Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in der Kritik stärker war als in bestimmten Vorschlägen einer neuen Organisation,
wird ihr gewiß Niemand zum Vorwurf machen, der bedenkt, daß sie fast ganz
außerhalb des eigentlichen Staatsorganismus ihre Stellung hatte.

Aeußerlich viel günstiger war also die Lage der sogenannten revolutionären
Partei. Sie hatte sich durch das einfache Bewußtsein: Hier ist Alles schlecht, vor sich
selbst zu einer Höhe geschwindelt, daß sie die Zeit, welche ihr die Beschäftigung
mit diesem Selbstgefühl übrig ließ, ohne Gewissensbisse durch Theaterrecensionen
und schlechte Novellen ausfüllen konnte. War ihr Humor mehr von der tragischen
Sorte, so sah ihnen die Welt wie eine Versammlung von Spitzeln aus, die ihnen
aus jedem Schritt nachschlichen, und jedes ihrer Worte, jede ihrer Bewegungen
Metternich hinterbrachten. Was für ein Gefühl mußte es sein, wenn man sich
sagen konnte, daß vielleicht schon in den Figuren des Cigarrendampfes, die man
von sich blies, ein schlauer Polizeisvion irgend eine, geheime Verschwörung her¬
ausfinden konnte! Man dampfte Hochverrath und unterwühlte die Wurzeln des
Staats, ohne die Arme dabei zu bewegen. Wie in den Hoffmannschen Mährchen
aus jedem Baum, aus jedem Strauch scheußliche Larven hervorgrinsen, so guckte
in der Phantasie des unglückseligen Revolutionärs hinter jedem Lehnstuhl das
lauschend gespitzte Ohr eines Spitzels hervor. Wenn man einem guten Freund
im Reich schreiben wollte, die Cousine habe sich verheirathet, so konnte das nnr
in Hieroglyphen geschehen, mit pseudvuymer Unterschrift, wo möglich in sympa¬
thetischer Dinte, denn die Polizei, die natürlich jeden Brief ausbrach und durch¬
las, hätte einen "gefürchteten" Mann durch Benutzung des unschuldigsten Wortes
an den Galgen oder wenigstens auf den Spiclberg bringen können. Wenn z. B.
in der Unterschrist stand: Ich habe die Ehre, zu sein u. s. w. - ^ Was! Ehre
hat der Bursch? Empörung! des Nachts vermummte Gestalten, Fesseln, Gruben, wo
weder Mond und Sonne hinscheint n. s. w. Von der Censur will ich gar nicht reden,
denn wir wissen das eben so gut. Was bildete man sich nicht ein, alles schreiben
zu können, wenn nicht die Scheere der verruchten Parcen die Lebensfaden gött¬
licher Gedanken abgeschnitten hätte!

So lebte sich Eure Jugend in ein wüstes Traumwesen ein. Ihr wurdet Vir¬
tuosen im Comödicspielen, in Verkleidungen, Namensvertauschuugen und ähnlichen
Kindereien. Kant Ihr gar über die Grenze, so überstieg das Gefühl Eures Marty¬
riums alle Schicklichkeit, und wenn früher die Censur, so war es jetzt der Schmerz
um die Verlorne Heimath, der allein Euch abhielt, durch erschütternde Gedanken
der Welt einen neuen Schwung zu geben.

Und Ihr hattet Recht, wenn Ihr sagtet: wer wird uns verdammen, daß wir
vor einem Tyrannen fliehen, der halb Europa in Knechtschaft hält! Der elek¬
trische Schlag der französischen Revolution löste Euch die Zunge; Ihr riefe aus
vollem Halse -- (das einzige Bild, in dem sich vorläufig Eure Freiheit verkör¬
perte) - Metternich fort! Die Häuser in den Straßen wunderten sich über die- ^


in der Kritik stärker war als in bestimmten Vorschlägen einer neuen Organisation,
wird ihr gewiß Niemand zum Vorwurf machen, der bedenkt, daß sie fast ganz
außerhalb des eigentlichen Staatsorganismus ihre Stellung hatte.

