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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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sie, selbst zu feige, eine Kühnheit zu wagen, das Volk auf zu ungesetzlichen, ver¬
brecherischen Handeln, darum predigen sie den Terrorismus und zeigen mit frecher
Schamlosigkeit schon die Stelle an, auf der die Guillotine stehen muß, darum
bezeichnen sie die Häuser, die bei dem nächsten Aufruhr demolirt, die Männer,
die als Volksverräther ans der Welt geschafft werden sollen.

Wehe uns! da zieht die rothe Fahne voran, eine andere Schaar daher, mit
wüstem Geschrei und roher Geberde. Platz da dem souveränen Volk! Ein Je¬
der weicht ihnen aus, die Frauen flüchten in die Häuser, die Männer treten schwei¬
gend an die Seite. Das sind die Arbeiter und mit ihnen das -- ideale Proletariat,
welchem die Früchte der Revolution, so hat man's ihm in den Kopf gesetzt, haupt¬
sächlich zukommen. Zerrissene Kittel, bärtige Gesichter, unter den Arbeitern manche
kernige Gestalt, manche kräftige Faust, zu Allein fähig und bereit, sei's auch zum
Kampfe auf Tod und Leben. Sie wollen Arbeit und Brot, -- aber wird die
Demokratie gewähren, was ihnen fehlt? O, nicht doch! dieser Schade liegt tie¬
fer, als in den Formen unsrer Staatsgesellschaft und ihr seid Betrogene, ihr
Arbeiter, die man euch überredet hat, in der Republik lebe sich'S sorgenfrei. Mit
eurer Armnil) hat die Revolution, hat die Demokratie, für deren Träger man
euch ausgibt, nichts zu schaffen und hätte ich Brot, euch satt zu machen, ihr
würdet nichts fragen nach der Politik, nach der Demokratie, und Ordnung und
Gesetz hätten wieder die Herrschaft.

Schaudernd steh' ich vor dein zweiten Theil des Zuges, dem Auswurf der
Menschheit. Ha! wie diese widerlichen, versunkenen Gestalten durch einander trei¬
ben, in schmutzigen Lumpen, mit den Spuren des Lasters und der Verworfenheit
in den bleichen Gesichtern. Der letzte Pfennig ist vertrunken, da blicken sie mit
drohender Geberde aufwärts zu deu Fenstern der Reichen, stoßen sie Schimpfre¬
den aus, denen ich das Ohr verschließen muß. Schreiend und geifernd ziehen
auch schlotternde Weiber unter der Rotte, - genug, genng! es wäre ein Hohn,
wollte ich thuen zurufen: "Achtung vor dem demokratischen Gesetz!"

"Reif oder nicht reif?" das ist jetzt die Frage. Ich wende das Auge auf¬
wärts aus der Nacht, die mich umgibt: da sehe ich am dunklen sternenleerem Him¬
mel mit blutrother Flammenschrift die Namen "Auerswald und Lichnowsky."
"Nicht reif!" donnert es aus den schwarzen Wolken hernieder, und "nicht reif!"
hallt es nach in meiner tiefsten Brust. --


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"Nicht reif!" se lasset ab von dem Geplärr von Volkssouveränität, mit dem
ihr die Ohren des Pöbels kitzelt, lasset ab von dem wohlfeilen Wagstück, die
gedankenlose Menge zu fanatisiren, daß sie wild zur Waffe greift, um gewaltsam
zu stürzen, was die Geschichte heiligt, um zu vernichten was der Fleiß gebant,


sie, selbst zu feige, eine Kühnheit zu wagen, das Volk auf zu ungesetzlichen, ver¬
brecherischen Handeln, darum predigen sie den Terrorismus und zeigen mit frecher
Schamlosigkeit schon die Stelle an, auf der die Guillotine stehen muß, darum
bezeichnen sie die Häuser, die bei dem nächsten Aufruhr demolirt, die Männer,
die als Volksverräther ans der Welt geschafft werden sollen.

Wehe uns! da zieht die rothe Fahne voran, eine andere Schaar daher, mit
wüstem Geschrei und roher Geberde. Platz da dem souveränen Volk! Ein Je¬
der weicht ihnen aus, die Frauen flüchten in die Häuser, die Männer treten schwei¬
gend an die Seite. Das sind die Arbeiter und mit ihnen das — ideale Proletariat,
welchem die Früchte der Revolution, so hat man's ihm in den Kopf gesetzt, haupt¬
sächlich zukommen. Zerrissene Kittel, bärtige Gesichter, unter den Arbeitern manche
kernige Gestalt, manche kräftige Faust, zu Allein fähig und bereit, sei's auch zum
Kampfe auf Tod und Leben. Sie wollen Arbeit und Brot, — aber wird die
Demokratie gewähren, was ihnen fehlt? O, nicht doch! dieser Schade liegt tie¬
fer, als in den Formen unsrer Staatsgesellschaft und ihr seid Betrogene, ihr
Arbeiter, die man euch überredet hat, in der Republik lebe sich'S sorgenfrei. Mit
eurer Armnil) hat die Revolution, hat die Demokratie, für deren Träger man
euch ausgibt, nichts zu schaffen und hätte ich Brot, euch satt zu machen, ihr
würdet nichts fragen nach der Politik, nach der Demokratie, und Ordnung und
Gesetz hätten wieder die Herrschaft.

