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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Dffene Briefe.



VI.
An den Fi'eigen'tiiep Michael ZlNoß,
Deputirten des Kreises Groß-Strehlitz in Schlesien.
Nebst einer Einleitung.

Wie es keine Macht gibt, welche außer der offiziellen nicht noch eine geheime
Politik hat, so haben anch wir, die Grenzboten, noch eine Cabinetspolitik, welche
durch die öffentliche maskirt wird. Bei der wunderlichen Krisis, in welcher wir
leben, wird es gut sein, wenn Unsere Freunde auch darin unsre Ueberzeu¬
gungen theilen. -- Wir wissen am besten, welche Liebe und Verehrung wir
stets gegen die Berliner Nationalversammlung ausgedrückt haben. Wie heiter,
gemüthlich und unschuldig erschienen die Köpfe der ehrenwerthen Deputirten
in unseren Porträts, wie, lustig begrüßten wir jede Regung der Berliner Volks'
kraft; wie nachsichtig war unser Urtheil, zärtlich selbst unser Tadel. Jetzt gestehen
wir, daß uns dieser humane Ton zuweilen Ueberwindung gekostet hat und wir
oft versucht waren, diese Versammlung bei allem Respekt vor den einzelnen
Verständigen, eine Galerie der hohlsten Tröpfe zu nennen. Was war
der Grund, daß wir schonten und streichelten, wo nur lieber gekratzt hätten?
Wir haben das Schicksal , eiuen Freund in dieser Versammlung zu besitzen, den
verehrten Abgeordneten für den Kreis Groß-Strehlitz in Schlesien, den Freigärt-
ncr Michael Mroß, Wasserpolal'en. Seit wir im Anfange dieses sommes unsere
Leser auf dies neue parlamentarische Talent aufmerksam machten, hat sein Cinflnß
unsere Politik bestimmt. Scheitel uns darum nicht, Bundesgenossen; nennt nicht
Charakterschwäche, was Zärtlichkeit war. Und wozu sollten wir auch Charakter
haben, während eine ganze Nation nur Windfahnen statt Seelen im Leibe trägt?
Wir haben gut von der Berliner Constituante gesprochen, weil Mroß in ihr saß,
wir haben mit dem König und den Ministern gegrollt, weil Michael mit ihnen
grollte; wir haben kein Porträt vom Abgeordneten Brill gebracht, nicht deshalb,
weil er kein Kopf ist, sondern weil er ein Gönner von Mroß war und bei den
Abstimmungen als Scrutator Micheln durch einen Ruck am rothen Handgelenk


GrcnMe". IV. , Z7
Dffene Briefe.



