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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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inneren staatsrechtlichen Verhältnisse des Fürstenthucks Walachei. Denn während einer¬
seits Nußland, diese seinen Plänen hinderliche Bewegung in den Fürstenthümern un¬
gern sehend, dieselbe erfolglos machen wollte, und selbst falsche Darstellungen nicht
scheute, um die klare Auffassung der Dinge an der unteren Donau auswärts zu ver¬
hindern und die Pforte zu Schritten gegen die Walachei zu vermögen, beeilte sich die
Pforte, ihren Vortheil in der größeren Selbstständigkeit der Fürstenthümer gegenüber
Rußland wahrnehmend, die Resultate der Bewegung hinzunehmen, und die von der
Walachei sich selbst gegebene Konstitution vom 11./23. Juni schleunigst anzuerkennen,
im Monate Juli l. J>. So verdächtigte der russische Consul zu Jassy, Hr. Kotzebue,
in einem an den Metropoliten der Walachei gerichteten Schreiben die Romanen dieses
Landes eines Einverständnisses mit Ungarn, zu dem Ende, die Magyaren ins Land zu
ziehen. So stellt Nesselrode's Note vom 19. Juli die Einwohner der Fürstenthümer
als höchst gefährliche Nachbarn dar; so schildern russische Noten bei der Pforte den
-Zustand der Fürstenthümer seit der Erhebung im Juni als volle Anarchie, die Tausende
von Menschenleben als Opfer gefordert'), und findet, hierauf gestützt, als Schutzmacht
Veranlassung, bewaffnet in die Moldau einzurücken und von dort an" die Walachei
zu bedrohen.

Hierdurch bewirkte auch Nußland bei der Pforte ein zaghafteres Benehmen, und
zugleich, daß sie nicht nur die bereits gegebene Anerkennung der romanischen Constitu-
tion zurückzog, sondern auch einen Pforten-Kommissär in der Person Soleiman Pa¬
schas mit einiger bewaffneten Macht zur Wiederherstellung der Ordnung in der Wala¬
chei absandte. Der Commissär der Pforte, nach eingeholter genauer Kenntniß det
Sachlage in der Walachei, fand nicht nur den ursprünglichen Zweck seiner Sendung
nicht zu erfüllen, sondern gestützt auf die Wahrnehmung, daß die staatsrechtlichen Ver¬
änderungen daselbst in einem der Pforte freundlichen Sinne geschahen und an" dem
allgemeinen Willen der Bevölkerung hervorgingen, und daß überall im Lande die
größte Ruhe und Ordnung herrschte, anerkannte die provisorische Regierung zu Buka¬
rest, bestätigte sie unter dem Namen einer fürstlichen Statthalterschaft, und lud die
Agenten und Bevollmächtigten der auswärtigen Mächte in Bukarest ein, mit der neuen
gesetzlichen und anerkannten Negierung ihre diplomatischen Verbindungen wieder anzu¬
knüpfen, was auch von alle" Anwesende" vorgenommen wurde;

Abermals wußte jedoch Nußland Soleiman Pascha der Bestechlichkeit zu verdächti¬
gen, die Pforte wegen der Tendenz der Bewegung zu beunruhigen, und veranlaßte
die Absendung eines neuen Commissärs, in der Person Amedji Fuad Effendi'S, See"-
tärS des Divans, mit Vollmachten und Instructionen, über deren Inhalt die proviso¬
rische Negierung keine sichere Kenntniß erlangen konnte. Gerüchte verschiedener Art
aus ziemlich glaubwürdigen Quellen kreuzen sich, und während einige mit der Rbsen-



*) Ueber den sanften Charakter der Moldau-SLalachen und die Seltenheit der Verbrechen
bei ihnen verweisen wir auf die Beschreibung der Moldau und Walachei von dem "ormaligm
dortigen Weneralconsul Neigebaur. Leipzig Ists.

inneren staatsrechtlichen Verhältnisse des Fürstenthucks Walachei. Denn während einer¬
seits Nußland, diese seinen Plänen hinderliche Bewegung in den Fürstenthümern un¬
gern sehend, dieselbe erfolglos machen wollte, und selbst falsche Darstellungen nicht
scheute, um die klare Auffassung der Dinge an der unteren Donau auswärts zu ver¬
hindern und die Pforte zu Schritten gegen die Walachei zu vermögen, beeilte sich die
Pforte, ihren Vortheil in der größeren Selbstständigkeit der Fürstenthümer gegenüber
Rußland wahrnehmend, die Resultate der Bewegung hinzunehmen, und die von der
Walachei sich selbst gegebene Konstitution vom 11./23. Juni schleunigst anzuerkennen,
im Monate Juli l. J>. So verdächtigte der russische Consul zu Jassy, Hr. Kotzebue,
in einem an den Metropoliten der Walachei gerichteten Schreiben die Romanen dieses
Landes eines Einverständnisses mit Ungarn, zu dem Ende, die Magyaren ins Land zu
ziehen. So stellt Nesselrode's Note vom 19. Juli die Einwohner der Fürstenthümer
als höchst gefährliche Nachbarn dar; so schildern russische Noten bei der Pforte den
-Zustand der Fürstenthümer seit der Erhebung im Juni als volle Anarchie, die Tausende
von Menschenleben als Opfer gefordert'), und findet, hierauf gestützt, als Schutzmacht
Veranlassung, bewaffnet in die Moldau einzurücken und von dort an» die Walachei
zu bedrohen.

