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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Unterdrückung seines Stammes in einen Punkt concentrirt, Haß gegen die Un¬
terdrücker. Diese Unterdrückung kann dem Juden nicht alles Positive rauben;
ihm bleibt die Tradition seines Volks, die Familie, der Gewinn und das Gesetz,
das unabhängig von den Leidenschaften und den Stimmungen der Menschen, sein
Schild über alle breitet, seineu Speer gleichmäßig nach allen Seiten richtet. Dem
Glauben an dieses Positive verpfändet er seine Seele, er wird in allen Punkten
betrogen, weil er keinen sittlichen Inhalt hineinzutragen weiß. Die traditionelle
Religion ist ihm nur in ihrer Beschimpfung überall gegenwärtig, sie hat ans
sein Gemüth keinen veredelnden Einfluß, sie legitimirt nur seinen Haß; er muß
sie zuletzt abschwören, sich demüthigen vor den Feinden, gegen die er ihre eignen
Waffen vergebens zu kehren versucht. Er muß es erleben, daß der Mann, auf
den er die ganze Gewalt seines Christenhasses gesammelt hat, als Sieger aus
dem ungleichen Kampfe hervorgeht, und wir müssen die Gerechtigkeit des Schick¬
sals anerkennen, denn Antonio ist ihm auch, an sittlicher Würde überlegen. Er
hält die Familie heilig, aber auch nur in der Abstraktion; er weiß seiner Toch¬
ter keine Liebe einzuflößen, und diese verläßt und verräth ihn. Er jagt dem
Gewinn nach mit der ganzen Zähigkeit eines Mannes, dem jeder andere Pfad' der
Bethätigung verschlösse" ist, und das Geld ist ihm die Symbolik der Macht; aber
gerade weil er sich in diese Symbolik verstrickt, wird er in dieser Aeußerlichkeit
gestraft, an die er seine Seele verpfändet hat. Antonio verlor auch sein Geld;
er ertrug es mit der Resignation eines Mannes, dem festere Stützen seiner sitt¬
lichen Würde zu Gebot stehn. Endlich steift er sich auf die Härte des Gesetzes, an
dessen Buchstaben sich der in der endlichen Auffassung der Dinge beschränkte Jude
überhaupt befriedigt; er will den Buchstaben mißbrauchen wider seinen Sinn, und
der zweideutige Buchstabe wird endlich gegen ihn angewandt. Er hat böse Absichten
und wird dnpirt, das wäre keine tragische Idee; sie wird es aber durch die Ge¬
walt seiner Leidenschaft. Selbst in seinen gemeinsten Ausbrüchen ist noch etwas
Furchtbares, das ihnen ihr menschliches und ästhetisches Recht gibt.

So wird wenigstens jeder denkende Schauspieler unserer Zeit diese Rolle
auffassen: daß die Einheit des Ganzen dadurch gestört wird, unterliegt keinem
Zweifel. Shakespeares Zeit hatte noch nicht unsern Humauitätsbegriff, sie konnte
mitleidslos den Untergang des Juden vor sich geschehen lassen, obgleich sein Ge¬
gensatz -- die unbestimmte christliche Gnade in Porcia's Munde und die elegante
Welt des vornehmen Reichthum im letzten Akt -- keine höhere sittliche Auflö¬
sung verstatten. Als Episode eines heitern Maskenstücks paßt Shylock nicht mehr
in unsere Zeit.

Wir sind im Gegentheil geneigt, im Interesse unserer Humanität die komi¬
schen Seiten des Judenthums fallen zu fassen. In Gutzkow's Uriel Acosta be¬
steht das gesammte Personal ans Juden, ohne daß gejüdelt und ohne daß selbst
aus den Schacher ein großes Gewicht gelegt wird. .Das Stück hat viel Glück ge-


Unterdrückung seines Stammes in einen Punkt concentrirt, Haß gegen die Un¬
terdrücker. Diese Unterdrückung kann dem Juden nicht alles Positive rauben;
ihm bleibt die Tradition seines Volks, die Familie, der Gewinn und das Gesetz,
das unabhängig von den Leidenschaften und den Stimmungen der Menschen, sein
Schild über alle breitet, seineu Speer gleichmäßig nach allen Seiten richtet. Dem
Glauben an dieses Positive verpfändet er seine Seele, er wird in allen Punkten
betrogen, weil er keinen sittlichen Inhalt hineinzutragen weiß. Die traditionelle
Religion ist ihm nur in ihrer Beschimpfung überall gegenwärtig, sie hat ans
sein Gemüth keinen veredelnden Einfluß, sie legitimirt nur seinen Haß; er muß
sie zuletzt abschwören, sich demüthigen vor den Feinden, gegen die er ihre eignen
Waffen vergebens zu kehren versucht. Er muß es erleben, daß der Mann, auf
den er die ganze Gewalt seines Christenhasses gesammelt hat, als Sieger aus
dem ungleichen Kampfe hervorgeht, und wir müssen die Gerechtigkeit des Schick¬
sals anerkennen, denn Antonio ist ihm auch, an sittlicher Würde überlegen. Er
hält die Familie heilig, aber auch nur in der Abstraktion; er weiß seiner Toch¬
ter keine Liebe einzuflößen, und diese verläßt und verräth ihn. Er jagt dem
Gewinn nach mit der ganzen Zähigkeit eines Mannes, dem jeder andere Pfad' der
Bethätigung verschlösse» ist, und das Geld ist ihm die Symbolik der Macht; aber
gerade weil er sich in diese Symbolik verstrickt, wird er in dieser Aeußerlichkeit
gestraft, an die er seine Seele verpfändet hat. Antonio verlor auch sein Geld;
er ertrug es mit der Resignation eines Mannes, dem festere Stützen seiner sitt¬
lichen Würde zu Gebot stehn. Endlich steift er sich auf die Härte des Gesetzes, an
dessen Buchstaben sich der in der endlichen Auffassung der Dinge beschränkte Jude
überhaupt befriedigt; er will den Buchstaben mißbrauchen wider seinen Sinn, und
der zweideutige Buchstabe wird endlich gegen ihn angewandt. Er hat böse Absichten
und wird dnpirt, das wäre keine tragische Idee; sie wird es aber durch die Ge¬
walt seiner Leidenschaft. Selbst in seinen gemeinsten Ausbrüchen ist noch etwas
Furchtbares, das ihnen ihr menschliches und ästhetisches Recht gibt.