Aeußerlich viel günstiger war also die Lage der sogenannten revolutionären
Partei. Sie hatte sich durch das einfache Bewußtsein: Hier ist Alles schlecht, vor sich
selbst zu einer Höhe geschwindelt, daß sie die Zeit, welche ihr die Beschäftigung
mit diesem Selbstgefühl übrig ließ, ohne Gewissensbisse durch Theaterrecensionen
und schlechte Novellen ausfüllen konnte. War ihr Humor mehr von der tragischen
Sorte, so sah ihnen die Welt wie eine Versammlung von Spitzeln aus, die ihnen
aus jedem Schritt nachschlichen, und jedes ihrer Worte, jede ihrer Bewegungen
Metternich hinterbrachten. Was für ein Gefühl mußte es sein, wenn man sich
sagen konnte, daß vielleicht schon in den Figuren des Cigarrendampfes, die man
von sich blies, ein schlauer Polizeisvion irgend eine, geheime Verschwörung her¬
ausfinden konnte! Man dampfte Hochverrath und unterwühlte die Wurzeln des
Staats, ohne die Arme dabei zu bewegen. Wie in den Hoffmannschen Mährchen
aus jedem Baum, aus jedem Strauch scheußliche Larven hervorgrinsen, so guckte
in der Phantasie des unglückseligen Revolutionärs hinter jedem Lehnstuhl das
lauschend gespitzte Ohr eines Spitzels hervor. Wenn man einem guten Freund
im Reich schreiben wollte, die Cousine habe sich verheirathet, so konnte das nnr
in Hieroglyphen geschehen, mit pseudvuymer Unterschrift, wo möglich in sympa¬
thetischer Dinte, denn die Polizei, die natürlich jeden Brief ausbrach und durch¬
las, hätte einen „gefürchteten" Mann durch Benutzung des unschuldigsten Wortes
an den Galgen oder wenigstens auf den Spiclberg bringen können. Wenn z. B.
in der Unterschrist stand: Ich habe die Ehre, zu sein u. s. w. - ^ Was! Ehre
hat der Bursch? Empörung! des Nachts vermummte Gestalten, Fesseln, Gruben, wo
weder Mond und Sonne hinscheint n. s. w. Von der Censur will ich gar nicht reden,
denn wir wissen das eben so gut. Was bildete man sich nicht ein, alles schreiben
zu können, wenn nicht die Scheere der verruchten Parcen die Lebensfaden gött¬
licher Gedanken abgeschnitten hätte!

So lebte sich Eure Jugend in ein wüstes Traumwesen ein. Ihr wurdet Vir¬
tuosen im Comödicspielen, in Verkleidungen, Namensvertauschuugen und ähnlichen
Kindereien. Kant Ihr gar über die Grenze, so überstieg das Gefühl Eures Marty¬
riums alle Schicklichkeit, und wenn früher die Censur, so war es jetzt der Schmerz
um die Verlorne Heimath, der allein Euch abhielt, durch erschütternde Gedanken
der Welt einen neuen Schwung zu geben.

Und Ihr hattet Recht, wenn Ihr sagtet: wer wird uns verdammen, daß wir
vor einem Tyrannen fliehen, der halb Europa in Knechtschaft hält! Der elek¬
trische Schlag der französischen Revolution löste Euch die Zunge; Ihr riefe aus
vollem Halse — (das einzige Bild, in dem sich vorläufig Eure Freiheit verkör¬
perte) - Metternich fort! Die Häuser in den Straßen wunderten sich über die- ^


