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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Bon Anfang an sah Pfuel das durch ihn gebildete Cabinet als ein proviforisches
an, zu wiederholten Malen bat er um seine Entlassung. War er doch des eigenen
Ministeriums nicht einmal Herr; Bonin, und noch mehr Eichmann, arbeiteten ihm
entgegen und entzogen dem König seinen Einfluß fast gänzlich, <iuch Döhnhvff war
nur eine schwache Stütze; durch die wiederholten Rohheiten der äußersten Linken hatte
sich in seiner Seele ein dieser Ekel und Widerwillen gegen diese Kammer eingenistet, der
ihm anfangs fremd war. So war er, mit Ausnahme Kisker's, ganz ans sich selbst beschränkt.
Pfuel hätte in aller Ruhe einem Cabinet aus den Centren Platz gemacht, wenn die
Demokratie uns nicht mit einem Putsche beschenkt hätte, der Alles verdarb. Die Reaction
wäre ohnmächtig, wenn die Wühler ihr nicht freundlich unter die Arme griffen!

Der Dcmokratcncongreß war wegen Mangel an Geld geschlossen worden; seine Re¬
sultate bezeichnet am besten das Wort eines Deputirten der Linken: "Bisher konnte man
die Reaktion einschüchtern durch Hinweisung auf die Demokratie, jetzt wäre eine solche
Drohung lächerlich." In der Verlegenheit über ihre eigne Erbärmlichkeit, in der
Sehnsucht doch irgend etwas zu thun, griffen unsere Radikalen die Wiener Angelegenheit
auf und fanden an den Ultras der Linken, an Waldeck, der jetzt leider verloren ist für die
Sache des Vaterlandes, beredte Vertheidiger ihres Planes. " Am '!>. Oktober Mittags
sollte der Nationalversammlung die Petition überreicht werden, wie große Plakate an allen
Straßenecken verkündeten. Endlich nahte der Zug, etwa ein paar Tausend Menschen,
bestehend ans dem lumpigsten Gesindel -- nicht einmal ein anständiger Arbeiter darunter.
In meinem Leben sah ich keine elendere Komödie. Trotz allen Vorfällen der letzten
Zeit, war ich aber dennoch erstaunt, als ich an der Spitze dieser Vagabunden Arnold
Rüge erblickte zwischen dem Konditor und früheren Traktätchenhändler Karbc nud dem
bekannten Lindenmüllcr, der sich am I<>. in eine Wasscrtvnnc verkrochen; daß der Re¬
dakteur der deutschen Jahrbücher bis zu dieser Hefe herabsinken könnte, hätte ich kaum
für möglich gehalten. Der berühmte Philosoph und der Traktätchenhändlcr wetteiferten
nun mit einander, das würdige Auditorium von der Freitreppe des Schauspielhauses
durch Reden zu unterhalten, ja, Meister Arnold hatte den Kummer, sich durch Vater
Karbe gänzlich verdunkelt zu sehen.. ES war ein komischer Anblick, wie er so wehmü¬
thig und verlegen drein schaute, man sah es ihm an, er schämte sich seines Audito¬
riums -- er konnte die Erinnerung an frühere bessere Tage noch nicht ganz los wer¬
den. Auch reichte seine Stimme nicht aus und sein Magen gerieth in Widerspruch
mit dem souveränen Volkswillen. Er schlug vor, nach Hanse zu gehen und sich zum
Abend zu stärken; Publikum brüllte, "dableiben und weiter reden!" Die Ultras der
Linken halfen ihm endlich ans dieser verzweifelten Lage, indem sie herabkamen und der
Menge die Versicherung gaben, daß Waldeck ihre Petition bereits in einen Antrag ver¬
wandelt habe, über den die Nationalversammlung noch im Laufe des Tages entscheiden
werde. Die Masse verlief sich allmälig und Rüge konnte zu Tische gehen. --

