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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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lich wünschten, als die Berliner Radikalen. Und welch ein Kampf wäre es ge¬
worden! Die Stimmung der Bürgerwchr war mehr als zweifelhaft, wahrschein¬
lich hätten alle Diejenigen aus ihrer Mitte zum Volke gestanden, die überhaupt
Lust hatten, von den Waffen Gebrauch zu machen. "Wir sind nicht hier, um die
Nationalversammlung zu schützen, sondern im Namen des souveränen Volkes dar¬
auf zu sehen, daß sich die Linke kein Titelchen ihrer Rechte vergibt," sagten mir
einstimmig die im Schauspielhause aufgestellten Posten. Und doch hatte man schon
die Vorsicht gebraucht, alle bekannten Demokraten für jenen Tag aus den Listen
zu streichen und nicht auf die Sammelplätze zu bestellen! Die Nehberger und
Kanalarbeiter, die auf Anordnung der Demagogen ihre Arbeiten eingestellt, ström¬
ten vom frühen Morgen an in die Stadt -- kurz wir standen auf einer Mine
und mehr als eine Partei wartete voll Verlangen auf den zündenden Funken.
Der Ausgang konnte natürlich nicht zweifelhaft sein, Wrangel hätte neue Lorbeer¬
zweige hinzugefügt zu den in Dänemark erworbenen, und dann, im Verein mit
Nobili zu Frankfurt, die Ruhe in einer Weise wieder hergestellt, daß sicher auch
den Gegnern des Radikalismus die Haare zu Berge gestanden!

Die Wuth der äußersten Linken über den ihr entrissenen Sieg spiegelt sich
am deutlichsten ab in dem Waldeck'schen Antrage auf Zurücknahme des berüch¬
tigten Armeebefehls; sie wollte it tont prix auf der Stelle ein Mißtrauensvotum
erzwingen gegen das "Kartätschen- und Säbelregiment," wie sie das neue Cavinet
zu nennen beliebt. Die Stimmung des niedern Volkes und der Demagogen zeigt
sich in dein nicht unbedeutenden Tumulte, den die letzteren des Abends noch vor
der Stadtvogtei zu Stande brachten. Selbst Pfuel's offene Erklärungen waren
nicht im Stande gewesen, die Gefahr ganz zu beseitigen und bis spät in die Nacht
schwebten wir noch immer in Angst vor dem Ausbruch einer Emeute. Doch hatte
sich die Lage der Dinge seit Vormittag wesentlich geändert, die Gutgesinnten
konnten jetzt nicht mehr im Zweifel sein, auf wessen Seite sie zu treten hatten,
und die Bürgerwehr war fest entschlossen, dem völlig grundlosen Skandal um
jeden Preis ein Ende zu machen; das Einschreiten des Militärs war also nicht
mehr zu fürchten. Die Nationalgardisten fanden sich zahlreich auf die Allarm¬
signale ein und jagten schließlich die Menge durch ein paar Bajonettangriffe aus¬
einander, obwohl diese sich hartnäckiger zeigte als gewöhnlich, das Steinpflaster
aufriß, mehrere Bürgerwehrmänner verwundete und selbst Barrikaden zu bauen
begann. Ich fragte einen der ärgsten Tumultuanten, was sie denn eigentlich
wollten, es sei ja Alles geschehen, was die Kammer verlangt. "Das ist wohl
wahr," erwiederte mir das ehrenwerthe Mitglied des souveränen Volkes mit eini¬
ger Verlegenheit, "aber sehen Sie, das ist doch schlimm, wir hatten uns nun
doch einmal eingerichtet auf heute. Und wer wird uns Kanalarbeitern den Lohn
wiedergeben für die versäumte Arbeit?" Man war in der Perfidie so weit gegan¬
gen, die besseren Leute durch die Schachtmeister in die Stadt zu locken, weil sie


lich wünschten, als die Berliner Radikalen. Und welch ein Kampf wäre es ge¬
worden! Die Stimmung der Bürgerwchr war mehr als zweifelhaft, wahrschein¬
lich hätten alle Diejenigen aus ihrer Mitte zum Volke gestanden, die überhaupt
Lust hatten, von den Waffen Gebrauch zu machen. „Wir sind nicht hier, um die
Nationalversammlung zu schützen, sondern im Namen des souveränen Volkes dar¬
auf zu sehen, daß sich die Linke kein Titelchen ihrer Rechte vergibt," sagten mir
einstimmig die im Schauspielhause aufgestellten Posten. Und doch hatte man schon
die Vorsicht gebraucht, alle bekannten Demokraten für jenen Tag aus den Listen
zu streichen und nicht auf die Sammelplätze zu bestellen! Die Nehberger und
Kanalarbeiter, die auf Anordnung der Demagogen ihre Arbeiten eingestellt, ström¬
ten vom frühen Morgen an in die Stadt — kurz wir standen auf einer Mine
und mehr als eine Partei wartete voll Verlangen auf den zündenden Funken.
Der Ausgang konnte natürlich nicht zweifelhaft sein, Wrangel hätte neue Lorbeer¬
zweige hinzugefügt zu den in Dänemark erworbenen, und dann, im Verein mit
Nobili zu Frankfurt, die Ruhe in einer Weise wieder hergestellt, daß sicher auch
den Gegnern des Radikalismus die Haare zu Berge gestanden!

Die Wuth der äußersten Linken über den ihr entrissenen Sieg spiegelt sich
am deutlichsten ab in dem Waldeck'schen Antrage auf Zurücknahme des berüch¬
tigten Armeebefehls; sie wollte it tont prix auf der Stelle ein Mißtrauensvotum
erzwingen gegen das „Kartätschen- und Säbelregiment," wie sie das neue Cavinet
zu nennen beliebt. Die Stimmung des niedern Volkes und der Demagogen zeigt
sich in dein nicht unbedeutenden Tumulte, den die letzteren des Abends noch vor
der Stadtvogtei zu Stande brachten. Selbst Pfuel's offene Erklärungen waren
nicht im Stande gewesen, die Gefahr ganz zu beseitigen und bis spät in die Nacht
schwebten wir noch immer in Angst vor dem Ausbruch einer Emeute. Doch hatte
sich die Lage der Dinge seit Vormittag wesentlich geändert, die Gutgesinnten
konnten jetzt nicht mehr im Zweifel sein, auf wessen Seite sie zu treten hatten,
und die Bürgerwehr war fest entschlossen, dem völlig grundlosen Skandal um
jeden Preis ein Ende zu machen; das Einschreiten des Militärs war also nicht
mehr zu fürchten. Die Nationalgardisten fanden sich zahlreich auf die Allarm¬
signale ein und jagten schließlich die Menge durch ein paar Bajonettangriffe aus¬
einander, obwohl diese sich hartnäckiger zeigte als gewöhnlich, das Steinpflaster
aufriß, mehrere Bürgerwehrmänner verwundete und selbst Barrikaden zu bauen
begann. Ich fragte einen der ärgsten Tumultuanten, was sie denn eigentlich
wollten, es sei ja Alles geschehen, was die Kammer verlangt. „Das ist wohl
wahr," erwiederte mir das ehrenwerthe Mitglied des souveränen Volkes mit eini¬
ger Verlegenheit, „aber sehen Sie, das ist doch schlimm, wir hatten uns nun
doch einmal eingerichtet auf heute. Und wer wird uns Kanalarbeitern den Lohn
wiedergeben für die versäumte Arbeit?" Man war in der Perfidie so weit gegan¬
gen, die besseren Leute durch die Schachtmeister in die Stadt zu locken, weil sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/34>, abgerufen am 03.07.2024.