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277096"/>
            <p xml:id="ID_993" prev="#ID_992"> in der Kritik stärker war als in bestimmten Vorschlägen einer neuen Organisation,<lb/>
wird ihr gewiß Niemand zum Vorwurf machen, der bedenkt, daß sie fast ganz<lb/>
außerhalb des eigentlichen Staatsorganismus ihre Stellung hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_994"> Aeußerlich viel günstiger war also die Lage der sogenannten revolutionären<lb/>
Partei. Sie hatte sich durch das einfache Bewußtsein: Hier ist Alles schlecht, vor sich<lb/>
selbst zu einer Höhe geschwindelt, daß sie die Zeit, welche ihr die Beschäftigung<lb/>
mit diesem Selbstgefühl übrig ließ, ohne Gewissensbisse durch Theaterrecensionen<lb/>
und schlechte Novellen ausfüllen konnte. War ihr Humor mehr von der tragischen<lb/>
Sorte, so sah ihnen die Welt wie eine Versammlung von Spitzeln aus, die ihnen<lb/>
aus jedem Schritt nachschlichen, und jedes ihrer Worte, jede ihrer Bewegungen<lb/>
Metternich hinterbrachten. Was für ein Gefühl mußte es sein, wenn man sich<lb/>
sagen konnte, daß vielleicht schon in den Figuren des Cigarrendampfes, die man<lb/>
von sich blies, ein schlauer Polizeisvion irgend eine, geheime Verschwörung her¬<lb/>
ausfinden konnte! Man dampfte Hochverrath und unterwühlte die Wurzeln des<lb/>
Staats, ohne die Arme dabei zu bewegen. Wie in den Hoffmannschen Mährchen<lb/>
aus jedem Baum, aus jedem Strauch scheußliche Larven hervorgrinsen, so guckte<lb/>
in der Phantasie des unglückseligen Revolutionärs hinter jedem Lehnstuhl das<lb/>
lauschend gespitzte Ohr eines Spitzels hervor. Wenn man einem guten Freund<lb/>
im Reich schreiben wollte, die Cousine habe sich verheirathet, so konnte das nnr<lb/>
in Hieroglyphen geschehen, mit pseudvuymer Unterschrift, wo möglich in sympa¬<lb/>
thetischer Dinte, denn die Polizei, die natürlich jeden Brief ausbrach und durch¬<lb/>
las, hätte einen &#x201E;gefürchteten" Mann durch Benutzung des unschuldigsten Wortes<lb/>
an den Galgen oder wenigstens auf den Spiclberg bringen können. Wenn z. B.<lb/>
in der Unterschrist stand: Ich habe die Ehre, zu sein u. s. w. - ^ Was! Ehre<lb/>
hat der Bursch? Empörung! des Nachts vermummte Gestalten, Fesseln, Gruben, wo<lb/>
weder Mond und Sonne hinscheint n. s. w. Von der Censur will ich gar nicht reden,<lb/>
denn wir wissen das eben so gut. Was bildete man sich nicht ein, alles schreiben<lb/>
zu können, wenn nicht die Scheere der verruchten Parcen die Lebensfaden gött¬<lb/>
licher Gedanken abgeschnitten hätte!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_995"> So lebte sich Eure Jugend in ein wüstes Traumwesen ein. Ihr wurdet Vir¬<lb/>
tuosen im Comödicspielen, in Verkleidungen, Namensvertauschuugen und ähnlichen<lb/>
Kindereien. Kant Ihr gar über die Grenze, so überstieg das Gefühl Eures Marty¬<lb/>
riums alle Schicklichkeit, und wenn früher die Censur, so war es jetzt der Schmerz<lb/>
um die Verlorne Heimath, der allein Euch abhielt, durch erschütternde Gedanken<lb/>
der Welt einen neuen Schwung zu geben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_996" next="#ID_997"> Und Ihr hattet Recht, wenn Ihr sagtet: wer wird uns verdammen, daß wir<lb/>
vor einem Tyrannen fliehen, der halb Europa in Knechtschaft hält! Der elek¬<lb/>
trische Schlag der französischen Revolution löste Euch die Zunge; Ihr riefe aus<lb/>