Endlich nahte die berühmte Abendsitzuug. Sie kennen die Debatten und ihr Resultat.--
Die Demokraten bürden jetzt die ganze Schuld der verfehlten Emaille Rügen auf. er soll
gesagt haben, ans einem Pulses könne leicht eine Revolution werden und mit 30 handfesten
Kerlen wolle er die ganze Geschichte auseinander jagen. Wer Ruge am Vormittage ge¬
sehen, der konnte sich nicht mehr wundern, daß er gleich bei seinem ersten Auftreten der
Dupe seiner eignen Partei ward. War die Morgenscene lächerlich, so war der Abend
empörend. Der ganze Gensdarmenmarkt stand dicht voll Menschen, die fast sämmt¬
lich dem eigentlichen Proletariate angehörten, mit Brechstangen und Stricken reichlich
versehen waren und die ärgsten Drohungen gegen die Nationalversammlung und na¬
mentlich gegen die Rechte ausstießen. Zahlreiche Fackeln beleuchteten die höllische Scene
und Viele studirten bei ihrem Glänze die "Conduitenliste der Berliner Abgeordneten,"
die hier vor Kurzem erschienen ist. -Wir kennen sie" -- brüllte mir ein Kerl zu --
"wir kennen, sie Alle und wissen, wer es gut meint mit dem Volke." Trotz der seit


31"

Bon Anfang an sah Pfuel das durch ihn gebildete Cabinet als ein proviforisches
an, zu wiederholten Malen bat er um seine Entlassung. War er doch des eigenen
Ministeriums nicht einmal Herr; Bonin, und noch mehr Eichmann, arbeiteten ihm
entgegen und entzogen dem König seinen Einfluß fast gänzlich, <iuch Döhnhvff war
nur eine schwache Stütze; durch die wiederholten Rohheiten der äußersten Linken hatte
sich in seiner Seele ein dieser Ekel und Widerwillen gegen diese Kammer eingenistet, der
ihm anfangs fremd war. So war er, mit Ausnahme Kisker's, ganz ans sich selbst beschränkt.
Pfuel hätte in aller Ruhe einem Cabinet aus den Centren Platz gemacht, wenn die
Demokratie uns nicht mit einem Putsche beschenkt hätte, der Alles verdarb. Die Reaction
wäre ohnmächtig, wenn die Wühler ihr nicht freundlich unter die Arme griffen!

Der Dcmokratcncongreß war wegen Mangel an Geld geschlossen worden; seine Re¬
sultate bezeichnet am besten das Wort eines Deputirten der Linken: „Bisher konnte man
die Reaktion einschüchtern durch Hinweisung auf die Demokratie, jetzt wäre eine solche
Drohung lächerlich." In der Verlegenheit über ihre eigne Erbärmlichkeit, in der
Sehnsucht doch irgend etwas zu thun, griffen unsere Radikalen die Wiener Angelegenheit
auf und fanden an den Ultras der Linken, an Waldeck, der jetzt leider verloren ist für die
Sache des Vaterlandes, beredte Vertheidiger ihres Planes. " Am '!>. Oktober Mittags
sollte der Nationalversammlung die Petition überreicht werden, wie große Plakate an allen
Straßenecken verkündeten. Endlich nahte der Zug, etwa ein paar Tausend Menschen,
bestehend ans dem lumpigsten Gesindel — nicht einmal ein anständiger Arbeiter darunter.
In meinem Leben sah ich keine elendere Komödie. Trotz allen Vorfällen der letzten
Zeit, war ich aber dennoch erstaunt, als ich an der Spitze dieser Vagabunden Arnold
Rüge erblickte zwischen dem Konditor und früheren Traktätchenhändler Karbc nud dem
bekannten Lindenmüllcr, der sich am I<>. in eine Wasscrtvnnc verkrochen; daß der Re¬
dakteur der deutschen Jahrbücher bis zu dieser Hefe herabsinken könnte, hätte ich kaum
für möglich gehalten. Der berühmte Philosoph und der Traktätchenhändlcr wetteiferten
nun mit einander, das würdige Auditorium von der Freitreppe des Schauspielhauses
durch Reden zu unterhalten, ja, Meister Arnold hatte den Kummer, sich durch Vater
Karbe gänzlich verdunkelt zu sehen.. ES war ein komischer Anblick, wie er so wehmü¬
thig und verlegen drein schaute, man sah es ihm an, er schämte sich seines Audito¬
riums — er konnte die Erinnerung an frühere bessere Tage noch nicht ganz los wer¬
den. Auch reichte seine Stimme nicht aus und sein Magen gerieth in Widerspruch
mit dem souveränen Volkswillen. Er schlug vor, nach Hanse zu gehen und sich zum
Abend zu stärken; Publikum brüllte, „dableiben und weiter reden!" Die Ultras der
Linken halfen ihm endlich ans dieser verzweifelten Lage, indem sie herabkamen und der
Menge die Versicherung gaben, daß Waldeck ihre Petition bereits in einen Antrag ver¬
wandelt habe, über den die Nationalversammlung noch im Laufe des Tages entscheiden
werde. Die Masse verlief sich allmälig und Rüge konnte zu Tische gehen. —