Schaudernd steh' ich vor dein zweiten Theil des Zuges, dem Auswurf der
Menschheit. Ha! wie diese widerlichen, versunkenen Gestalten durch einander trei¬
ben, in schmutzigen Lumpen, mit den Spuren des Lasters und der Verworfenheit
in den bleichen Gesichtern. Der letzte Pfennig ist vertrunken, da blicken sie mit
drohender Geberde aufwärts zu deu Fenstern der Reichen, stoßen sie Schimpfre¬
den aus, denen ich das Ohr verschließen muß. Schreiend und geifernd ziehen
auch schlotternde Weiber unter der Rotte, - genug, genng! es wäre ein Hohn,
wollte ich thuen zurufen: „Achtung vor dem demokratischen Gesetz!"

„Reif oder nicht reif?" das ist jetzt die Frage. Ich wende das Auge auf¬
wärts aus der Nacht, die mich umgibt: da sehe ich am dunklen sternenleerem Him¬
mel mit blutrother Flammenschrift die Namen „Auerswald und Lichnowsky."
„Nicht reif!" donnert es aus den schwarzen Wolken hernieder, und „nicht reif!"
hallt es nach in meiner tiefsten Brust. —


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„Nicht reif!" se lasset ab von dem Geplärr von Volkssouveränität, mit dem
ihr die Ohren des Pöbels kitzelt, lasset ab von dem wohlfeilen Wagstück, die
gedankenlose Menge zu fanatisiren, daß sie wild zur Waffe greift, um gewaltsam
zu stürzen, was die Geschichte heiligt, um zu vernichten was der Fleiß gebant,


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[0417] sie, selbst zu feige, eine Kühnheit zu wagen, das Volk auf zu ungesetzlichen, ver¬ brecherischen Handeln, darum predigen sie den Terrorismus und zeigen mit frecher Schamlosigkeit schon die Stelle an, auf der die Guillotine stehen muß, darum bezeichnen sie die Häuser, die bei dem nächsten Aufruhr demolirt, die Männer, die als Volksverräther ans der Welt geschafft werden sollen. Wehe uns! da zieht die rothe Fahne voran, eine andere Schaar daher, mit wüstem Geschrei und roher Geberde. Platz da dem souveränen Volk! Ein Je¬ der weicht ihnen aus, die Frauen flüchten in die Häuser, die Männer treten schwei¬ gend an die Seite. Das sind die Arbeiter und mit ihnen das — ideale Proletariat, welchem die Früchte der Revolution, so hat man's ihm in den Kopf gesetzt, haupt¬ sächlich zukommen. Zerrissene Kittel, bärtige Gesichter, unter den Arbeitern manche kernige Gestalt, manche kräftige Faust, zu Allein fähig und bereit, sei's auch zum Kampfe auf Tod und Leben. Sie wollen Arbeit und Brot, — aber wird die Demokratie gewähren, was ihnen fehlt? O, nicht doch! dieser Schade liegt tie¬ fer, als in den Formen unsrer Staatsgesellschaft und ihr seid Betrogene, ihr Arbeiter, die man euch überredet hat, in der Republik lebe sich'S sorgenfrei. Mit eurer Armnil) hat die Revolution, hat die Demokratie, für deren Träger man euch ausgibt, nichts zu schaffen und hätte ich Brot, euch satt zu machen, ihr würdet nichts fragen nach der Politik, nach der Demokratie, und Ordnung und Gesetz hätten wieder die Herrschaft. Schaudernd steh' ich vor dein zweiten Theil des Zuges, dem Auswurf der Menschheit. Ha! wie diese widerlichen, versunkenen Gestalten durch einander trei¬ ben, in schmutzigen Lumpen, mit den Spuren des Lasters und der Verworfenheit in den bleichen Gesichtern. Der letzte Pfennig ist vertrunken, da blicken sie mit drohender Geberde aufwärts zu deu Fenstern der Reichen, stoßen sie Schimpfre¬ den aus, denen ich das Ohr verschließen muß. Schreiend und geifernd ziehen auch schlotternde Weiber unter der Rotte, - genug, genng! es wäre ein Hohn, wollte ich thuen zurufen: „Achtung vor dem demokratischen Gesetz!" „Reif oder nicht reif?" das ist jetzt die Frage. Ich wende das Auge auf¬ wärts aus der Nacht, die mich umgibt: da sehe ich am dunklen sternenleerem Him¬ mel mit blutrother Flammenschrift die Namen „Auerswald und Lichnowsky." „Nicht reif!" donnert es aus den schwarzen Wolken hernieder, und „nicht reif!" hallt es nach in meiner tiefsten Brust. — ^2.'-'^ N 0 v e in b e r. „Nicht reif!" se lasset ab von dem Geplärr von Volkssouveränität, mit dem ihr die Ohren des Pöbels kitzelt, lasset ab von dem wohlfeilen Wagstück, die gedankenlose Menge zu fanatisiren, daß sie wild zur Waffe greift, um gewaltsam zu stürzen, was die Geschichte heiligt, um zu vernichten was der Fleiß gebant,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/417>, abgerufen am 22.07.2024.