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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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wo der Volkskammer eine sogenannte Staatenkammer zur Seite gestellt wird, in
welcher die einzelnen Staaten ungefähr im Verhältniß des alten Bundes ver¬
treten sind, die noch dazu zur Hälfte von den Landtagen gewählt werden sollen,
in welcher also der Winkel-Radikalismus des Herrn Schafs"ath und seines Glei¬
chen das große Wort gegen Preußen führen wird. Gegen dieses absurde Project
sollte sich die gesammte Presse erheben, denn es heißt so viel, als völliges Auf¬
geben der deutscheu Einheit.

Die Stellung Preußens im Reich hängt von dem Ausfall der gegenwärtigen
Krisis ab, aus die wir zum Schluß einen Blick werfen.

Der plötzliche Umschlag der öffentlichen Meinung in Bezug auf die soge¬
nannte constituirende Versammlung könnte uns, die wir lebhaft für Deutschlands
Ehre empfinden, schwer verletzen, obgleich er zu Gunsten unserer Ansicht erfolgt
ist; denn er spricht keineswegs für die Reife politischer Bildung, die man für
unsern neuen "Souverän" wohl in Anspruch genommen hat; indeß dürfen wir
dabei nicht übersehen, daß die Kiolbassa's des Rumpfparlaments Alles dazu bei¬
getragen haben, diese veränderte Stimmung hervorzubringen. Zuerst in der Glorie
eines erhabenen Martyriums, das freilich ziemlich wohlfeil erlangt war, langweil¬
ten sie bald die guten Berliner durch beständige Wiederholung; die Folie ihrer
Würde schwand, als sie anfingen, sich untereinander zu prügeln; die im Sturm
ausgesprochene Steuerverweigerung öffnete die Angen des Volks sür den Ab¬
grund, an dessen Rand man schwebte; endlich folgte die theilweise Abreise nach
Brandenburg, die Fortsetzung der alten gaminmäßigeu Ungezogenheit, und, um
dem Ganzen die Krone aufzusetzen, die Erhebung des rückständigen Honorars.
Durch das Ridicnle hörten nun die Märtyrer auf immer auf, salousüchtig zu.sein
in den Augen eines gebildeten Berliner Publikums.

Wir haben den Schritt der Krone angegriffen, weil er nach unserer Ueber¬
zeugung das Spiel der Gegner verbesserte. Wir sind noch dieser Ansicht, ob¬
gleich sie der Erfolg nicht zu rechtfertigen scheint. Wäre aber die Versamm¬
lung, "um den gesetzlichen Weg nicht zu verlassen", der Einladung nach Bran¬
denburg ohne Weiteres gefolgt, und hätte nun dort mit aller Würde gekränkter
Unschuld die alte Opposition ins Blaue hinein sortgesetzt, so wäre die Krone in
einer sehr üblen Lage gewesen, denn die an Phrasen geschulte öffentliche Meinung
hätte die Versammlung, über deren "passiven würdevollen Widerstand" sie schon
so in Entzücken gericht, ans das kräftigste unterstützt.

Was jetzt- geschehen ist, war nicht zu vermeiden. Die Versammlung in ihrer
jetzigen Gestalt und Stimmung wäre nie mit einer Verfassung fertig geworden;
sie hätte nichts weiter gethan, als den siechen Zustand des Staats, wie bisher,
durch unnatürliche Reizmittel zu unterhalten. Die Stimmung des Landes war
günstig sür den Act; die offne Erklärung der Rechten gab den rechtlichen Anhalt.


wo der Volkskammer eine sogenannte Staatenkammer zur Seite gestellt wird, in
welcher die einzelnen Staaten ungefähr im Verhältniß des alten Bundes ver¬
treten sind, die noch dazu zur Hälfte von den Landtagen gewählt werden sollen,
in welcher also der Winkel-Radikalismus des Herrn Schafs»ath und seines Glei¬
chen das große Wort gegen Preußen führen wird. Gegen dieses absurde Project
sollte sich die gesammte Presse erheben, denn es heißt so viel, als völliges Auf¬
geben der deutscheu Einheit.

Die Stellung Preußens im Reich hängt von dem Ausfall der gegenwärtigen
Krisis ab, aus die wir zum Schluß einen Blick werfen.

Der plötzliche Umschlag der öffentlichen Meinung in Bezug auf die soge¬
nannte constituirende Versammlung könnte uns, die wir lebhaft für Deutschlands
Ehre empfinden, schwer verletzen, obgleich er zu Gunsten unserer Ansicht erfolgt
ist; denn er spricht keineswegs für die Reife politischer Bildung, die man für
unsern neuen „Souverän" wohl in Anspruch genommen hat; indeß dürfen wir
dabei nicht übersehen, daß die Kiolbassa's des Rumpfparlaments Alles dazu bei¬
getragen haben, diese veränderte Stimmung hervorzubringen. Zuerst in der Glorie
eines erhabenen Martyriums, das freilich ziemlich wohlfeil erlangt war, langweil¬
ten sie bald die guten Berliner durch beständige Wiederholung; die Folie ihrer
Würde schwand, als sie anfingen, sich untereinander zu prügeln; die im Sturm
ausgesprochene Steuerverweigerung öffnete die Angen des Volks sür den Ab¬
grund, an dessen Rand man schwebte; endlich folgte die theilweise Abreise nach
Brandenburg, die Fortsetzung der alten gaminmäßigeu Ungezogenheit, und, um
dem Ganzen die Krone aufzusetzen, die Erhebung des rückständigen Honorars.
Durch das Ridicnle hörten nun die Märtyrer auf immer auf, salousüchtig zu.sein
in den Augen eines gebildeten Berliner Publikums.

Wir haben den Schritt der Krone angegriffen, weil er nach unserer Ueber¬
zeugung das Spiel der Gegner verbesserte. Wir sind noch dieser Ansicht, ob¬
gleich sie der Erfolg nicht zu rechtfertigen scheint. Wäre aber die Versamm¬
lung, „um den gesetzlichen Weg nicht zu verlassen", der Einladung nach Bran¬
denburg ohne Weiteres gefolgt, und hätte nun dort mit aller Würde gekränkter
Unschuld die alte Opposition ins Blaue hinein sortgesetzt, so wäre die Krone in
einer sehr üblen Lage gewesen, denn die an Phrasen geschulte öffentliche Meinung
hätte die Versammlung, über deren „passiven würdevollen Widerstand" sie schon
so in Entzücken gericht, ans das kräftigste unterstützt.

Was jetzt- geschehen ist, war nicht zu vermeiden. Die Versammlung in ihrer
jetzigen Gestalt und Stimmung wäre nie mit einer Verfassung fertig geworden;
sie hätte nichts weiter gethan, als den siechen Zustand des Staats, wie bisher,
durch unnatürliche Reizmittel zu unterhalten. Die Stimmung des Landes war
günstig sür den Act; die offne Erklärung der Rechten gab den rechtlichen Anhalt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/410>, abgerufen am 22.07.2024.