Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ich ein Schuft!" -- Nur ein Moral-Pedant wird für diese Komik keinen Sinn
haben. Sie ist der Falstaff'schen verwandt, und beruht auf der völligen Freiheit
von allen sittlichen Voraussetzungen, auf der Ironie gegen alle conventionelle Vor¬
stellung, die sonst dem Gefühl des Volkes als heilig gilt. Nur sie geht weiter
als Falstaff: dieser bleibt immer Kavalier und muß sich seine verkehrte Weltan¬
schauung uach Analogie der sonst anerkannten zurechtmachen; der Jude hat daS
nicht nöthig, er kann freier sein. Der Paria aller Nationen, dem das Vorurtheil
der Menge die Basis alles sittlichen Selbstgefühls, die Ehre entzieht, hat das
Recht der Ehrlosigkeit. Kehrt er dieses Recht mit der Energie des Hasses gegen
seine Verfolger, so wird ein Shylock daraus; bedient er sich desselben mit Frivo¬
lität, mit der Zähigkeit einer unausgesetzten Ironie, so, haben wir die drollige
Figur des jüdischen HausirerS. Stehe ich zu einem solchen in praktischer Bezie¬
hung, so wird er mir fatal; als bloßes Bild betrachtet genieße ich seine Freiheit
mit Humor. "Schicksal!" ruft Svivcller bei Dickens, die Augen gegen die Decke
des Zimmers gerichtet, "Schicksal, thu mir doch etwas! etsch! du kannst mir ja
nichts mehr thun! du hast mir ja alles genommen!" Dieser Selbstgennß des
Elends ist komisch, sobald wir seinen praktischen Zusammenhang mit dem übrigen
Leben aus den Augen verlieren, ebenso wie jene resigniren Ehrlosigkeit als Paria.

Eine zweite Figur des Theaterjudeu, die im Zeitalter der Ifflandschen Sen¬
timentalität sehr beliebt war, ist Cumberland's Sheva. Der Jude, den
man auf das Greulichste gemißhandelt hat, dessen Weib und Kinder verbrannt sind,
der auch auf dem freieren Boden Englands der Verachtung und dem Hohn des
Volks, mitunter auch ernsthaften Verfolgungen ausgesetzt ist, der mit alle dem
Geiz einer ausschließlich auf den Gelderwerb gerichteten Beschäftigung dennoch
durch die natürliche Güte seines Herzens, halb wider seinen Willen, veranlaßt wird,
große Opfer zu bringen, um seinen Nebenmenschen zu helfen, von denen ihm
doch nur die schimpflichsten Kränkungen zu Theil werden; der, um diesen Verlust
zu ersetze", seinen eignen Leib auf das Greulichste lasten, und außerdem sich be¬
ständig an die Procente erinnert, die ihm im Himmel für seine Gutherzigkeit zu
Theil werden müssen, der fortwährend gerührt ist über sein eignes Herz u. s. w.
- ein solcher Charakter ist als Product einer weinerlich empfindsamen Zeit, die
außerdem für Originale passionirt war, wohl zu begreifen, aber ästhetisch auf keine
Weise zu rechtfertigen. Wir können weder lachen über die Kränkungen, die ihm
widerfahren, denn sie sind sehr ernster Natur, noch über diese seltsame Mischung
von Geiz und Großmuth, von Niederträchtigkeit und Selbstgefühl, das eine para-
lysirt das andere. Eben darum werdeu wir auch uicht gerührt. Wir bleiben be¬
ständig in einer ärgerlichen Stimmung.

