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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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so bös gemeint vorkommen wird, als sie aussieht. Herr Hagen bestieg darauf die
Tribüne und dcdncirte in einem selbstständigen Vortrage aus seinem Kollegienhefte
über deutsche Geschichte, sehr gelehrt und sehr peremtorisch und eben deshalb unter
lebhaftem Applaus seiner Freunde, welche die erstere Eigenschaft zwar drüben auf
den Professorenbänken gründlich verachten, sie jedoch bei sich selbst als Zierde des
überschüssig vorhandenen für das Volk und die Freiheit schlagenden Herzens sehr
gerne zu sehen Pflegen, daß die unorganische Gestaltung der Staatsgebiete die
einzige und alleinige Ursache alles des Unglücks, des Jahrhunderte laugen Jcnn.
mers seien, von dem die Blätter deutscher Geschichte strotzen. Als ebenso einzige
und alleinige Abhilfe müsse man sich, folgerte er ganz richtig nach den Gesetzen
der strengsten Logik, zu einer organischen Gestaltung derselben versteh", wie sie
in dem Antrage des Herrn Schaffrath vorgezeichnet sei. Dieser beruhe auf dem
allein maßgebenden Prinzip der Stammeseigenthümlichkeit, das bisher durch die
Fürstenmacht schmählich mit Füßen getreten worden. Jetzt aber sei die Zeit ge-
kommen, wo die einzelnen deutschen Völkerschaften über die Trümmer der Throne
ihrer Zwingherren zu organischer Entfaltung der Einheit und Mannigfaltigkeit
fortschreiten müßten, um für die Zukunft ihre glorreiche Bestimmung zu erreichen.
Kurz man vernahm hier nicht ohne einiges Befremden aus dein Munde eines der
eifrigsten Männer der Linken fast dieselben volltönenden Klänge, über die der be¬
sonnene Theil der Nation, als er sie in dem Patent des Königs von Preußen
vom 21. März dieses Jahrs barocken Andenkens las, bedenklich die Köpfe geschüt¬
telt hatte. Auch dort war von Stammeseigenthümlichkeit und den einzelnen deut¬
schen Völkerschaften, von Einheit und Mannigfaltigkeit, viel die Rede gewesen.
Nur schien der königliche Verfasser das alles als etwas in der Wirklichkeit schon
gegebenes oder um mit Herrn Hagen und Schaffrath zu sprechen, als vorhandene
organische Gebilde anzusehen, die unter den Fittigen des Reichsadlers nur frischer
und fröhlicher als sonst gedeihen aber keineswegs erst neu geschaffen werden sollten.
Erwägt man ferner, wie sich auch Herr v. Vincke sammt den anderen Rechtsbo-
denpaladineu bei jeder Gelegenheit, wo es galt den Einzelstaaten etwas von ihrer
bisherigen Selbstständigkeit und Selbstherrlichkeit zu entreißen, auf das unver¬
äußerliche Recht der 38 deutschen Völkerschaften oder Stämme berief, denkt man
dazu an die vielerlei gleichklingenden Negierungsmanifestationen, von der Ansprache
des Königs Maximilian II. von Baiern an das bairische Volk und Heer bis
zu den Erlaß Heinrichs I^XXII. an das Reuß-Ebersdorf-Lobenstein'sche Volk,
wirst man dann etwa noch einen Blick in die jetzt freilich ziemlich verschollenen zu
ihrer Zeit aber höchst wirksamen Blätter der Allcmaunia von 1817 und 18, wo
Volksstämme und Stammeseigenthümlichkeit alle zwei Zeilen gegen die Centrali-
sations- oder Hegemonie-Gelüste des damaligen Preußens ins Gefecht geführt
werden, so wird einem wenigstens so viel klar, daß es sich hier um einen höchst
unklaren Begriff handeln muß, der von den verschiedensten Parteien in toller Cor-


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so bös gemeint vorkommen wird, als sie aussieht. Herr Hagen bestieg darauf die
Tribüne und dcdncirte in einem selbstständigen Vortrage aus seinem Kollegienhefte
über deutsche Geschichte, sehr gelehrt und sehr peremtorisch und eben deshalb unter
lebhaftem Applaus seiner Freunde, welche die erstere Eigenschaft zwar drüben auf
den Professorenbänken gründlich verachten, sie jedoch bei sich selbst als Zierde des
überschüssig vorhandenen für das Volk und die Freiheit schlagenden Herzens sehr
gerne zu sehen Pflegen, daß die unorganische Gestaltung der Staatsgebiete die
einzige und alleinige Ursache alles des Unglücks, des Jahrhunderte laugen Jcnn.