So wird wenigstens jeder denkende Schauspieler unserer Zeit diese Rolle
auffassen: daß die Einheit des Ganzen dadurch gestört wird, unterliegt keinem
Zweifel. Shakespeares Zeit hatte noch nicht unsern Humauitätsbegriff, sie konnte
mitleidslos den Untergang des Juden vor sich geschehen lassen, obgleich sein Ge¬
gensatz — die unbestimmte christliche Gnade in Porcia's Munde und die elegante
Welt des vornehmen Reichthum im letzten Akt — keine höhere sittliche Auflö¬
sung verstatten. Als Episode eines heitern Maskenstücks paßt Shylock nicht mehr
in unsere Zeit.

Wir sind im Gegentheil geneigt, im Interesse unserer Humanität die komi¬
schen Seiten des Judenthums fallen zu fassen. In Gutzkow's Uriel Acosta be¬
steht das gesammte Personal ans Juden, ohne daß gejüdelt und ohne daß selbst
aus den Schacher ein großes Gewicht gelegt wird. .Das Stück hat viel Glück ge-


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[0030] Unterdrückung seines Stammes in einen Punkt concentrirt, Haß gegen die Un¬ terdrücker. Diese Unterdrückung kann dem Juden nicht alles Positive rauben; ihm bleibt die Tradition seines Volks, die Familie, der Gewinn und das Gesetz, das unabhängig von den Leidenschaften und den Stimmungen der Menschen, sein Schild über alle breitet, seineu Speer gleichmäßig nach allen Seiten richtet. Dem Glauben an dieses Positive verpfändet er seine Seele, er wird in allen Punkten betrogen, weil er keinen sittlichen Inhalt hineinzutragen weiß. Die traditionelle Religion ist ihm nur in ihrer Beschimpfung überall gegenwärtig, sie hat ans sein Gemüth keinen veredelnden Einfluß, sie legitimirt nur seinen Haß; er muß sie zuletzt abschwören, sich demüthigen vor den Feinden, gegen die er ihre eignen Waffen vergebens zu kehren versucht. Er muß es erleben, daß der Mann, auf den er die ganze Gewalt seines Christenhasses gesammelt hat, als Sieger aus dem ungleichen Kampfe hervorgeht, und wir müssen die Gerechtigkeit des Schick¬ sals anerkennen, denn Antonio ist ihm auch, an sittlicher Würde überlegen. Er hält die Familie heilig, aber auch nur in der Abstraktion; er weiß seiner Toch¬ ter keine Liebe einzuflößen, und diese verläßt und verräth ihn. Er jagt dem Gewinn nach mit der ganzen Zähigkeit eines Mannes, dem jeder andere Pfad' der Bethätigung verschlösse» ist, und das Geld ist ihm die Symbolik der Macht; aber gerade weil er sich in diese Symbolik verstrickt, wird er in dieser Aeußerlichkeit gestraft, an die er seine Seele verpfändet hat. Antonio verlor auch sein Geld; er ertrug es mit der Resignation eines Mannes, dem festere Stützen seiner sitt¬ lichen Würde zu Gebot stehn. Endlich steift er sich auf die Härte des Gesetzes, an dessen Buchstaben sich der in der endlichen Auffassung der Dinge beschränkte Jude überhaupt befriedigt; er will den Buchstaben mißbrauchen wider seinen Sinn, und der zweideutige Buchstabe wird endlich gegen ihn angewandt. Er hat böse Absichten und wird dnpirt, das wäre keine tragische Idee; sie wird es aber durch die Ge¬ walt seiner Leidenschaft. Selbst in seinen gemeinsten Ausbrüchen ist noch etwas Furchtbares, das ihnen ihr menschliches und ästhetisches Recht gibt. So wird wenigstens jeder denkende Schauspieler unserer Zeit diese Rolle auffassen: daß die Einheit des Ganzen dadurch gestört wird, unterliegt keinem Zweifel. Shakespeares Zeit hatte noch nicht unsern Humauitätsbegriff, sie konnte mitleidslos den Untergang des Juden vor sich geschehen lassen, obgleich sein Ge¬ gensatz — die unbestimmte christliche Gnade in Porcia's Munde und die elegante Welt des vornehmen Reichthum im letzten Akt — keine höhere sittliche Auflö¬ sung verstatten. Als Episode eines heitern Maskenstücks paßt Shylock nicht mehr in unsere Zeit. Wir sind im Gegentheil geneigt, im Interesse unserer Humanität die komi¬ schen Seiten des Judenthums fallen zu fassen. In Gutzkow's Uriel Acosta be¬ steht das gesammte Personal ans Juden, ohne daß gejüdelt und ohne daß selbst aus den Schacher ein großes Gewicht gelegt wird. .Das Stück hat viel Glück ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/30>, abgerufen am 22.07.2024.