Endlich nahte die berühmte Abendsitzuug. Sie kennen die Debatten und ihr Resultat.—
Die Demokraten bürden jetzt die ganze Schuld der verfehlten Emaille Rügen auf. er soll
gesagt haben, ans einem Pulses könne leicht eine Revolution werden und mit 30 handfesten
Kerlen wolle er die ganze Geschichte auseinander jagen. Wer Ruge am Vormittage ge¬
sehen, der konnte sich nicht mehr wundern, daß er gleich bei seinem ersten Auftreten der
Dupe seiner eignen Partei ward. War die Morgenscene lächerlich, so war der Abend
empörend. Der ganze Gensdarmenmarkt stand dicht voll Menschen, die fast sämmt¬
lich dem eigentlichen Proletariate angehörten, mit Brechstangen und Stricken reichlich
versehen waren und die ärgsten Drohungen gegen die Nationalversammlung und na¬
mentlich gegen die Rechte ausstießen. Zahlreiche Fackeln beleuchteten die höllische Scene
und Viele studirten bei ihrem Glänze die „Conduitenliste der Berliner Abgeordneten,"
die hier vor Kurzem erschienen ist. -Wir kennen sie" — brüllte mir ein Kerl zu —
„wir kennen, sie Alle und wissen, wer es gut meint mit dem Volke." Trotz der seit