In zwei großen Gestalten ist dem Juden sein ideelles Recht widerfahren, in
Shakespeare's Shylock und Lessing's Nathan; das Ideal des Hasses und
der Resignation. Shylock ist ein starker Mensch, der sein tiefes Gefühl über die


ich ein Schuft!" — Nur ein Moral-Pedant wird für diese Komik keinen Sinn
haben. Sie ist der Falstaff'schen verwandt, und beruht auf der völligen Freiheit
von allen sittlichen Voraussetzungen, auf der Ironie gegen alle conventionelle Vor¬
stellung, die sonst dem Gefühl des Volkes als heilig gilt. Nur sie geht weiter
als Falstaff: dieser bleibt immer Kavalier und muß sich seine verkehrte Weltan¬
schauung uach Analogie der sonst anerkannten zurechtmachen; der Jude hat daS
nicht nöthig, er kann freier sein. Der Paria aller Nationen, dem das Vorurtheil
der Menge die Basis alles sittlichen Selbstgefühls, die Ehre entzieht, hat das
Recht der Ehrlosigkeit. Kehrt er dieses Recht mit der Energie des Hasses gegen
seine Verfolger, so wird ein Shylock daraus; bedient er sich desselben mit Frivo¬
lität, mit der Zähigkeit einer unausgesetzten Ironie, so, haben wir die drollige
Figur des jüdischen HausirerS. Stehe ich zu einem solchen in praktischer Bezie¬
hung, so wird er mir fatal; als bloßes Bild betrachtet genieße ich seine Freiheit
mit Humor. „Schicksal!" ruft Svivcller bei Dickens, die Augen gegen die Decke
des Zimmers gerichtet, „Schicksal, thu mir doch etwas! etsch! du kannst mir ja
nichts mehr thun! du hast mir ja alles genommen!" Dieser Selbstgennß des
Elends ist komisch, sobald wir seinen praktischen Zusammenhang mit dem übrigen
Leben aus den Augen verlieren, ebenso wie jene resigniren Ehrlosigkeit als Paria.

Eine zweite Figur des Theaterjudeu, die im Zeitalter der Ifflandschen Sen¬
timentalität sehr beliebt war, ist Cumberland's Sheva. Der Jude, den
man auf das Greulichste gemißhandelt hat, dessen Weib und Kinder verbrannt sind,
der auch auf dem freieren Boden Englands der Verachtung und dem Hohn des
Volks, mitunter auch ernsthaften Verfolgungen ausgesetzt ist, der mit alle dem
Geiz einer ausschließlich auf den Gelderwerb gerichteten Beschäftigung dennoch
durch die natürliche Güte seines Herzens, halb wider seinen Willen, veranlaßt wird,
große Opfer zu bringen, um seinen Nebenmenschen zu helfen, von denen ihm
doch nur die schimpflichsten Kränkungen zu Theil werden; der, um diesen Verlust
zu ersetze», seinen eignen Leib auf das Greulichste lasten, und außerdem sich be¬
ständig an die Procente erinnert, die ihm im Himmel für seine Gutherzigkeit zu
Theil werden müssen, der fortwährend gerührt ist über sein eignes Herz u. s. w.
- ein solcher Charakter ist als Product einer weinerlich empfindsamen Zeit, die
außerdem für Originale passionirt war, wohl zu begreifen, aber ästhetisch auf keine
Weise zu rechtfertigen. Wir können weder lachen über die Kränkungen, die ihm
widerfahren, denn sie sind sehr ernster Natur, noch über diese seltsame Mischung
von Geiz und Großmuth, von Niederträchtigkeit und Selbstgefühl, das eine para-
lysirt das andere. Eben darum werdeu wir auch uicht gerührt. Wir bleiben be¬
ständig in einer ärgerlichen Stimmung.

