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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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auf dessen Gebiet der neue Gesammtstaat sich zunächst erstreckte. Sie hielten sich
erst zurück und schickten gleich einer souveränen Macht Gesandte nach Frankfurt,
uns großmüthig ihren Schutz antragend.

Die Idee des Principals im Osten, welchen die überschwenglichen Wiener bei
der unendlichen "Tragweite" ihres Enthusiasmus mit dem Principal des deutscheu
Gesammtstaates zu vereinen hofften, hatte zwei neue Rivalen bekommen. Dem
gemüthlichen Enthusiasmus dünkte die Doppellast dieser welthistorischen Aufgaben
eine Kleinigkeit. "Seid umschlungen Millionen!"

Als Bewerber um die eine dieser ruhmreichen Aufgaben traten jetzt die Slaven
hervor. Die rein deutschen Provinzen sollten nach ihrem Plan mit dem neuen Deutsch¬
land vereinigt und aus dem großen Nest der Monarchie ein selbstständiges Slavenreich
gebildet werden, dessen Grenze die äußersten Vorposten der slavischen Bevölkerung
(also im Westen Böhmen) mit der ganzen zahlreich zerstreut dazwischen wohnenden
deutschen Bevölkerung nebst den Magyaren umfassen sollte. Ein Theil der deutschen
Demokraten, diejenigen, die einen Sparren mehr als die andern hatten, die Hn-
manitärs jubelten diesem Plane zu. "vrimilo iwlitique, Befreiung aller Völker!"
Fünf Millionen Deutsche der slavischen Demokratie, d. h. der Barbarei zu über-
liefern, darauf kam es dieser Humanität, deren Motiv ein geheimer Haß gegen
Deutschland ist, nicht an und daß die Ungarn ein Wort mitreden würden, hatte
sie, deren starke Seite nicht die Kenntniß ist, vergessen.

Jener phantastische Plan, so wie die noch phantastischen Idee des Pansla-
vismus ward hauptsächlich von den Tschechen genährt, den gebildetsten und von
der deutschen Geistesbewegung am meisten berührten Slaven. Er sollte durch den
Slavencongreß zu Prag angebahnt werden, und hier zeigte sich das völlig Phan¬
tastische desselben. Die Slaven sind kein Volk, sondern eine Völkergruppe von
verschiedenen Sprachen und ihre Verschmelzung zu einem Staat hat eben so viel
Sinn als ein romanisches Reich von Franzosen, Italienern, Spaniern, Portugie¬
sen u. s. w. Die aufgeregte tschechische Bevölkerung in Prag brachte es zu einem
Konflikt mit dem großentheils slavischen Militär. Die eiserne Festigkeit Windisch-
grätz's blieb Sieger und der Slavencongreß stob bei diesem äußeren Anlaß aus¬
einander. Zum Glück für seine eigne Sache, deren Hohlheit sonst viel eclatanter
an den Tag gekommen wäre. Ein anderer Theil der deutschen Demokraten, die
Männer der zottigen Hochbrnst schickten Dankadressen an Windischgrätz, weil er
die deutsche Sache gerettet. Sie vergaßen in ihrem gedankenlosen Eifer, daß er
es als ein blindes Werkzeug des Despotismus gethan. Nun sind diese Herren
verwundert, daß ihr Held dieselbe Methode gegen Wien bewährt.

Die Tschechen aber ergriffen eine Partei, die ihrem Verstand Ehre macht,
sie stützten die Erhaltung des Kaiserstaats und sie haben die welthistorische Noth¬
wendigkeit für sich. Man sage nicht, daß ihnen nichts anderes übrig blieb!
Wollte Gott, daß unsre deutschen Parteien ergriffen, was sie allein retten kann!


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auf dessen Gebiet der neue Gesammtstaat sich zunächst erstreckte. Sie hielten sich
erst zurück und schickten gleich einer souveränen Macht Gesandte nach Frankfurt,
uns großmüthig ihren Schutz antragend.

Die Idee des Principals im Osten, welchen die überschwenglichen Wiener bei
der unendlichen „Tragweite" ihres Enthusiasmus mit dem Principal des deutscheu
Gesammtstaates zu vereinen hofften, hatte zwei neue Rivalen bekommen. Dem
gemüthlichen Enthusiasmus dünkte die Doppellast dieser welthistorischen Aufgaben
eine Kleinigkeit. „Seid umschlungen Millionen!"

Als Bewerber um die eine dieser ruhmreichen Aufgaben traten jetzt die Slaven
hervor. Die rein deutschen Provinzen sollten nach ihrem Plan mit dem neuen Deutsch¬
land vereinigt und aus dem großen Nest der Monarchie ein selbstständiges Slavenreich
gebildet werden, dessen Grenze die äußersten Vorposten der slavischen Bevölkerung
(also im Westen Böhmen) mit der ganzen zahlreich zerstreut dazwischen wohnenden
deutschen Bevölkerung nebst den Magyaren umfassen sollte. Ein Theil der deutschen
Demokraten, diejenigen, die einen Sparren mehr als die andern hatten, die Hn-
manitärs jubelten diesem Plane zu. „vrimilo iwlitique, Befreiung aller Völker!"
Fünf Millionen Deutsche der slavischen Demokratie, d. h. der Barbarei zu über-
liefern, darauf kam es dieser Humanität, deren Motiv ein geheimer Haß gegen
Deutschland ist, nicht an und daß die Ungarn ein Wort mitreden würden, hatte
sie, deren starke Seite nicht die Kenntniß ist, vergessen.

Jener phantastische Plan, so wie die noch phantastischen Idee des Pansla-
vismus ward hauptsächlich von den Tschechen genährt, den gebildetsten und von
der deutschen Geistesbewegung am meisten berührten Slaven. Er sollte durch den
Slavencongreß zu Prag angebahnt werden, und hier zeigte sich das völlig Phan¬
tastische desselben. Die Slaven sind kein Volk, sondern eine Völkergruppe von
verschiedenen Sprachen und ihre Verschmelzung zu einem Staat hat eben so viel
Sinn als ein romanisches Reich von Franzosen, Italienern, Spaniern, Portugie¬
sen u. s. w. Die aufgeregte tschechische Bevölkerung in Prag brachte es zu einem
Konflikt mit dem großentheils slavischen Militär. Die eiserne Festigkeit Windisch-
grätz's blieb Sieger und der Slavencongreß stob bei diesem äußeren Anlaß aus¬
einander. Zum Glück für seine eigne Sache, deren Hohlheit sonst viel eclatanter
an den Tag gekommen wäre. Ein anderer Theil der deutschen Demokraten, die
Männer der zottigen Hochbrnst schickten Dankadressen an Windischgrätz, weil er
die deutsche Sache gerettet. Sie vergaßen in ihrem gedankenlosen Eifer, daß er
es als ein blindes Werkzeug des Despotismus gethan. Nun sind diese Herren
verwundert, daß ihr Held dieselbe Methode gegen Wien bewährt.

Die Tschechen aber ergriffen eine Partei, die ihrem Verstand Ehre macht,
sie stützten die Erhaltung des Kaiserstaats und sie haben die welthistorische Noth¬
wendigkeit für sich. Man sage nicht, daß ihnen nichts anderes übrig blieb!
Wollte Gott, daß unsre deutschen Parteien ergriffen, was sie allein retten kann!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/349>, abgerufen am 25.11.2024.