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[0251] Bon Anfang an sah Pfuel das durch ihn gebildete Cabinet als ein proviforisches an, zu wiederholten Malen bat er um seine Entlassung. War er doch des eigenen Ministeriums nicht einmal Herr; Bonin, und noch mehr Eichmann, arbeiteten ihm entgegen und entzogen dem König seinen Einfluß fast gänzlich, <iuch Döhnhvff war nur eine schwache Stütze; durch die wiederholten Rohheiten der äußersten Linken hatte sich in seiner Seele ein dieser Ekel und Widerwillen gegen diese Kammer eingenistet, der ihm anfangs fremd war. So war er, mit Ausnahme Kisker's, ganz ans sich selbst beschränkt. Pfuel hätte in aller Ruhe einem Cabinet aus den Centren Platz gemacht, wenn die Demokratie uns nicht mit einem Putsche beschenkt hätte, der Alles verdarb. Die Reaction wäre ohnmächtig, wenn die Wühler ihr nicht freundlich unter die Arme griffen! Der Dcmokratcncongreß war wegen Mangel an Geld geschlossen worden; seine Re¬ sultate bezeichnet am besten das Wort eines Deputirten der Linken: „Bisher konnte man die Reaktion einschüchtern durch Hinweisung auf die Demokratie, jetzt wäre eine solche Drohung lächerlich." In der Verlegenheit über ihre eigne Erbärmlichkeit, in der Sehnsucht doch irgend etwas zu thun, griffen unsere Radikalen die Wiener Angelegenheit auf und fanden an den Ultras der Linken, an Waldeck, der jetzt leider verloren ist für die Sache des Vaterlandes, beredte Vertheidiger ihres Planes. " Am '!>. Oktober Mittags sollte der Nationalversammlung die Petition überreicht werden, wie große Plakate an allen Straßenecken verkündeten. Endlich nahte der Zug, etwa ein paar Tausend Menschen, bestehend ans dem lumpigsten Gesindel — nicht einmal ein anständiger Arbeiter darunter. In meinem Leben sah ich keine elendere Komödie. Trotz allen Vorfällen der letzten Zeit, war ich aber dennoch erstaunt, als ich an der Spitze dieser Vagabunden Arnold Rüge erblickte zwischen dem Konditor und früheren Traktätchenhändler Karbc nud dem bekannten Lindenmüllcr, der sich am I<>. in eine Wasscrtvnnc verkrochen; daß der Re¬ dakteur der deutschen Jahrbücher bis zu dieser Hefe herabsinken könnte, hätte ich kaum für möglich gehalten. Der berühmte Philosoph und der Traktätchenhändlcr wetteiferten nun mit einander, das würdige Auditorium von der Freitreppe des Schauspielhauses durch Reden zu unterhalten, ja, Meister Arnold hatte den Kummer, sich durch Vater Karbe gänzlich verdunkelt zu sehen.. ES war ein komischer Anblick, wie er so wehmü¬ thig und verlegen drein schaute, man sah es ihm an, er schämte sich seines Audito¬ riums — er konnte die Erinnerung an frühere bessere Tage noch nicht ganz los wer¬ den. Auch reichte seine Stimme nicht aus und sein Magen gerieth in Widerspruch mit dem souveränen Volkswillen. Er schlug vor, nach Hanse zu gehen und sich zum Abend zu stärken; Publikum brüllte, „dableiben und weiter reden!" Die Ultras der Linken halfen ihm endlich ans dieser verzweifelten Lage, indem sie herabkamen und der Menge die Versicherung gaben, daß Waldeck ihre Petition bereits in einen Antrag ver¬ wandelt habe, über den die Nationalversammlung noch im Laufe des Tages entscheiden werde. Die Masse verlief sich allmälig und Rüge konnte zu Tische gehen. — Endlich nahte die berühmte Abendsitzuug. Sie kennen die Debatten und ihr Resultat.— Die Demokraten bürden jetzt die ganze Schuld der verfehlten Emaille Rügen auf. er soll gesagt haben, ans einem Pulses könne leicht eine Revolution werden und mit 30 handfesten Kerlen wolle er die ganze Geschichte auseinander jagen. Wer Ruge am Vormittage ge¬ sehen, der konnte sich nicht mehr wundern, daß er gleich bei seinem ersten Auftreten der Dupe seiner eignen Partei ward. War die Morgenscene lächerlich, so war der Abend empörend. Der ganze Gensdarmenmarkt stand dicht voll Menschen, die fast sämmt¬ lich dem eigentlichen Proletariate angehörten, mit Brechstangen und Stricken reichlich versehen waren und die ärgsten Drohungen gegen die Nationalversammlung und na¬ mentlich gegen die Rechte ausstießen. Zahlreiche Fackeln beleuchteten die höllische Scene und Viele studirten bei ihrem Glänze die „Conduitenliste der Berliner Abgeordneten," die hier vor Kurzem erschienen ist. -Wir kennen sie" — brüllte mir ein Kerl zu — „wir kennen, sie Alle und wissen, wer es gut meint mit dem Volke." Trotz der seit 31"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/251>, abgerufen am 25.12.2024.