VI.
An den Fi'eigen'tiiep Michael ZlNoß,
Deputirten des Kreises Groß-Strehlitz in Schlesien.
Nebst einer Einleitung.

Wie es keine Macht gibt, welche außer der offiziellen nicht noch eine geheime
Politik hat, so haben anch wir, die Grenzboten, noch eine Cabinetspolitik, welche
durch die öffentliche maskirt wird. Bei der wunderlichen Krisis, in welcher wir
leben, wird es gut sein, wenn Unsere Freunde auch darin unsre Ueberzeu¬
gungen theilen. — Wir wissen am besten, welche Liebe und Verehrung wir
stets gegen die Berliner Nationalversammlung ausgedrückt haben. Wie heiter,
gemüthlich und unschuldig erschienen die Köpfe der ehrenwerthen Deputirten
in unseren Porträts, wie, lustig begrüßten wir jede Regung der Berliner Volks'
kraft; wie nachsichtig war unser Urtheil, zärtlich selbst unser Tadel. Jetzt gestehen
wir, daß uns dieser humane Ton zuweilen Ueberwindung gekostet hat und wir
oft versucht waren, diese Versammlung bei allem Respekt vor den einzelnen
Verständigen, eine Galerie der hohlsten Tröpfe zu nennen. Was war
der Grund, daß wir schonten und streichelten, wo nur lieber gekratzt hätten?
Wir haben das Schicksal , eiuen Freund in dieser Versammlung zu besitzen, den
verehrten Abgeordneten für den Kreis Groß-Strehlitz in Schlesien, den Freigärt-
ncr Michael Mroß, Wasserpolal'en. Seit wir im Anfange dieses sommes unsere
Leser auf dies neue parlamentarische Talent aufmerksam machten, hat sein Cinflnß
unsere Politik bestimmt. Scheitel uns darum nicht, Bundesgenossen; nennt nicht
Charakterschwäche, was Zärtlichkeit war. Und wozu sollten wir auch Charakter
haben, während eine ganze Nation nur Windfahnen statt Seelen im Leibe trägt?
Wir haben gut von der Berliner Constituante gesprochen, weil Mroß in ihr saß,
wir haben mit dem König und den Ministern gegrollt, weil Michael mit ihnen
grollte; wir haben kein Porträt vom Abgeordneten Brill gebracht, nicht deshalb,
weil er kein Kopf ist, sondern weil er ein Gönner von Mroß war und bei den
Abstimmungen als Scrutator Micheln durch einen Ruck am rothen Handgelenk


GrcnMe». IV. , Z7
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[0293] Dffene Briefe. VI. An den Fi'eigen'tiiep Michael ZlNoß, Deputirten des Kreises Groß-Strehlitz in Schlesien. Nebst einer Einleitung. Wie es keine Macht gibt, welche außer der offiziellen nicht noch eine geheime Politik hat, so haben anch wir, die Grenzboten, noch eine Cabinetspolitik, welche durch die öffentliche maskirt wird. Bei der wunderlichen Krisis, in welcher wir leben, wird es gut sein, wenn Unsere Freunde auch darin unsre Ueberzeu¬ gungen theilen. — Wir wissen am besten, welche Liebe und Verehrung wir stets gegen die Berliner Nationalversammlung ausgedrückt haben. Wie heiter, gemüthlich und unschuldig erschienen die Köpfe der ehrenwerthen Deputirten in unseren Porträts, wie, lustig begrüßten wir jede Regung der Berliner Volks' kraft; wie nachsichtig war unser Urtheil, zärtlich selbst unser Tadel. Jetzt gestehen wir, daß uns dieser humane Ton zuweilen Ueberwindung gekostet hat und wir oft versucht waren, diese Versammlung bei allem Respekt vor den einzelnen Verständigen, eine Galerie der hohlsten Tröpfe zu nennen. Was war der Grund, daß wir schonten und streichelten, wo nur lieber gekratzt hätten? Wir haben das Schicksal , eiuen Freund in dieser Versammlung zu besitzen, den verehrten Abgeordneten für den Kreis Groß-Strehlitz in Schlesien, den Freigärt- ncr Michael Mroß, Wasserpolal'en. Seit wir im Anfange dieses sommes unsere Leser auf dies neue parlamentarische Talent aufmerksam machten, hat sein Cinflnß unsere Politik bestimmt. Scheitel uns darum nicht, Bundesgenossen; nennt nicht Charakterschwäche, was Zärtlichkeit war. Und wozu sollten wir auch Charakter haben, während eine ganze Nation nur Windfahnen statt Seelen im Leibe trägt? Wir haben gut von der Berliner Constituante gesprochen, weil Mroß in ihr saß, wir haben mit dem König und den Ministern gegrollt, weil Michael mit ihnen grollte; wir haben kein Porträt vom Abgeordneten Brill gebracht, nicht deshalb, weil er kein Kopf ist, sondern weil er ein Gönner von Mroß war und bei den Abstimmungen als Scrutator Micheln durch einen Ruck am rothen Handgelenk GrcnMe». IV. , Z7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/293>, abgerufen am 29.12.2024.