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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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fusion angewendet und wie billig fast immer nur dazu benutzt wird, der anderen
und dem armen andächtigen Publikum Sand in die Augen zu streuen. Wir ha¬
ben in unserer noch so jungen politischen Carriere uns mit mehreren solchen Po¬
panzen herumzuschlagen, der gefährlichste davon scheint mir die Escamotage mit
dem Worte Volk, das jeder aufrichtig gesinnte Mann eben darum fast scheuen
muß in den Mund zu nehmen. Indessen ist es dort leichter das Gespenst zu ent¬
larven, wenn man nur das Toben und Poltern der anderen nicht fürchtet, also
mit bloßem gesunden Menschenverstand und das Herz auf dem rechten Flecke. Hier
aber hängen so viele gelehrte Lappen und Zipfel daran, daß sich mancher, dem
es bei der Sache unheimlich wird und der den Unrath wohl ahnt, sorgfältig in
Obacht nimmt, daran zu rühren, weil er vor einer Bläue sich nicht sicher fühlt.
Und die ist bekanntlich auch einem muthigen Herzen fürchterlich.

Eigentlich hätte man wohl im jetzigen Augenblick etwas besseres zu thun, als
den Leuten zu erklären, daß Windmühlen Windmühlen und keine gepanzerte Riesen
sind. Indessen kommt es mir vor, als hätten viele sogar in der Paulskirche Lust
ihre Lanze einzulegen und es ist Christenpflicht diese vor dem Schicksal des Man-
chancrs zu warnen. Bekanntlich gliedert sich der Leib jeder Nation, ähnlich wie
das Land, das sie bewohnt, in mehr oder minder zahlreiche, mehr oder minder
merkbar unterschiedene Abtheilungen, die man mit dem Namen Volksstämme zu
bezeichnen sich gewöhnt hat. Frankreich so gut wie Schweden, Rußland wie Italien
werden abgesehen von der ganz fremdartigen neben der herrschenden Nation dort
ansässigen Bevölkerung, wie in Frankreich z. B. die Deutschen im Elsaß, die Bas¬
ken in den Pyrenäen Departements und die Celten der Bretagne nicht von einer
von der Nord - bis zur Südspitze ganz gleichförmigen Masse bewohnt. Es ist .1
priori ganz unmöglich zu sagen, wo diese Mannigfaltigkeit der einzelnen Gliede¬
rung nach unten hin ihr Ende erreiche, denn sie verzweigt sich wie das Geäder-
und Nervengeflcchte des Menschenleibes in unendlich vielfache oft mikroskopische
Ausläufer. Wie dort lassen sich dann auch hier gewisse gemeinschaftliche Kennzei¬
chen entdecken, welche in die unendlich scheinende Vielheit eine relative Einheit
bringen, die sich nach oben, der ganzen Existenz der Nation gegenüber, in immer
weiteren Kreisen aufbaut. Um von vorne herein alle Konfusion zu vermeiden,
bezeichne ich hier, nach dem Vorgange der besten Autoritäten, nur die letzten ober¬
sten Kreise als Volksstämme und rede nur bei ihnen von Stammeseigenthümlich-
kciten. Wie anderswo finden sich diese auch in Deutschland, ob mehr oder weni¬
ger ausgeprägt als sonst, lasse ich hier einstweilen unberührt. Daß sie vorhanden
sind, weiß jeder aus eigener Anschauung und kennt wenigstens ungefähr, wenn er
sich auch keine strenge oder gar wissenschaftliche Rechtfertigung davon zu geben
vermag, ihre charakteristischen Merkmale. Die Frage ist nur, ob diese Stammes-
eigenthümlichkeit ein Wort in die Politik mitzureden hat.

Es ist doch bedenklich, daß wenn es geschehen sollte, daß der Vorschlag einer


fusion angewendet und wie billig fast immer nur dazu benutzt wird, der anderen
und dem armen andächtigen Publikum Sand in die Augen zu streuen. Wir ha¬
ben in unserer noch so jungen politischen Carriere uns mit mehreren solchen Po¬
panzen herumzuschlagen, der gefährlichste davon scheint mir die Escamotage mit
dem Worte Volk, das jeder aufrichtig gesinnte Mann eben darum fast scheuen
muß in den Mund zu nehmen. Indessen ist es dort leichter das Gespenst zu ent¬
larven, wenn man nur das Toben und Poltern der anderen nicht fürchtet, also
mit bloßem gesunden Menschenverstand und das Herz auf dem rechten Flecke. Hier
aber hängen so viele gelehrte Lappen und Zipfel daran, daß sich mancher, dem
es bei der Sache unheimlich wird und der den Unrath wohl ahnt, sorgfältig in
Obacht nimmt, daran zu rühren, weil er vor einer Bläue sich nicht sicher fühlt.
Und die ist bekanntlich auch einem muthigen Herzen fürchterlich.

Eigentlich hätte man wohl im jetzigen Augenblick etwas besseres zu thun, als
den Leuten zu erklären, daß Windmühlen Windmühlen und keine gepanzerte Riesen
sind. Indessen kommt es mir vor, als hätten viele sogar in der Paulskirche Lust
ihre Lanze einzulegen und es ist Christenpflicht diese vor dem Schicksal des Man-
chancrs zu warnen. Bekanntlich gliedert sich der Leib jeder Nation, ähnlich wie
das Land, das sie bewohnt, in mehr oder minder zahlreiche, mehr oder minder
merkbar unterschiedene Abtheilungen, die man mit dem Namen Volksstämme zu
bezeichnen sich gewöhnt hat. Frankreich so gut wie Schweden, Rußland wie Italien
werden abgesehen von der ganz fremdartigen neben der herrschenden Nation dort
ansässigen Bevölkerung, wie in Frankreich z. B. die Deutschen im Elsaß, die Bas¬
ken in den Pyrenäen Departements und die Celten der Bretagne nicht von einer
von der Nord - bis zur Südspitze ganz gleichförmigen Masse bewohnt. Es ist .1
priori ganz unmöglich zu sagen, wo diese Mannigfaltigkeit der einzelnen Gliede¬
rung nach unten hin ihr Ende erreiche, denn sie verzweigt sich wie das Geäder-
und Nervengeflcchte des Menschenleibes in unendlich vielfache oft mikroskopische
Ausläufer. Wie dort lassen sich dann auch hier gewisse gemeinschaftliche Kennzei¬
chen entdecken, welche in die unendlich scheinende Vielheit eine relative Einheit
bringen, die sich nach oben, der ganzen Existenz der Nation gegenüber, in immer
weiteren Kreisen aufbaut. Um von vorne herein alle Konfusion zu vermeiden,
bezeichne ich hier, nach dem Vorgange der besten Autoritäten, nur die letzten ober¬
sten Kreise als Volksstämme und rede nur bei ihnen von Stammeseigenthümlich-
kciten. Wie anderswo finden sich diese auch in Deutschland, ob mehr oder weni¬
ger ausgeprägt als sonst, lasse ich hier einstweilen unberührt. Daß sie vorhanden
sind, weiß jeder aus eigener Anschauung und kennt wenigstens ungefähr, wenn er
sich auch keine strenge oder gar wissenschaftliche Rechtfertigung davon zu geben
vermag, ihre charakteristischen Merkmale. Die Frage ist nur, ob diese Stammes-
eigenthümlichkeit ein Wort in die Politik mitzureden hat.

Es ist doch bedenklich, daß wenn es geschehen sollte, daß der Vorschlag einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/376>, abgerufen am 29.06.2024.