In zwei großen Gestalten ist dem Juden sein ideelles Recht widerfahren, in
Shakespeare's Shylock und Lessing's Nathan; das Ideal des Hasses und
der Resignation. Shylock ist ein starker Mensch, der sein tiefes Gefühl über die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276785"/>
          <p xml:id="ID_62" prev="#ID_61"> ich ein Schuft!" &#x2014; Nur ein Moral-Pedant wird für diese Komik keinen Sinn<lb/>
haben. Sie ist der Falstaff'schen verwandt, und beruht auf der völligen Freiheit<lb/>
von allen sittlichen Voraussetzungen, auf der Ironie gegen alle conventionelle Vor¬<lb/>
stellung, die sonst dem Gefühl des Volkes als heilig gilt.  Nur sie geht weiter<lb/>
als Falstaff: dieser bleibt immer Kavalier und muß sich seine verkehrte Weltan¬<lb/>
schauung uach Analogie der sonst anerkannten zurechtmachen; der Jude hat daS<lb/>
nicht nöthig, er kann freier sein. Der Paria aller Nationen, dem das Vorurtheil<lb/>
der Menge die Basis alles sittlichen Selbstgefühls, die Ehre entzieht, hat das<lb/>
Recht der Ehrlosigkeit. Kehrt er dieses Recht mit der Energie des Hasses gegen<lb/>
seine Verfolger, so wird ein Shylock daraus; bedient er sich desselben mit Frivo¬<lb/>
lität, mit der Zähigkeit einer unausgesetzten Ironie, so, haben wir die drollige<lb/>
Figur des jüdischen HausirerS.  Stehe ich zu einem solchen in praktischer Bezie¬<lb/>
hung, so wird er mir fatal; als bloßes Bild betrachtet genieße ich seine Freiheit<lb/>
mit Humor. &#x201E;Schicksal!" ruft Svivcller bei Dickens, die Augen gegen die Decke<lb/>
des Zimmers gerichtet, &#x201E;Schicksal, thu mir doch etwas! etsch! du kannst mir ja<lb/>
nichts mehr thun! du hast mir ja alles genommen!" Dieser Selbstgennß des<lb/>
Elends ist komisch, sobald wir seinen praktischen Zusammenhang mit dem übrigen<lb/>
Leben aus den Augen verlieren, ebenso wie jene resigniren Ehrlosigkeit als Paria.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_63"> Eine zweite Figur des Theaterjudeu, die im Zeitalter der Ifflandschen Sen¬<lb/>
timentalität sehr beliebt war, ist Cumberland's Sheva. Der Jude, den<lb/>
man auf das Greulichste gemißhandelt hat, dessen Weib und Kinder verbrannt sind,<lb/>
der auch auf dem freieren Boden Englands der Verachtung und dem Hohn des<lb/>
Volks, mitunter auch ernsthaften Verfolgungen ausgesetzt ist, der mit alle dem<lb/>
Geiz einer ausschließlich auf den Gelderwerb gerichteten Beschäftigung dennoch<lb/>
durch die natürliche Güte seines Herzens, halb wider seinen Willen, veranlaßt wird,<lb/>
große Opfer zu bringen, um seinen Nebenmenschen zu helfen, von denen ihm<lb/>
doch nur die schimpflichsten Kränkungen zu Theil werden; der, um diesen Verlust<lb/>
zu ersetze», seinen eignen Leib auf das Greulichste lasten, und außerdem sich be¬<lb/>
ständig an die Procente erinnert, die ihm im Himmel für seine Gutherzigkeit zu<lb/>
Theil werden müssen, der fortwährend gerührt ist über sein eignes Herz u. s. w.<lb/>
- ein solcher Charakter ist als Product einer weinerlich empfindsamen Zeit, die<lb/>
außerdem für Originale passionirt war, wohl zu begreifen, aber ästhetisch auf keine<lb/>
Weise zu rechtfertigen. Wir können weder lachen über die Kränkungen, die ihm<lb/>
widerfahren, denn sie sind sehr ernster Natur, noch über diese seltsame Mischung<lb/>
von Geiz und Großmuth, von Niederträchtigkeit und Selbstgefühl, das eine para-<lb/>
lysirt das andere. Eben darum werdeu wir auch uicht gerührt. Wir bleiben be¬<lb/>
ständig in einer ärgerlichen Stimmung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_64" next="#ID_65"> In zwei großen Gestalten ist dem Juden sein ideelles Recht widerfahren, in<lb/>
