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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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ziemlich isolirt liegt; zwei bestialisch aussehende Kerle steinige"! einen dritten. Ein
Grundriß des Thurms, der ihm als Attribut aus der Tasche hängt, stempelt ihn
als den Baumeister, das Werkzeug des Tyrannen; einer von den Kerlen trägt
eine schwere Last Sandsteine mit einem Riemen befestigt auf dem Rücken; es wäre
zwar bequemer gewesen, wenn er sich derselben erst entledigt hätte, ehe er an dem
unglückseligen Architekten die Lynchjustiz des souveränen Volks ausübte, aber er
mußte sich vor dem Publikum als gedrückter Vertreter des Proletariats legitimiren.

Und was ist nun endlich die Ursache dieser plötzlich eintretenden Verwirrung?
Sie schwebt als Wolke über dem Haupt des Königs, der nichts davon gewahr
wird: Gott der Vater in der Mitte von zwei sentimental unbestimmten Kalender¬
engeln.

Gegen die sinnliche Erscheinung Gottes ist nichts einzuwenden. Jedenfalls
offenbart er sich als Mensch zweckmüßiger, als in der Gestalt einer Taube, eines
Dreiecks oder sonstiger irrationeller Symbolik. Schon aus architektonischen Grün¬
den muß die Höhe des Gemäldes eine würdige Ausstattung haben -- in seiner
Hunnenschlacht hat Kaulbach dies Bedürfniß durch die in der Höhe schwebenden
Geister der Erschlagenen befriedigt. Aber wenn sich der Künstler einmal entschließt,
Gott, welcher nach der Allssage der Bibel nur ein Geist ist, plastisch zu vergegen¬
wärtigen, so muß es in aller sinnlichen Fülle des Lebens geschehen. Die schwind¬
süchtige Figur würde sich freilich symbolisch dem Begriff des reinen Geistes mehr
nähern, aber sie hat keine Berechtigung in der Kunst. Auch der christliche Gott
muß, wenn er erscheint, bei deu Heiden in die Schule gehn und sich in die edlen
Formen kleiden, welche der griechische Meißel der idealen Natur abgelauscht hat.
Der erscheinende Gott ist Zeus, die harmonisch gebildete Kraft. Hier nun hat
sich der Künstler verführen lassen, ins Gothische überzuschweifen. Sein Gott hat
eine nach allen Seiten stark hervorgetriebene Stirn, wahrscheinlich um das Ueber¬
maß der Intelligenz anzudeuten. Aber eben dadurch wird er häßlich, ohne die.
auch in der sinnlichen Erscheinung angedeutete Harmonie der Kräfte ist kein Gott
-- d. h. kein schöner Mensch zu denken. Noch schlimmer ist es aber, daß wir
nicht recht wissen, was Gott macht. Als das Symbol der göttlichen Gewalt kann
nur die erhabene Naturkraft gelten, vor der wir schaudern, weil wir sie in
ihren letzten Gründen nicht begreifen. Gott mußte, wenn er auch selbst in dem
Zorn seines Antlitzes das Maaß der heitern olympischen Ruhe uicht verliere" durfte,
nach allen Seiten hin blitzen, man mußte sehen, wie der von Menschen gebildete
Koloß unter der höheren Gewalt des Donnerers zusammenbebt. Davon geschieht
nichts; mit Ausnahme der beiden umgefallenen, übrigens ziemlich kleinen Götzen¬
bilder, ist keine Spur der Zerstörung wahrzunehmen, und man begreift nicht, wo¬
her all' dieser Lärm? Gott -- der übrigens wegen der ungeschickten Stellung der
Wolke, die zu nahe über den Häuptern der untern Gruppe schwebt, und sogar,
wie es scheint, vor dem Sitz des Königs, genöthigt ist, sich zu bücken, um nach


ziemlich isolirt liegt; zwei bestialisch aussehende Kerle steinige»! einen dritten. Ein
Grundriß des Thurms, der ihm als Attribut aus der Tasche hängt, stempelt ihn
als den Baumeister, das Werkzeug des Tyrannen; einer von den Kerlen trägt
eine schwere Last Sandsteine mit einem Riemen befestigt auf dem Rücken; es wäre
zwar bequemer gewesen, wenn er sich derselben erst entledigt hätte, ehe er an dem
unglückseligen Architekten die Lynchjustiz des souveränen Volks ausübte, aber er
mußte sich vor dem Publikum als gedrückter Vertreter des Proletariats legitimiren.

Und was ist nun endlich die Ursache dieser plötzlich eintretenden Verwirrung?
Sie schwebt als Wolke über dem Haupt des Königs, der nichts davon gewahr
wird: Gott der Vater in der Mitte von zwei sentimental unbestimmten Kalender¬
engeln.

Gegen die sinnliche Erscheinung Gottes ist nichts einzuwenden. Jedenfalls
offenbart er sich als Mensch zweckmüßiger, als in der Gestalt einer Taube, eines
Dreiecks oder sonstiger irrationeller Symbolik. Schon aus architektonischen Grün¬
den muß die Höhe des Gemäldes eine würdige Ausstattung haben — in seiner
Hunnenschlacht hat Kaulbach dies Bedürfniß durch die in der Höhe schwebenden
Geister der Erschlagenen befriedigt. Aber wenn sich der Künstler einmal entschließt,
Gott, welcher nach der Allssage der Bibel nur ein Geist ist, plastisch zu vergegen¬
wärtigen, so muß es in aller sinnlichen Fülle des Lebens geschehen. Die schwind¬
süchtige Figur würde sich freilich symbolisch dem Begriff des reinen Geistes mehr
nähern, aber sie hat keine Berechtigung in der Kunst. Auch der christliche Gott
muß, wenn er erscheint, bei deu Heiden in die Schule gehn und sich in die edlen
Formen kleiden, welche der griechische Meißel der idealen Natur abgelauscht hat.
Der erscheinende Gott ist Zeus, die harmonisch gebildete Kraft. Hier nun hat
sich der Künstler verführen lassen, ins Gothische überzuschweifen. Sein Gott hat
eine nach allen Seiten stark hervorgetriebene Stirn, wahrscheinlich um das Ueber¬
maß der Intelligenz anzudeuten. Aber eben dadurch wird er häßlich, ohne die.
auch in der sinnlichen Erscheinung angedeutete Harmonie der Kräfte ist kein Gott
— d. h. kein schöner Mensch zu denken. Noch schlimmer ist es aber, daß wir
nicht recht wissen, was Gott macht. Als das Symbol der göttlichen Gewalt kann
nur die erhabene Naturkraft gelten, vor der wir schaudern, weil wir sie in
ihren letzten Gründen nicht begreifen. Gott mußte, wenn er auch selbst in dem
Zorn seines Antlitzes das Maaß der heitern olympischen Ruhe uicht verliere» durfte,
nach allen Seiten hin blitzen, man mußte sehen, wie der von Menschen gebildete
Koloß unter der höheren Gewalt des Donnerers zusammenbebt. Davon geschieht
nichts; mit Ausnahme der beiden umgefallenen, übrigens ziemlich kleinen Götzen¬
bilder, ist keine Spur der Zerstörung wahrzunehmen, und man begreift nicht, wo¬
her all' dieser Lärm? Gott — der übrigens wegen der ungeschickten Stellung der
Wolke, die zu nahe über den Häuptern der untern Gruppe schwebt, und sogar,
wie es scheint, vor dem Sitz des Königs, genöthigt ist, sich zu bücken, um nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/312>, abgerufen am 26.12.2024.