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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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zu beobachten, wie die gestimmten Stände, welchen die Beschaffung unserer mate¬
riellen Wohlfahrt zunächst obliegt, sich in zwei große Lager getheilt haben, welche
sich mit äußerster Erbitterung und Entrüstung einander gegenüber stehen. Das
eine Heer schaart sich unter dem Banner des Schutzzolls, das andre unter dem
des Freihandels. Wie oft sind seit einem Jahre diese beiden Begriffe ge¬
nannt, verfochten worden und wie oft von Leuten, die nicht einmal einen Begriff
von dem Begriff hatten! Welche furchtbaren Kämpfe haben die Schutzzöllner mit
den Freihändlern geführt, Kämpfe, welche deu Freund vom Freund, den Sohn
vom Vater, den Compagnon von der Firma losgerissen haben. Und was ist bis
heute als Resultat erreicht wordeu? Sehr wenig, nur so viel, als jeder Ge¬
mäßigte, Vorurtheilsfreie vou vorn herein als die richtige Mitte und zum allei¬
nigen Heil in dieser Frage führend bezeichnen konnte. Es ist sonderbar, wie leicht
wir Deutsche uns von glänzenden Theoremen der Ausländer blenden lassen. Nir¬
gends hat die mit volle" Händen ausgestreute Saat des Apostels des Freihan¬
dels einer willigeren, aber auch nirgends einen so wenig zubereiteten, rohen Bo¬
den gefunden, wie in Deutschland. Der Handelsstand, die Handwerker, zum
Theil auch die Bodenproduzeuteu griffen mit gierigen Fingern nach dem dargebo¬
tenen goldenen Apfel, ohne zu ahnen, daß in der äußerlich schönen Frucht ein
häßlicher Wurm nagen könne.

Ihnen gegenüber hielte" insbesondere die Fabrikanten und Hüttenleute hart¬
näckig am Prohibitivsystem und Schutzzöllen fest, denn sie scheuten das von jen¬
seits der Meere herüber drohende Gespenst der mächtigsten Concurrenz; auch sie
waren und sind in völlig einseitiger Anschauung befangen. Der gegenseitige Eigen¬
sinn der feindlichen Parteien hat zu den lächerlichsten Extravaganzen, zu völ¬
lig unsinnigen Vorschlägen, zu allen Thorheiten geführt, welche eine maßlose
Leidenschaftlichkeit nur im menschlichen Gehirn erwecken kann. Sie hätten nur
einmal, wie ich, die Gespräche an den Gasthvftafcln belauschen sollen, als der
Kongreß der Fabrikanten in Frankfurt tagte. Der schlestsche Hütteubesitzcr ist mit
seinem Bruder, dem Hamburger Großhändler, zusammengetroffen; sie haben sich
seit Jahren nicht gesehen, sie lieben sich herzlich und ihre brüderlichen Ergüsse
nehmen geraume Zeit weg. Endlich sagt der Schlesier zufällig: "Nun, ich hoffe,
ein genügendes Schutzsystem soll meinem Geschäfte in den nächsten Jahren einen
neuen Aufschwung verleihen." Der Hamburger wird blaß; "ich glaube gar,"
stottert er, "du bist Schutzzöllner, lieber Bruder? Nimm es nicht übel, aber" --
"Und ich", entgegnete der Schlesier mit einem stechenden Blick, "will nicht hof¬
fen, daß du vou den thörichten Schwindeleien der Freihändler angesteckt bist."
Der Streit beginnt, wird hitzig -- die Brüder springen auf, werfen die Stühle
zurück -- "Narr!" ruft der Eine -- "Schwachkopf!" der Andere, und sie sind
getrennt auf immer.


zu beobachten, wie die gestimmten Stände, welchen die Beschaffung unserer mate¬
riellen Wohlfahrt zunächst obliegt, sich in zwei große Lager getheilt haben, welche
sich mit äußerster Erbitterung und Entrüstung einander gegenüber stehen. Das
eine Heer schaart sich unter dem Banner des Schutzzolls, das andre unter dem
des Freihandels. Wie oft sind seit einem Jahre diese beiden Begriffe ge¬
nannt, verfochten worden und wie oft von Leuten, die nicht einmal einen Begriff
von dem Begriff hatten! Welche furchtbaren Kämpfe haben die Schutzzöllner mit
den Freihändlern geführt, Kämpfe, welche deu Freund vom Freund, den Sohn
vom Vater, den Compagnon von der Firma losgerissen haben. Und was ist bis
heute als Resultat erreicht wordeu? Sehr wenig, nur so viel, als jeder Ge¬
mäßigte, Vorurtheilsfreie vou vorn herein als die richtige Mitte und zum allei¬
nigen Heil in dieser Frage führend bezeichnen konnte. Es ist sonderbar, wie leicht
wir Deutsche uns von glänzenden Theoremen der Ausländer blenden lassen. Nir¬
gends hat die mit volle» Händen ausgestreute Saat des Apostels des Freihan¬
dels einer willigeren, aber auch nirgends einen so wenig zubereiteten, rohen Bo¬
den gefunden, wie in Deutschland. Der Handelsstand, die Handwerker, zum
Theil auch die Bodenproduzeuteu griffen mit gierigen Fingern nach dem dargebo¬
tenen goldenen Apfel, ohne zu ahnen, daß in der äußerlich schönen Frucht ein
häßlicher Wurm nagen könne.

Ihnen gegenüber hielte» insbesondere die Fabrikanten und Hüttenleute hart¬
näckig am Prohibitivsystem und Schutzzöllen fest, denn sie scheuten das von jen¬
seits der Meere herüber drohende Gespenst der mächtigsten Concurrenz; auch sie
waren und sind in völlig einseitiger Anschauung befangen. Der gegenseitige Eigen¬
sinn der feindlichen Parteien hat zu den lächerlichsten Extravaganzen, zu völ¬
lig unsinnigen Vorschlägen, zu allen Thorheiten geführt, welche eine maßlose
Leidenschaftlichkeit nur im menschlichen Gehirn erwecken kann. Sie hätten nur
einmal, wie ich, die Gespräche an den Gasthvftafcln belauschen sollen, als der
Kongreß der Fabrikanten in Frankfurt tagte. Der schlestsche Hütteubesitzcr ist mit
seinem Bruder, dem Hamburger Großhändler, zusammengetroffen; sie haben sich
seit Jahren nicht gesehen, sie lieben sich herzlich und ihre brüderlichen Ergüsse
nehmen geraume Zeit weg. Endlich sagt der Schlesier zufällig: „Nun, ich hoffe,
ein genügendes Schutzsystem soll meinem Geschäfte in den nächsten Jahren einen
neuen Aufschwung verleihen." Der Hamburger wird blaß; „ich glaube gar,"
stottert er, „du bist Schutzzöllner, lieber Bruder? Nimm es nicht übel, aber" —
„Und ich", entgegnete der Schlesier mit einem stechenden Blick, „will nicht hof¬
fen, daß du vou den thörichten Schwindeleien der Freihändler angesteckt bist."
Der Streit beginnt, wird hitzig — die Brüder springen auf, werfen die Stühle
zurück — „Narr!" ruft der Eine — „Schwachkopf!" der Andere, und sie sind
getrennt auf immer.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/329>, abgerufen am 28.09.2024.