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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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dieses Jahres und arge Verirrungen der Massen haben wir zu beklagen, aber nie
und von keiner Partei soll vergessen werden, daß bei uns kein Staat, kein Regi¬
ment mehr möglich ist, ohne freie Bewegung, ohne die treibende Kraft des Volkes.
Der Tod Blum's wird mehr, als jede andere Maßregel, das verständige Urtheil
der Massen verwirren, ihre Leidenschaftlichkeit aufregen, Organisation und Ordnung
erschweren. Dem Urtheil des Volkes ist er nichts, als ein Seitenstück zur Er¬
mordung Latour's, und die Mörder Lichnowskr/s werden ihr Haupt jetzt wieder
erheben, denn du hast ihnen den Schein einer Berechtigung gegeben. Aber noch
schädlicher ist deine rasche That für die Stellung Oestreichs zu den übrigen Deut¬
schen. Daß du die wohlwollende Regierung Sachsens, die verständige Majorität
der Frankfurter Nationalversammlung in peinliche Verlegenheit gebracht hast, will
ich übergehen. Aber einen Riß hast du gemacht zwischen Oestreich und Deutsch¬
land, der für Oestreich schädlich werden kann. Wohl war es an der Zeit, daß
sich Oestreich frei und kaiserlich über seine Stellung zu Frankfurt aussprach, du
hast ihm das Wort erspart durch die Kugeln deiner Scharfschützen. Mäßigung
und Schonung wäre auch in Wien weise gewesen, du aber hältst es mit der
Furcht und statuirten "Beispielen." Solche Beispiele brauchen wir in diesem Jahre
nicht mehr, und die deutschen Völker fürchten nicht mehr, sie hassen. Hättest du
Blum in wohlverschlossener Kutsche von uns fort nach Frankfurt gesandt zur
Nationalversammlung, mit artigen Gruß und der höflichen Bitte um weiteres
Verfahren, du hättest eine bessere Rache gehabt, als jetzt, man hätte bitter lächeln
können, wo man jetzt im finstern Ernst weinen möchte.

Hinein in die Zukunft! Wir haben in wenigen Wochen das Aergste erfahren;
wem der Tod allstündlich drohte durch eine verirrte Kugel, den wahnsinnigen
Pöbel oder das Messer eines trunkenen Croaten, der hat ein Recht sich achsel¬
zuckend abzuwenden von einer schlechten Umgebung, wo nur Zerstörung ist, ohn¬
mächtiger Trotz, soldatischer Despotismus. Vielleicht, daß es für mein leichtherziges,
gedankenloses Wien eines solchen Verhängnisses bedürfte, um die Männer aus
ihrer nichtsnutzigen Gemüthlichkeit, die Jünglinge aus ihrem übermüthigen Selbst¬
gefühl zu erwecken, sicher ist eins, das alte Wien wird nie wieder lebendig werden.
Das verminderte Vermögen wird wieder zusammenfließen, Credit und Verkehr
werden wieder aufblühen, auch die Traube wird wieder gekeltert werdeu und Nestroy
wird neue Possen machen, aber die Furchen, welche sich in dieser Zeit auf die Stirn
gezogen, werden nicht wieder geglättet, kein Haar, das vor der Zeit ergraut ist,
wird sich wieder braun färbe", und an dem besorgten, forschenden Blick werdet ihr
die Wiener dieses Herbstes errathen. Auf allen Lippen schwebt die große Frage:
Was wird um?

Ihr habt gesiegt, ihr Herren in Ollmütz. Und Oestreich wird den Segen
davon haben, ihr aber, so fürchte ich, nur genügen. Hütet euch, haltet den Sieg


dieses Jahres und arge Verirrungen der Massen haben wir zu beklagen, aber nie
und von keiner Partei soll vergessen werden, daß bei uns kein Staat, kein Regi¬
ment mehr möglich ist, ohne freie Bewegung, ohne die treibende Kraft des Volkes.
Der Tod Blum's wird mehr, als jede andere Maßregel, das verständige Urtheil
der Massen verwirren, ihre Leidenschaftlichkeit aufregen, Organisation und Ordnung
erschweren. Dem Urtheil des Volkes ist er nichts, als ein Seitenstück zur Er¬
mordung Latour's, und die Mörder Lichnowskr/s werden ihr Haupt jetzt wieder
erheben, denn du hast ihnen den Schein einer Berechtigung gegeben. Aber noch
schädlicher ist deine rasche That für die Stellung Oestreichs zu den übrigen Deut¬
schen. Daß du die wohlwollende Regierung Sachsens, die verständige Majorität
der Frankfurter Nationalversammlung in peinliche Verlegenheit gebracht hast, will
ich übergehen. Aber einen Riß hast du gemacht zwischen Oestreich und Deutsch¬
land, der für Oestreich schädlich werden kann. Wohl war es an der Zeit, daß
sich Oestreich frei und kaiserlich über seine Stellung zu Frankfurt aussprach, du
hast ihm das Wort erspart durch die Kugeln deiner Scharfschützen. Mäßigung
und Schonung wäre auch in Wien weise gewesen, du aber hältst es mit der
Furcht und statuirten „Beispielen." Solche Beispiele brauchen wir in diesem Jahre
nicht mehr, und die deutschen Völker fürchten nicht mehr, sie hassen. Hättest du
Blum in wohlverschlossener Kutsche von uns fort nach Frankfurt gesandt zur
Nationalversammlung, mit artigen Gruß und der höflichen Bitte um weiteres
Verfahren, du hättest eine bessere Rache gehabt, als jetzt, man hätte bitter lächeln
können, wo man jetzt im finstern Ernst weinen möchte.

Hinein in die Zukunft! Wir haben in wenigen Wochen das Aergste erfahren;
wem der Tod allstündlich drohte durch eine verirrte Kugel, den wahnsinnigen
Pöbel oder das Messer eines trunkenen Croaten, der hat ein Recht sich achsel¬
zuckend abzuwenden von einer schlechten Umgebung, wo nur Zerstörung ist, ohn¬
mächtiger Trotz, soldatischer Despotismus. Vielleicht, daß es für mein leichtherziges,
gedankenloses Wien eines solchen Verhängnisses bedürfte, um die Männer aus
ihrer nichtsnutzigen Gemüthlichkeit, die Jünglinge aus ihrem übermüthigen Selbst¬
gefühl zu erwecken, sicher ist eins, das alte Wien wird nie wieder lebendig werden.
Das verminderte Vermögen wird wieder zusammenfließen, Credit und Verkehr
werden wieder aufblühen, auch die Traube wird wieder gekeltert werdeu und Nestroy
wird neue Possen machen, aber die Furchen, welche sich in dieser Zeit auf die Stirn
gezogen, werden nicht wieder geglättet, kein Haar, das vor der Zeit ergraut ist,
wird sich wieder braun färbe», und an dem besorgten, forschenden Blick werdet ihr
die Wiener dieses Herbstes errathen. Auf allen Lippen schwebt die große Frage:
Was wird um?

Ihr habt gesiegt, ihr Herren in Ollmütz. Und Oestreich wird den Segen
davon haben, ihr aber, so fürchte ich, nur genügen. Hütet euch, haltet den Sieg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/283>, abgerufen am 25.12.2024.