Hierdurch bewirkte auch Nußland bei der Pforte ein zaghafteres Benehmen, und
zugleich, daß sie nicht nur die bereits gegebene Anerkennung der romanischen Constitu-
tion zurückzog, sondern auch einen Pforten-Kommissär in der Person Soleiman Pa¬
schas mit einiger bewaffneten Macht zur Wiederherstellung der Ordnung in der Wala¬
chei absandte. Der Commissär der Pforte, nach eingeholter genauer Kenntniß det
Sachlage in der Walachei, fand nicht nur den ursprünglichen Zweck seiner Sendung
nicht zu erfüllen, sondern gestützt auf die Wahrnehmung, daß die staatsrechtlichen Ver¬
änderungen daselbst in einem der Pforte freundlichen Sinne geschahen und an» dem
allgemeinen Willen der Bevölkerung hervorgingen, und daß überall im Lande die
größte Ruhe und Ordnung herrschte, anerkannte die provisorische Regierung zu Buka¬
rest, bestätigte sie unter dem Namen einer fürstlichen Statthalterschaft, und lud die
Agenten und Bevollmächtigten der auswärtigen Mächte in Bukarest ein, mit der neuen
gesetzlichen und anerkannten Negierung ihre diplomatischen Verbindungen wieder anzu¬
knüpfen, was auch von alle» Anwesende» vorgenommen wurde;

Abermals wußte jedoch Nußland Soleiman Pascha der Bestechlichkeit zu verdächti¬
gen, die Pforte wegen der Tendenz der Bewegung zu beunruhigen, und veranlaßte
die Absendung eines neuen Commissärs, in der Person Amedji Fuad Effendi'S, See«-
tärS des Divans, mit Vollmachten und Instructionen, über deren Inhalt die proviso¬
rische Negierung keine sichere Kenntniß erlangen konnte. Gerüchte verschiedener Art
aus ziemlich glaubwürdigen Quellen kreuzen sich, und während einige mit der Rbsen-



*) Ueber den sanften Charakter der Moldau-SLalachen und die Seltenheit der Verbrechen
bei ihnen verweisen wir auf die Beschreibung der Moldau und Walachei von dem »ormaligm
dortigen Weneralconsul Neigebaur. Leipzig Ists.
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[0454] inneren staatsrechtlichen Verhältnisse des Fürstenthucks Walachei. Denn während einer¬ seits Nußland, diese seinen Plänen hinderliche Bewegung in den Fürstenthümern un¬ gern sehend, dieselbe erfolglos machen wollte, und selbst falsche Darstellungen nicht scheute, um die klare Auffassung der Dinge an der unteren Donau auswärts zu ver¬ hindern und die Pforte zu Schritten gegen die Walachei zu vermögen, beeilte sich die Pforte, ihren Vortheil in der größeren Selbstständigkeit der Fürstenthümer gegenüber Rußland wahrnehmend, die Resultate der Bewegung hinzunehmen, und die von der Walachei sich selbst gegebene Konstitution vom 11./23. Juni schleunigst anzuerkennen, im Monate Juli l. J>. So verdächtigte der russische Consul zu Jassy, Hr. Kotzebue, in einem an den Metropoliten der Walachei gerichteten Schreiben die Romanen dieses Landes eines Einverständnisses mit Ungarn, zu dem Ende, die Magyaren ins Land zu ziehen. So stellt Nesselrode's Note vom 19. Juli die Einwohner der Fürstenthümer als höchst gefährliche Nachbarn dar; so schildern russische Noten bei der Pforte den -Zustand der Fürstenthümer seit der Erhebung im Juni als volle Anarchie, die Tausende von Menschenleben als Opfer gefordert'), und findet, hierauf gestützt, als Schutzmacht Veranlassung, bewaffnet in die Moldau einzurücken und von dort an» die Walachei zu bedrohen. Hierdurch bewirkte auch Nußland bei der Pforte ein zaghafteres Benehmen, und zugleich, daß sie nicht nur die bereits gegebene Anerkennung der romanischen Constitu- tion zurückzog, sondern auch einen Pforten-Kommissär in der Person Soleiman Pa¬ schas mit einiger bewaffneten Macht zur Wiederherstellung der Ordnung in der Wala¬ chei absandte. Der Commissär der Pforte, nach eingeholter genauer Kenntniß det Sachlage in der Walachei, fand nicht nur den ursprünglichen Zweck seiner Sendung nicht zu erfüllen, sondern gestützt auf die Wahrnehmung, daß die staatsrechtlichen Ver¬ änderungen daselbst in einem der Pforte freundlichen Sinne geschahen und an» dem allgemeinen Willen der Bevölkerung hervorgingen, und daß überall im Lande die größte Ruhe und Ordnung herrschte, anerkannte die provisorische Regierung zu Buka¬ rest, bestätigte sie unter dem Namen einer fürstlichen Statthalterschaft, und lud die Agenten und Bevollmächtigten der auswärtigen Mächte in Bukarest ein, mit der neuen gesetzlichen und anerkannten Negierung ihre diplomatischen Verbindungen wieder anzu¬ knüpfen, was auch von alle» Anwesende» vorgenommen wurde; Abermals wußte jedoch Nußland Soleiman Pascha der Bestechlichkeit zu verdächti¬ gen, die Pforte wegen der Tendenz der Bewegung zu beunruhigen, und veranlaßte die Absendung eines neuen Commissärs, in der Person Amedji Fuad Effendi'S, See«- tärS des Divans, mit Vollmachten und Instructionen, über deren Inhalt die proviso¬ rische Negierung keine sichere Kenntniß erlangen konnte. Gerüchte verschiedener Art aus ziemlich glaubwürdigen Quellen kreuzen sich, und während einige mit der Rbsen- *) Ueber den sanften Charakter der Moldau-SLalachen und die Seltenheit der Verbrechen bei ihnen verweisen wir auf die Beschreibung der Moldau und Walachei von dem »ormaligm dortigen Weneralconsul Neigebaur. Leipzig Ists.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/454>, abgerufen am 25.12.2024.