andere zu sein. Es
gibt daher keinen drückenderen Aristokratismus als den bäuerlichen. Die Besitzer
eines größern Gutes, welche in der Regel mit der Leitung und Anordnung der
wirthschaftlichen Angelegenheiten vollauf beschäftigt sind, erwerben sich durch ihre
geistige Ueberlegenheit, so wie durch bessere Sitten leichter die Achtung und An¬
hänglichkeit der gewöhnlichen Arbeiter. Diesen liegt es nicht nahe, eine Verglei-
chung zwischen sich nud ihrem gebildeten Arbeitgeber anzustellen, besonders wenn
er eine solche nicht durch ein hochmüthiges oder inhumanes Betragen herbeiführt.
Arbeitgeber geringern Standes können willigen Gehorsam und angestrengten Fleiß
nur dadurch von ihren Arbeitern erlangen, daß sie bei allen Geschäften voran¬
gehen, selbst mit Hand anlegen, durch geschickte Leitung das Gelingen fördern
und Arbeit und Genuß treulich mit ihren Gehilfen theilen. Dies ist das Gcbcch-
reu, was in manchen Gegenden noch landüblich ist. So lange es besteht, kennt
man dort kein Proletariat. Schiller hat uns im Attinghausen ein freundliches
Bild von dem Verhältniß zwischen einem größern Grundbesitzer und seinen Knech¬
ten aufgestellt. Von allen bäuerlichen Besitzern dagegen sollten „Ali, der Knecht"
und „Kathi, die Großmutter" studirt werden, zwei vortreffliche Bücher, Spiegel
dieser einfachen und gefunden menschlichen Verhältnisse.

Erlangen solche Gesinnungen, wie in diesen Dichtungen dargestellt sind, Bei¬
fall und Würdigung, so organisirt sich das Verhältniß zwischen Arbeitgebern und
Arbeitern von selbst nach jedes Ortes Bedürfniß und Sitte, die unendlich ver¬
schieden sind und bleiben werden. Eine Einmischung der Gesetzgebung hierein
kann eben so wenig wirken, wie im Familienleben, an welches sich das in Rede
stehende Verhältniß anschließt.

Wie ein glückliches Familienleben undenkbar ist, wenn dem Hausvater die
Mittel fehlen, alle Glieder des Hauses zu nähren und zu kleiden, so kann ein
Arbeitgeber auch nur dann seine Arbeiter genügend lohnen, wenn die von ihm
geleitete Unternehmung, sei sie eine landwirtschaftliche, industrielle oder kaufmän¬
nische, die Mittel dazu abwirft. Wo persönliche Freiheit und kein Hörigkeits-
oder Sclavenverhältniß besteht, da werden die Arbeiter sich von selbst diejenige
Beschäftigung suchen, die ihnen die Vortheilhasteste ist. Das wechselseitige Be¬
dürfniß wird sie mit den Capitalbesitzern als Unternehmern und Arbeitgebern zu¬
sammen führen und es wird zwischen ihnen eine Belohnuugsweise zu Stande kom¬
men, bei welcher beide Parteien bestehen können. Dies ist eine unerläßliche Be¬
dingung, soll sich ein dauerhaftes Verhältniß gründen. Niemand vermag, außer
für eine kurze Zeit, mehr auszugeben, als er einnimmt. Der Arbeiter, der nur
für sich und seine Familie zu sorgen hat, kann allenfalls durch Einschränkung in
seinen Bedürfnissen und durch Aufzehrung einer in günstiger Zeit gemachten Er-


Srenjbotm. IV. 61
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[0485] Sie bemerken zwischen sich und ihrem Brodherrn nnr den einen Unterschied, daß er von wohlhabenden Leuten abstammt, sie dagegen von armen. Je weniger Bil¬ dung ein Mensch hat, desto rücksichtsloser pflegt er gegen andere zu sein. Es gibt daher keinen drückenderen Aristokratismus als den bäuerlichen. Die Besitzer eines größern Gutes, welche in der Regel mit der Leitung und Anordnung der wirthschaftlichen Angelegenheiten vollauf beschäftigt sind, erwerben sich durch ihre geistige Ueberlegenheit, so wie durch bessere Sitten leichter die Achtung und An¬ hänglichkeit der gewöhnlichen Arbeiter. Diesen liegt es nicht nahe, eine Verglei- chung zwischen sich nud ihrem gebildeten Arbeitgeber anzustellen, besonders wenn er eine solche nicht durch ein hochmüthiges oder inhumanes Betragen herbeiführt. Arbeitgeber geringern Standes können willigen Gehorsam und angestrengten Fleiß nur dadurch von ihren Arbeitern erlangen, daß sie bei allen Geschäften voran¬ gehen, selbst mit Hand anlegen, durch geschickte Leitung das Gelingen fördern und Arbeit und Genuß treulich mit ihren Gehilfen theilen. Dies ist das Gcbcch- reu, was in manchen Gegenden noch landüblich ist. So lange es besteht, kennt man dort kein Proletariat. Schiller hat uns im Attinghausen ein freundliches Bild von dem Verhältniß zwischen einem größern Grundbesitzer und seinen Knech¬ ten aufgestellt. Von allen bäuerlichen Besitzern dagegen sollten „Ali, der Knecht" und „Kathi, die Großmutter" studirt werden, zwei vortreffliche Bücher, Spiegel dieser einfachen und gefunden menschlichen Verhältnisse. Erlangen solche Gesinnungen, wie in diesen Dichtungen dargestellt sind, Bei¬ fall und Würdigung, so organisirt sich das Verhältniß zwischen Arbeitgebern und Arbeitern von selbst nach jedes Ortes Bedürfniß und Sitte, die unendlich ver¬ schieden sind und bleiben werden. Eine Einmischung der Gesetzgebung hierein kann eben so wenig wirken, wie im Familienleben, an welches sich das in Rede stehende Verhältniß anschließt. Wie ein glückliches Familienleben undenkbar ist, wenn dem Hausvater die Mittel fehlen, alle Glieder des Hauses zu nähren und zu kleiden, so kann ein Arbeitgeber auch nur dann seine Arbeiter genügend lohnen, wenn die von ihm geleitete Unternehmung, sei sie eine landwirtschaftliche, industrielle oder kaufmän¬ nische, die Mittel dazu abwirft. Wo persönliche Freiheit und kein Hörigkeits- oder Sclavenverhältniß besteht, da werden die Arbeiter sich von selbst diejenige Beschäftigung suchen, die ihnen die Vortheilhasteste ist. Das wechselseitige Be¬ dürfniß wird sie mit den Capitalbesitzern als Unternehmern und Arbeitgebern zu¬ sammen führen und es wird zwischen ihnen eine Belohnuugsweise zu Stande kom¬ men, bei welcher beide Parteien bestehen können. Dies ist eine unerläßliche Be¬ dingung, soll sich ein dauerhaftes Verhältniß gründen. Niemand vermag, außer für eine kurze Zeit, mehr auszugeben, als er einnimmt. Der Arbeiter, der nur für sich und seine Familie zu sorgen hat, kann allenfalls durch Einschränkung in seinen Bedürfnissen und durch Aufzehrung einer in günstiger Zeit gemachten Er- Srenjbotm. IV. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/485>, abgerufen am 22.07.2024.