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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Räuberhorden aus der Schweiz unter Gustav Struve's Anführung, die mit
der blutrothen Fahne ihrer Republik die eigentlichen Gelüste solcher Banden --
Raub und Plünderung -- legitimirten. Es begann unter den Demokraten aller
einzelnen deutschen Stämme eine geschäftige Regung, und auch der Blindeste mußte
endlich überzeugt sein, daß es sich hier um ein weit verzweigtes, wenn auch sehr
verkehrt angelegtes Komplott handelte.

Die Centralgewalt machte endlich Ernst. In Frankfurt, das sich durch eigene
Kräfte zu schützen als unvermögend erwiesen hatte, wurde der Belagerungsstand
proclamirt, es wurden Truppen hineingezogen, die Volksversammlungen im Um¬
kreis von fünf Meilen verboten; es wurde das alte Neichministerium definitiv
wieder einberufen, mit Ausnahme Heckscher's, dessen Stellung unhaltbar gewor¬
den war; es erging endlich an sämmtliche Regierungen die Aufforderung, dem
Mißbrauch der Preßfreiheit und des Versammlungsrechts durch kräftige Maßregeln
zu steuern. Demnach erfolgten von allen Seiten Truppenmärsche und das süd¬
westliche Deutschland sah aus wie ein großes Kriegslager.

Die Nationalversammlung trat kräftig ein zur Wiederherstellung der Ordnung.
Wie sehr auch im Einzelnen die Ansichten divergiren mochten, gegen die Anar¬
chisten erhob sich die ganze gemäßigte Partei -- deren Reihen leider durch viel¬
fache Urlaubsgesuche gelichtet waren -- wie Ein Mann. Sämmtliche Anträge der
Linken, die um so dreister auftrat, je schlechter ihr Spiel stand, wurden durch
Tagesordnung beseitigt. Die Abstimmung über die Adresse, welche von Seiten
der Nationalversammlung an das deutsche Volk erlassen werden sollte, war nur
ein scheinbarer Sieg der Linken: einerseits war jene Adresse etwas Ueberflüssiges,
sodann enthält sie auch eine Unwahrheit, denn sie sollte erklären, die ganze Ver¬
sammlung theile die Entrüstung des deutschen Volkes über den Hochverrath an
der Freiheit seiner Vertreter, und eine solche Uebereinstimmung war in der That
nicht vorhanden. Die Linke hatte nicht nöthig, über die Inquisition, die man
gegen ihre Gesinnung erheben wollte, Lärm zu schlagen -- beiläufig, ein sonder¬
barer Unwille, wenn man bedenkt, daß dieselbe Partei von einem ähnlichen inqui¬
sitorischen Verfahren gegen die preußischen Offiziere die Existenz der Regierung
abhängig machte -- sie hatte ihre Gesinnung hinlänglich an den Tag gelegt. Wenn
die Nationalversammlung die einzige Macht in Deutschland wäre, so würde die
Wiederherstellung der Einheit keinem Zweifel ausgesetzt sein.

Sie ist es nicht. Und selbst in dein heftigen Auftreten gegen die Radikalen
spricht sich nicht gerade eine sichere, ihrer selbst gewisse Kraft aus -- freilich gilt
das von ihren Gegnern, den Demokraten, in noch viel höherm Grade, lüliivn
<^>i -lboiv no in"ra p-is ist ein altes Sprichwort. Die Nationalversammlung scheint
überall zu fühlen, daß sie trotz ihrer ruhmvollen Anstrengung noch immer auf einem
schwankenden, vulkanischen Boden steht. Sie hat die Schulden ihrer revolutionären
Väter auf sich genommen und muß nun daran leiden.


Räuberhorden aus der Schweiz unter Gustav Struve's Anführung, die mit
der blutrothen Fahne ihrer Republik die eigentlichen Gelüste solcher Banden —
Raub und Plünderung — legitimirten. Es begann unter den Demokraten aller
einzelnen deutschen Stämme eine geschäftige Regung, und auch der Blindeste mußte
endlich überzeugt sein, daß es sich hier um ein weit verzweigtes, wenn auch sehr
verkehrt angelegtes Komplott handelte.

Die Centralgewalt machte endlich Ernst. In Frankfurt, das sich durch eigene
Kräfte zu schützen als unvermögend erwiesen hatte, wurde der Belagerungsstand
proclamirt, es wurden Truppen hineingezogen, die Volksversammlungen im Um¬
kreis von fünf Meilen verboten; es wurde das alte Neichministerium definitiv
wieder einberufen, mit Ausnahme Heckscher's, dessen Stellung unhaltbar gewor¬
den war; es erging endlich an sämmtliche Regierungen die Aufforderung, dem
Mißbrauch der Preßfreiheit und des Versammlungsrechts durch kräftige Maßregeln
zu steuern. Demnach erfolgten von allen Seiten Truppenmärsche und das süd¬
westliche Deutschland sah aus wie ein großes Kriegslager.

Die Nationalversammlung trat kräftig ein zur Wiederherstellung der Ordnung.
Wie sehr auch im Einzelnen die Ansichten divergiren mochten, gegen die Anar¬
chisten erhob sich die ganze gemäßigte Partei — deren Reihen leider durch viel¬
fache Urlaubsgesuche gelichtet waren — wie Ein Mann. Sämmtliche Anträge der
Linken, die um so dreister auftrat, je schlechter ihr Spiel stand, wurden durch
Tagesordnung beseitigt. Die Abstimmung über die Adresse, welche von Seiten
der Nationalversammlung an das deutsche Volk erlassen werden sollte, war nur
ein scheinbarer Sieg der Linken: einerseits war jene Adresse etwas Ueberflüssiges,
sodann enthält sie auch eine Unwahrheit, denn sie sollte erklären, die ganze Ver¬
sammlung theile die Entrüstung des deutschen Volkes über den Hochverrath an
der Freiheit seiner Vertreter, und eine solche Uebereinstimmung war in der That
nicht vorhanden. Die Linke hatte nicht nöthig, über die Inquisition, die man
gegen ihre Gesinnung erheben wollte, Lärm zu schlagen — beiläufig, ein sonder¬
barer Unwille, wenn man bedenkt, daß dieselbe Partei von einem ähnlichen inqui¬
sitorischen Verfahren gegen die preußischen Offiziere die Existenz der Regierung
abhängig machte — sie hatte ihre Gesinnung hinlänglich an den Tag gelegt. Wenn
die Nationalversammlung die einzige Macht in Deutschland wäre, so würde die
Wiederherstellung der Einheit keinem Zweifel ausgesetzt sein.

Sie ist es nicht. Und selbst in dein heftigen Auftreten gegen die Radikalen
spricht sich nicht gerade eine sichere, ihrer selbst gewisse Kraft aus — freilich gilt
das von ihren Gegnern, den Demokraten, in noch viel höherm Grade, lüliivn
<^>i -lboiv no in»ra p-is ist ein altes Sprichwort. Die Nationalversammlung scheint
überall zu fühlen, daß sie trotz ihrer ruhmvollen Anstrengung noch immer auf einem
schwankenden, vulkanischen Boden steht. Sie hat die Schulden ihrer revolutionären
Väter auf sich genommen und muß nun daran leiden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/42>, abgerufen am 03.07.2024.