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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Verhältnisse, über Auflösung oder Bildung von Gemeinden; über neu einzufüh¬
rendes Octroi oder andre indirecte Gemeideerhebnngen; zur Theilnahme an der
Verwaltung und Beaufsichtigung von vorhandenen, sowie zur Veranlassung und
Begründung neuer Bezirksaustalten, zu Anträgen, Beschwerden, Gutachten über
die öffentlichen Interessen des Bezirks. Der Bezirksrath tritt aus Einladung der
Regierungscommission jährlich einmal auf höchstens 14 Tage zusammen.

Das Institut erweist sich demnach wesentlich als ein vermittelndes, Uebergang
bildendes, denn einerseits kommt ihm in Sachen des Bezirks nur eine begutach¬
tende, berechnende Thätigkeit zu, andererseits sind die Gemeinden an und sür sich
nicht freigegeben; der Verfügung der Regierungsbehörde ist nur der entscheidende
Wille einer aus der Mitte aller Betheiligten hervorgegangenen Corporation gegen¬
übergestellt. Es unterliegen jedoch nur Angelegenheiten der wichtigsten Art dieser
Behörde, gerade solche, in deren Bereich bis dahin der büreaukratische Druck am
schwersten gefühlt worden war. Das Recht der Gemeinden, ihr Budget selbst an¬
zusetzen mit Vorbehalt der Genehmigung der Behörden war in der That ein
Phantom; in dieser Richtung sind der Willkür nun Schranken gesteckt. Sodann
ist die vierte Bestimmung wichtig, denn die trotz der Remonstrationen der Ge-
munden erfolgende Aufnahme von ortsfremden Leuten hat notorisch zur Erhö¬
hung der Armenfonds und zum Sinken des Wohlstandes der gewerbtreibenden
Classe durch Eröffnung einer übermäßige" Concurrenz beigetragen. Das Institut
hat sonach seine vortrefflichen Seiten und es wird leider lange Zeit bedürfen, bis
diese nach Möglichkeit zum Frommen der Gemeinden und zur Erwerbung eines
regeren Gemeindelebens ausgebeutet sein werden, denn so sehr ist ein gesunder
politischer Sinn, der sich gerade hier, wo die Interessen des Einzelnen so unmit¬
telbar berührt werden, bewähren sollte, so sehr, wie es scheint, praktische Einsicht
abhanden gekommen, daß von mindestens 60W stimmfähigen Bewohnern der Haupt-
stadt, wie sich nun ausweist, etwa 1600, und dabei viele von ihren Oberen com-
mandirte Militärs ihre Stimmen abgaben. Ueberall dieselbe Nimmersatte Gier
uach Freiheiten und dabei, um in dem Bilde zu bleiben, ein verdorbener Magen,
die auch nicht die kleinste Portion zu verdauen im Stande ist!

Das Institut trägt aber trotz seiner guten Seiten deutlich die Zeichen der
Zeit an sich, eine gewisse Unfertigkeit und Inconsequenz. Die Ausdehnung des
activen und passiven Wahlrechts auf alle Staatsbürger ist vollkommen dem Grund¬
sätze der breitesten Basis angemessen, sie erscheint aber hier, wie sich alsbald zei¬
gen wird, als eine vollkommene Anomalie, welcher alle natürlichen Grundlagen
fehlen; ferner ist die Bestimmung, daß weder Diäten noch Reisegelder gestattet
sind, nach unserer Meinung auch eine zu exclusiv für die vermögende Classe günstige.
Es bewährt sich nach diesen Seiten hin vollkommen die Richtigkeit der in dem
mehrfach erwähnten Entwürfe aufgestellten Hauptgrundsätze, daß die Gemeinde
sämmtliche ansässige Staatsbürger als Ortsbürger umfassen


Verhältnisse, über Auflösung oder Bildung von Gemeinden; über neu einzufüh¬
rendes Octroi oder andre indirecte Gemeideerhebnngen; zur Theilnahme an der
Verwaltung und Beaufsichtigung von vorhandenen, sowie zur Veranlassung und
Begründung neuer Bezirksaustalten, zu Anträgen, Beschwerden, Gutachten über
die öffentlichen Interessen des Bezirks. Der Bezirksrath tritt aus Einladung der
Regierungscommission jährlich einmal auf höchstens 14 Tage zusammen.

Das Institut erweist sich demnach wesentlich als ein vermittelndes, Uebergang
bildendes, denn einerseits kommt ihm in Sachen des Bezirks nur eine begutach¬
tende, berechnende Thätigkeit zu, andererseits sind die Gemeinden an und sür sich
nicht freigegeben; der Verfügung der Regierungsbehörde ist nur der entscheidende
Wille einer aus der Mitte aller Betheiligten hervorgegangenen Corporation gegen¬
übergestellt. Es unterliegen jedoch nur Angelegenheiten der wichtigsten Art dieser
Behörde, gerade solche, in deren Bereich bis dahin der büreaukratische Druck am
schwersten gefühlt worden war. Das Recht der Gemeinden, ihr Budget selbst an¬
zusetzen mit Vorbehalt der Genehmigung der Behörden war in der That ein
Phantom; in dieser Richtung sind der Willkür nun Schranken gesteckt. Sodann
ist die vierte Bestimmung wichtig, denn die trotz der Remonstrationen der Ge-
munden erfolgende Aufnahme von ortsfremden Leuten hat notorisch zur Erhö¬
hung der Armenfonds und zum Sinken des Wohlstandes der gewerbtreibenden
Classe durch Eröffnung einer übermäßige» Concurrenz beigetragen. Das Institut
hat sonach seine vortrefflichen Seiten und es wird leider lange Zeit bedürfen, bis
diese nach Möglichkeit zum Frommen der Gemeinden und zur Erwerbung eines
regeren Gemeindelebens ausgebeutet sein werden, denn so sehr ist ein gesunder
politischer Sinn, der sich gerade hier, wo die Interessen des Einzelnen so unmit¬
telbar berührt werden, bewähren sollte, so sehr, wie es scheint, praktische Einsicht
abhanden gekommen, daß von mindestens 60W stimmfähigen Bewohnern der Haupt-
stadt, wie sich nun ausweist, etwa 1600, und dabei viele von ihren Oberen com-
mandirte Militärs ihre Stimmen abgaben. Ueberall dieselbe Nimmersatte Gier
uach Freiheiten und dabei, um in dem Bilde zu bleiben, ein verdorbener Magen,
die auch nicht die kleinste Portion zu verdauen im Stande ist!

Das Institut trägt aber trotz seiner guten Seiten deutlich die Zeichen der
Zeit an sich, eine gewisse Unfertigkeit und Inconsequenz. Die Ausdehnung des
activen und passiven Wahlrechts auf alle Staatsbürger ist vollkommen dem Grund¬
sätze der breitesten Basis angemessen, sie erscheint aber hier, wie sich alsbald zei¬
gen wird, als eine vollkommene Anomalie, welcher alle natürlichen Grundlagen
fehlen; ferner ist die Bestimmung, daß weder Diäten noch Reisegelder gestattet
sind, nach unserer Meinung auch eine zu exclusiv für die vermögende Classe günstige.
Es bewährt sich nach diesen Seiten hin vollkommen die Richtigkeit der in dem
mehrfach erwähnten Entwürfe aufgestellten Hauptgrundsätze, daß die Gemeinde
sämmtliche ansässige Staatsbürger als Ortsbürger umfassen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/304>, abgerufen am 22.07.2024.