Shakespeare's Shylock und Lessing's Nathan; das Ideal des Hasses und<lb/>
der Resignation. Shylock ist ein starker Mensch, der sein tiefes Gefühl über die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] ich ein Schuft!" — Nur ein Moral-Pedant wird für diese Komik keinen Sinn haben. Sie ist der Falstaff'schen verwandt, und beruht auf der völligen Freiheit von allen sittlichen Voraussetzungen, auf der Ironie gegen alle conventionelle Vor¬ stellung, die sonst dem Gefühl des Volkes als heilig gilt. Nur sie geht weiter als Falstaff: dieser bleibt immer Kavalier und muß sich seine verkehrte Weltan¬ schauung uach Analogie der sonst anerkannten zurechtmachen; der Jude hat daS nicht nöthig, er kann freier sein. Der Paria aller Nationen, dem das Vorurtheil der Menge die Basis alles sittlichen Selbstgefühls, die Ehre entzieht, hat das Recht der Ehrlosigkeit. Kehrt er dieses Recht mit der Energie des Hasses gegen seine Verfolger, so wird ein Shylock daraus; bedient er sich desselben mit Frivo¬ lität, mit der Zähigkeit einer unausgesetzten Ironie, so, haben wir die drollige Figur des jüdischen HausirerS. Stehe ich zu einem solchen in praktischer Bezie¬ hung, so wird er mir fatal; als bloßes Bild betrachtet genieße ich seine Freiheit mit Humor. „Schicksal!" ruft Svivcller bei Dickens, die Augen gegen die Decke des Zimmers gerichtet, „Schicksal, thu mir doch etwas! etsch! du kannst mir ja nichts mehr thun! du hast mir ja alles genommen!" Dieser Selbstgennß des Elends ist komisch, sobald wir seinen praktischen Zusammenhang mit dem übrigen Leben aus den Augen verlieren, ebenso wie jene resigniren Ehrlosigkeit als Paria. Eine zweite Figur des Theaterjudeu, die im Zeitalter der Ifflandschen Sen¬ timentalität sehr beliebt war, ist Cumberland's Sheva. Der Jude, den man auf das Greulichste gemißhandelt hat, dessen Weib und Kinder verbrannt sind, der auch auf dem freieren Boden Englands der Verachtung und dem Hohn des Volks, mitunter auch ernsthaften Verfolgungen ausgesetzt ist, der mit alle dem Geiz einer ausschließlich auf den Gelderwerb gerichteten Beschäftigung dennoch durch die natürliche Güte seines Herzens, halb wider seinen Willen, veranlaßt wird, große Opfer zu bringen, um seinen Nebenmenschen zu helfen, von denen ihm doch nur die schimpflichsten Kränkungen zu Theil werden; der, um diesen Verlust zu ersetze», seinen eignen Leib auf das Greulichste lasten, und außerdem sich be¬ ständig an die Procente erinnert, die ihm im Himmel für seine Gutherzigkeit zu Theil werden müssen, der fortwährend gerührt ist über sein eignes Herz u. s. w. - ein solcher Charakter ist als Product einer weinerlich empfindsamen Zeit, die außerdem für Originale passionirt war, wohl zu begreifen, aber ästhetisch auf keine Weise zu rechtfertigen. Wir können weder lachen über die Kränkungen, die ihm widerfahren, denn sie sind sehr ernster Natur, noch über diese seltsame Mischung von Geiz und Großmuth, von Niederträchtigkeit und Selbstgefühl, das eine para- lysirt das andere. Eben darum werdeu wir auch uicht gerührt. Wir bleiben be¬ ständig in einer ärgerlichen Stimmung. In zwei großen Gestalten ist dem Juden sein ideelles Recht widerfahren, in Shakespeare's Shylock und Lessing's Nathan; das Ideal des Hasses und der Resignation. Shylock ist ein starker Mensch, der sein tiefes Gefühl über die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/29
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/29>, abgerufen am 22.07.2024.