mers seien, von dem die Blätter deutscher Geschichte strotzen. Als ebenso einzige
und alleinige Abhilfe müsse man sich, folgerte er ganz richtig nach den Gesetzen
der strengsten Logik, zu einer organischen Gestaltung derselben versteh», wie sie
in dem Antrage des Herrn Schaffrath vorgezeichnet sei. Dieser beruhe auf dem
allein maßgebenden Prinzip der Stammeseigenthümlichkeit, das bisher durch die
Fürstenmacht schmählich mit Füßen getreten worden. Jetzt aber sei die Zeit ge-
kommen, wo die einzelnen deutschen Völkerschaften über die Trümmer der Throne
ihrer Zwingherren zu organischer Entfaltung der Einheit und Mannigfaltigkeit
fortschreiten müßten, um für die Zukunft ihre glorreiche Bestimmung zu erreichen.
Kurz man vernahm hier nicht ohne einiges Befremden aus dein Munde eines der
eifrigsten Männer der Linken fast dieselben volltönenden Klänge, über die der be¬
sonnene Theil der Nation, als er sie in dem Patent des Königs von Preußen
vom 21. März dieses Jahrs barocken Andenkens las, bedenklich die Köpfe geschüt¬
telt hatte. Auch dort war von Stammeseigenthümlichkeit und den einzelnen deut¬
schen Völkerschaften, von Einheit und Mannigfaltigkeit, viel die Rede gewesen.
Nur schien der königliche Verfasser das alles als etwas in der Wirklichkeit schon
gegebenes oder um mit Herrn Hagen und Schaffrath zu sprechen, als vorhandene
organische Gebilde anzusehen, die unter den Fittigen des Reichsadlers nur frischer
und fröhlicher als sonst gedeihen aber keineswegs erst neu geschaffen werden sollten.
Erwägt man ferner, wie sich auch Herr v. Vincke sammt den anderen Rechtsbo-
denpaladineu bei jeder Gelegenheit, wo es galt den Einzelstaaten etwas von ihrer
bisherigen Selbstständigkeit und Selbstherrlichkeit zu entreißen, auf das unver¬
äußerliche Recht der 38 deutschen Völkerschaften oder Stämme berief, denkt man
dazu an die vielerlei gleichklingenden Negierungsmanifestationen, von der Ansprache
des Königs Maximilian II. von Baiern an das bairische Volk und Heer bis
zu den Erlaß Heinrichs I^XXII. an das Reuß-Ebersdorf-Lobenstein'sche Volk,
wirst man dann etwa noch einen Blick in die jetzt freilich ziemlich verschollenen zu
ihrer Zeit aber höchst wirksamen Blätter der Allcmaunia von 1817 und 18, wo
Volksstämme und Stammeseigenthümlichkeit alle zwei Zeilen gegen die Centrali-
sations- oder Hegemonie-Gelüste des damaligen Preußens ins Gefecht geführt
werden, so wird einem wenigstens so viel klar, daß es sich hier um einen höchst
unklaren Begriff handeln muß, der von den verschiedensten Parteien in toller Cor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/375>, abgerufen am 26.06.2024.