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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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über Wiens Anarchie nicht für das Ende der Krisis, es könnte für euch selbst
ein Verhängniß werden. Den Reichstag habt ihr nach Kremsier berufen. Ihr habt
recht, es ist gleichgültig, wo diese unglückliche Komödie zu Ende gespielt wird,
und es bedürfte nicht der Versicherung irgend eines Narren, daß die Einwohner
von Kremsier die nöthige Intelligenz und politische Reife hätten, um den hohen
Reichstag zu würdigen. Wo auch Sierakowsky donnere und Borrosch pfeife, sie
werden überall die Bewunderung finden, welche sie selbst zu stärken pflegte und
diesem Reichstag so ungewöhnliche Würde gegeben hat. Ihr habt recht, es ist
gleichgültig wo der Reichstag zu Grunde geht. Seine ganze Existenz in Wien war
ein Scheinleben, er war nichts, als ein Kinderspielzeug, wie eine hohle Glas¬
ente, welche schwimmt, weil sie zu leicht ist, unterzugehen, trieb er auf dem Wasser
der Wiener Tagesphrasen. Zuletzt haben ihm die Wiener selbst den Daumen aus¬
gesetzt und ihn hinuntergedrückt. Euch, ihr feinen Herren, freut das. Ihr wollt die
Ente noch einmal vor Euch spielen lassen, im kleinen Gefäß, im Bereich eurer
Lorgnetten und guten Scherzreden, im sicheren Schutz eurer Wachen; je sinnloser
und ungeschickter sie sich wendet und daherschwankt, je länger man über sie lacht
und die Achseln zuckt, desto besser sür Euch, desto tiefer sinkt die Wagschale eures
Rechts. -- So aber soll, so wird es nicht sein. Die politische Charlatanerie
dieses Sommers mußte vernichtet werden, ihr habt das gethan, wir Habens ge¬
lobt, ja wir haben euch unterstützt. Jetzt aber treten wir hinter die Bresche die
ihr geschossen, und wir schreiben jetzt den Weg vor, den Regierung und Volk zu
gehen haben. Ihr kennt uns nicht? Seht um Euch, -- wer im Kaiserstaat feste
Kraft und gesunde Interessen hat, wer verständig darnach trachtet, den eigenen
Vortheil mit dem Vortheil des Ganzen zu verbinden, wer Kopf und Herz aus
dem rechten Flecke hat, unser Vaterland liebt und durch die Praxis seines Lebens
erfahren hat, wie Freiheit errungen wird, der gehört zu uns, sei er Wiener,
Czeche, Sachse, Slavonier oder Ungar;. unsere Partei hat keine Farben, keine
Verbindung, kein Programm, und doch wird sie jetzt stehen wie ein Mann und
wird arbeiten sür Oestreich, mit euch oder gegen euch, noch habt ihr die Wahl.
Unsre Stunde ist jetzt gekommen, jetzt tragen wir das Schicksal des Vaterlandes
auf unseren Schultern. Und wollt ihr uns einen Namen geben, so nennt uns
die Partei der Organisation.

Und jetzt zu euch, ihr Männer der Reformen. Wer Oestreich liebt, der vergesse
den Hader der Parteien, die Interessen seiner Nationalität, seines Standes, seiner
Fraktion. Es gilt jetzt, einmüthig die großen Maßregeln zu treffen, welche das
Vaterland retten, seiner Zukunft Garantien geben. Ihr Alle, Pillersdorf, Palacky,
Stadion und ihr östreichische-Deputirte in Frankfurt und wer sonst Einfluß und
Geltung hat, habt jetzt gemeinsam die Hand anzulegen zu unserem Neubau. Der
alte Reichstag möge sich selbst auflösen, er hat keine Berechtigung, keine Beden-


über Wiens Anarchie nicht für das Ende der Krisis, es könnte für euch selbst
ein Verhängniß werden. Den Reichstag habt ihr nach Kremsier berufen. Ihr habt
recht, es ist gleichgültig, wo diese unglückliche Komödie zu Ende gespielt wird,
und es bedürfte nicht der Versicherung irgend eines Narren, daß die Einwohner
von Kremsier die nöthige Intelligenz und politische Reife hätten, um den hohen
Reichstag zu würdigen. Wo auch Sierakowsky donnere und Borrosch pfeife, sie
werden überall die Bewunderung finden, welche sie selbst zu stärken pflegte und
diesem Reichstag so ungewöhnliche Würde gegeben hat. Ihr habt recht, es ist
gleichgültig wo der Reichstag zu Grunde geht. Seine ganze Existenz in Wien war
ein Scheinleben, er war nichts, als ein Kinderspielzeug, wie eine hohle Glas¬
ente, welche schwimmt, weil sie zu leicht ist, unterzugehen, trieb er auf dem Wasser
der Wiener Tagesphrasen. Zuletzt haben ihm die Wiener selbst den Daumen aus¬
gesetzt und ihn hinuntergedrückt. Euch, ihr feinen Herren, freut das. Ihr wollt die
Ente noch einmal vor Euch spielen lassen, im kleinen Gefäß, im Bereich eurer
Lorgnetten und guten Scherzreden, im sicheren Schutz eurer Wachen; je sinnloser
und ungeschickter sie sich wendet und daherschwankt, je länger man über sie lacht
und die Achseln zuckt, desto besser sür Euch, desto tiefer sinkt die Wagschale eures
Rechts. — So aber soll, so wird es nicht sein. Die politische Charlatanerie
dieses Sommers mußte vernichtet werden, ihr habt das gethan, wir Habens ge¬
lobt, ja wir haben euch unterstützt. Jetzt aber treten wir hinter die Bresche die
ihr geschossen, und wir schreiben jetzt den Weg vor, den Regierung und Volk zu
gehen haben. Ihr kennt uns nicht? Seht um Euch, — wer im Kaiserstaat feste
Kraft und gesunde Interessen hat, wer verständig darnach trachtet, den eigenen
Vortheil mit dem Vortheil des Ganzen zu verbinden, wer Kopf und Herz aus
dem rechten Flecke hat, unser Vaterland liebt und durch die Praxis seines Lebens
erfahren hat, wie Freiheit errungen wird, der gehört zu uns, sei er Wiener,
Czeche, Sachse, Slavonier oder Ungar;. unsere Partei hat keine Farben, keine
Verbindung, kein Programm, und doch wird sie jetzt stehen wie ein Mann und
wird arbeiten sür Oestreich, mit euch oder gegen euch, noch habt ihr die Wahl.
Unsre Stunde ist jetzt gekommen, jetzt tragen wir das Schicksal des Vaterlandes
auf unseren Schultern. Und wollt ihr uns einen Namen geben, so nennt uns
die Partei der Organisation.

Und jetzt zu euch, ihr Männer der Reformen. Wer Oestreich liebt, der vergesse
den Hader der Parteien, die Interessen seiner Nationalität, seines Standes, seiner
Fraktion. Es gilt jetzt, einmüthig die großen Maßregeln zu treffen, welche das
Vaterland retten, seiner Zukunft Garantien geben. Ihr Alle, Pillersdorf, Palacky,
Stadion und ihr östreichische-Deputirte in Frankfurt und wer sonst Einfluß und
Geltung hat, habt jetzt gemeinsam die Hand anzulegen zu unserem Neubau. Der
alte Reichstag möge sich selbst auflösen, er hat keine Berechtigung, keine Beden-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/284>, abgerufen am 28.09.2024.