vollem Halse &#x2014; (das einzige Bild, in dem sich vorläufig Eure Freiheit verkör¬<lb/>
perte) - Metternich fort! Die Häuser in den Straßen wunderten sich über die- ^</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] in der Kritik stärker war als in bestimmten Vorschlägen einer neuen Organisation, wird ihr gewiß Niemand zum Vorwurf machen, der bedenkt, daß sie fast ganz außerhalb des eigentlichen Staatsorganismus ihre Stellung hatte. Aeußerlich viel günstiger war also die Lage der sogenannten revolutionären Partei. Sie hatte sich durch das einfache Bewußtsein: Hier ist Alles schlecht, vor sich selbst zu einer Höhe geschwindelt, daß sie die Zeit, welche ihr die Beschäftigung mit diesem Selbstgefühl übrig ließ, ohne Gewissensbisse durch Theaterrecensionen und schlechte Novellen ausfüllen konnte. War ihr Humor mehr von der tragischen Sorte, so sah ihnen die Welt wie eine Versammlung von Spitzeln aus, die ihnen aus jedem Schritt nachschlichen, und jedes ihrer Worte, jede ihrer Bewegungen Metternich hinterbrachten. Was für ein Gefühl mußte es sein, wenn man sich sagen konnte, daß vielleicht schon in den Figuren des Cigarrendampfes, die man von sich blies, ein schlauer Polizeisvion irgend eine, geheime Verschwörung her¬ ausfinden konnte! Man dampfte Hochverrath und unterwühlte die Wurzeln des Staats, ohne die Arme dabei zu bewegen. Wie in den Hoffmannschen Mährchen aus jedem Baum, aus jedem Strauch scheußliche Larven hervorgrinsen, so guckte in der Phantasie des unglückseligen Revolutionärs hinter jedem Lehnstuhl das lauschend gespitzte Ohr eines Spitzels hervor. Wenn man einem guten Freund im Reich schreiben wollte, die Cousine habe sich verheirathet, so konnte das nnr in Hieroglyphen geschehen, mit pseudvuymer Unterschrift, wo möglich in sympa¬ thetischer Dinte, denn die Polizei, die natürlich jeden Brief ausbrach und durch¬ las, hätte einen „gefürchteten" Mann durch Benutzung des unschuldigsten Wortes an den Galgen oder wenigstens auf den Spiclberg bringen können. Wenn z. B. in der Unterschrist stand: Ich habe die Ehre, zu sein u. s. w. - ^ Was! Ehre hat der Bursch? Empörung! des Nachts vermummte Gestalten, Fesseln, Gruben, wo weder Mond und Sonne hinscheint n. s. w. Von der Censur will ich gar nicht reden, denn wir wissen das eben so gut. Was bildete man sich nicht ein, alles schreiben zu können, wenn nicht die Scheere der verruchten Parcen die Lebensfaden gött¬ licher Gedanken abgeschnitten hätte! So lebte sich Eure Jugend in ein wüstes Traumwesen ein. Ihr wurdet Vir¬ tuosen im Comödicspielen, in Verkleidungen, Namensvertauschuugen und ähnlichen Kindereien. Kant Ihr gar über die Grenze, so überstieg das Gefühl Eures Marty¬ riums alle Schicklichkeit, und wenn früher die Censur, so war es jetzt der Schmerz um die Verlorne Heimath, der allein Euch abhielt, durch erschütternde Gedanken der Welt einen neuen Schwung zu geben. Und Ihr hattet Recht, wenn Ihr sagtet: wer wird uns verdammen, daß wir vor einem Tyrannen fliehen, der halb Europa in Knechtschaft hält! Der elek¬ trische Schlag der französischen Revolution löste Euch die Zunge; Ihr riefe aus vollem Halse — (das einzige Bild, in dem sich vorläufig Eure Freiheit verkör¬ perte) - Metternich fort! Die Häuser in den Straßen wunderten sich über die- ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/340>, abgerufen am 03.07.2024.