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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Geschichte, in seinen Sagen, seinem Cultus, seinen Göttern und Helden, in seiner
Politischen Existenz geltend. Jehovcch, der Geist, ist die totalste, die absolute Auf¬
hebung der Natur, die Abstraction von allem Endlichen und Bestimmter; wenn
er aber zur Erscheinung kommt, so sind es sehr unmotivirte, unberechtigte End¬
lichkeiten, ein brennender Dornbusch, eine Rauchsäule und dergleichen Naturphä¬
nomene; er ist die schrankenlose Macht über die Natur, wenn er aber wirkt, so ist
es im Detail, er plagt die Aegypter mit Läusen und ähnlichen Ungeziefer, um
seinen Willen durchzusetzen, er läßt Moses nach sehr bestimmten Formeln hexen,
er schickt seinen, Volk Manna u. s. w. Er verlangt in seiner Anbetung die To¬
talität des Geistes und Gemüths, aber wenn der Dienst wirklich ausgebildet, wer¬
den soll, so siud es zehntausend kleine Details, die Flügel der Cherubim müssen
so und so gearbeitet sein, die Stufen des Tempels, die Waschungen, die Grimassen,
das Essen und Trinken, alles hat seine bestimmte, sehr detaillirte Ordnung, und
der Geist der universellen Abstraction verliert sich in sinnlose Endlichkeiten.

Wie der Gott, so sind auch seine Gläubigen, seine Helden, von Abraham an
bis auf Christus, den letzten nicht ausgenommen.

Abraham bringt Gott seinen Sohn zum Opfer; das ist schauderhaft, hat aber
in der Idee einen Anstrich von Erhabenheit: dem Geist soll Alles hingegeben
werden. Wenn es aber in's Prakrische geht, wird der Bursche pfiffig. Er reist
mit seiner hübschen Frau nach Aegypten ; der König, ein nobler Charakter, erkun¬
digt sich theilnehmend nach ihr, da denkt der alte Patriarch in seinem Sinn: er
könnte Begehren nach ihr haben, könnte, wenn er hört, sie ist meine Frau, mir
an den Hals wollen, also: Herr, sie ist nnr meine Schwester! Ein solcher Zug
findet sich nur in der jüdischen Sage. Der Lieblingscharakter des alten Juden-
thums ist Jakob; er ist gottesfürchtig und hat Gnade gefunden vor den Augen
des Herrn, so daß dieser ihm einmal die Ehre eines persönlichen Zweikampfes zu
Theil werden läßt, im praktischen Leben, im Detail ist er aber eben so schlau als
gottesfürchtig, er betrügt den Esau, Laban u. s. w., und -- was das Wesentliche
ist -- er betrügt sie mit dem Schein des Rechts; dem einen kauft er seine Erst¬
geburt für ein Gericht Linsen ab, den andern überlistet er mit den gesprenkelten
Schafen durch ein erlaubtes -- wenigstens im Contract nicht verbotenes -- Hir-
tenknnststück. Ich will auf die bekannte Geschichte mit der ägyptischen Anleihe
bei dem Mosaischen Auszug nicht verweilen; man mag in jenen Büchern eine be¬
liebige Seite aufschlagen, überall begegnet man dem nämlichen Zug. Ich gehe
gleich auf Christus über.

In dem Bilde, welches uns die Evangelisten von dem Sohne Gottes gegeben
haben, finden wir die Romantik der jüdischen Aufklärung; das Hinausstreben über
die willkürlichen Schranken des Gesetzes und das beständige Zurückfallen in die-
alten Voraussetzungen, kurz den alten Dualismus zwischen der Unendlichkeit des
Geistes und der Endlichkeit des Wirklichen in einer transcendentalen Form; mit


Gr-nzhoten. IV. Isi".

Geschichte, in seinen Sagen, seinem Cultus, seinen Göttern und Helden, in seiner
Politischen Existenz geltend. Jehovcch, der Geist, ist die totalste, die absolute Auf¬
hebung der Natur, die Abstraction von allem Endlichen und Bestimmter; wenn
er aber zur Erscheinung kommt, so sind es sehr unmotivirte, unberechtigte End¬
lichkeiten, ein brennender Dornbusch, eine Rauchsäule und dergleichen Naturphä¬
nomene; er ist die schrankenlose Macht über die Natur, wenn er aber wirkt, so ist
es im Detail, er plagt die Aegypter mit Läusen und ähnlichen Ungeziefer, um
seinen Willen durchzusetzen, er läßt Moses nach sehr bestimmten Formeln hexen,
er schickt seinen, Volk Manna u. s. w. Er verlangt in seiner Anbetung die To¬
talität des Geistes und Gemüths, aber wenn der Dienst wirklich ausgebildet, wer¬
den soll, so siud es zehntausend kleine Details, die Flügel der Cherubim müssen
so und so gearbeitet sein, die Stufen des Tempels, die Waschungen, die Grimassen,
das Essen und Trinken, alles hat seine bestimmte, sehr detaillirte Ordnung, und
der Geist der universellen Abstraction verliert sich in sinnlose Endlichkeiten.

Wie der Gott, so sind auch seine Gläubigen, seine Helden, von Abraham an
bis auf Christus, den letzten nicht ausgenommen.

Abraham bringt Gott seinen Sohn zum Opfer; das ist schauderhaft, hat aber
in der Idee einen Anstrich von Erhabenheit: dem Geist soll Alles hingegeben
werden. Wenn es aber in's Prakrische geht, wird der Bursche pfiffig. Er reist
mit seiner hübschen Frau nach Aegypten ; der König, ein nobler Charakter, erkun¬
digt sich theilnehmend nach ihr, da denkt der alte Patriarch in seinem Sinn: er
könnte Begehren nach ihr haben, könnte, wenn er hört, sie ist meine Frau, mir
an den Hals wollen, also: Herr, sie ist nnr meine Schwester! Ein solcher Zug
findet sich nur in der jüdischen Sage. Der Lieblingscharakter des alten Juden-
thums ist Jakob; er ist gottesfürchtig und hat Gnade gefunden vor den Augen
des Herrn, so daß dieser ihm einmal die Ehre eines persönlichen Zweikampfes zu
Theil werden läßt, im praktischen Leben, im Detail ist er aber eben so schlau als
gottesfürchtig, er betrügt den Esau, Laban u. s. w., und — was das Wesentliche
ist — er betrügt sie mit dem Schein des Rechts; dem einen kauft er seine Erst¬
geburt für ein Gericht Linsen ab, den andern überlistet er mit den gesprenkelten
Schafen durch ein erlaubtes — wenigstens im Contract nicht verbotenes — Hir-
tenknnststück. Ich will auf die bekannte Geschichte mit der ägyptischen Anleihe
bei dem Mosaischen Auszug nicht verweilen; man mag in jenen Büchern eine be¬
liebige Seite aufschlagen, überall begegnet man dem nämlichen Zug. Ich gehe
gleich auf Christus über.

In dem Bilde, welches uns die Evangelisten von dem Sohne Gottes gegeben
haben, finden wir die Romantik der jüdischen Aufklärung; das Hinausstreben über
die willkürlichen Schranken des Gesetzes und das beständige Zurückfallen in die-
alten Voraussetzungen, kurz den alten Dualismus zwischen der Unendlichkeit des
Geistes und der Endlichkeit des Wirklichen in einer transcendentalen Form; mit


Gr-nzhoten. IV. Isi».
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/25>, abgerufen am 26.06.2024.