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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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großen Selbstgefühl die gefährliche Freude an der Selbstbeschauung gekommen sein;
er ist ein kühner, entschlossener Mann, der gewöhnt ist die Leidenschaften zu len¬
ken, die Menschen als Werkzeuge zu gebrauchen. Wer das lange thut, wird
entweder ein Schurke, oder er zieht sich, in sich zusammen in einsamer Höhe. Das
letztere war bei Nikolaus, er hat sich in eine Atmosphäre von Hohheit und Adel
zurückgezogen, er liebt es wie der Gott seiner heiligen Bücher zu erscheinen,
plötzlich, andonnernd, beseligend oder vernichtend.' So hat ihn sein wunderbares
Leben zu einem Schwärmer gemacht, zu einem Schwärmer des Despotismus. Ein
solcher Mann kann wissentlich nicht unedel handeln, er muß sich wenigstens für
jede That einen hohen idealen Gesichtspunkt gewonnen haben, der ihn das Un¬
recht derselben übersehen läßt. ----- Anders seine Staatsmänner nud Diplomaten.
Was Diensteifer, Schlauheit, Ehrgeiz, Habsucht nur durchsetzen können, um dem
Auge des Herrn augenehm zu werden, das nehme an, geschieht durch sie. Wenn
russische Agenten und russisches Gold deu Boden eines Volkes durchwühlt haben,
dann erfährt der Kaiser, daß das Volk ihn als Retter erwarte; was mühsam vor¬
bereitet, überlegt und eingeleitet ist, dem Herrn bleibt die nothwendig gewordene
That, als freier Entschluß. Nicht immer jedoch gelingt's den schlauen Köpfen mit
ihrem Kaiser. Sie hatten vor Jahren kein Mittel gespart, dem Kaiser die Mög¬
lichkeit zu verschaffen, der erste Pauslavist zu werden, er hat es unwillig von
der Hand gewiesen. Ihre Späher und Agenten bearbeiten schon lange in den Für-
stenthümern, in Bosnien nud Serbien den Grund für künftige russische Saat, der
Kaiser sträubte sich dagegen, in Europa weiter zu gehen. Und doch werden
sie und die Verhältnisse ihn zwingen, und er wird thun müssen, was er fürchtet.
Für Rußland ist der Besitz des schwarzen Meeres eine Lebensfrage, er wird nur
gesichert durch die Herrschaft über die Fürstentümer nud Constantinopel. Wozu
sie nehmen, so lange sie nicht hindern? Erst wenn sie schädlich werden, muß
Rußland sie nehmen, Constantinopel, wenn es unklug russische" Rath verschmähte,
die Fürstenthümer sobald sie "Freiheit" heischend nach dem Westen schauen. Sie
werden besetzt, pacificirt, endlich müssen sie behalten werden. Von dem Augen¬
blick, wo Rußland den rumainischen nud serbischen Stamm berührt, ändert sich
seine europäische Stellung durchaus, der Kaise-r scheut die Folgen, seine begehr¬
lichen Politiker wünschen sie.

In der Moldau und Walachei legt sich Rußland zuerst auf solche slavische
Stämme, welche von der großen Massenbewegung der Gegenwart ergriffen sind.
Diese Erregung hat bei den östlichen Slaven zunächst die Folge, gewaltsam die
Gesetze der patriarchalischen Hörigkeit zu vernichten und die Völker aufzulösen in
eine Masse von "freien" Einzelwesen. Vielleicht wäre Rußlands Zepter noch stark
genug in den Fürstenthümern diesen Umsturz zu verhindern, aber die Fürstenthü-
mer hängen mit Serbien und Bosnien und mit Euren slavischen Nachbarn so fest
und innig zusammen, daß jedes Zucken des einen sich auch den andern mittheilt.


großen Selbstgefühl die gefährliche Freude an der Selbstbeschauung gekommen sein;
er ist ein kühner, entschlossener Mann, der gewöhnt ist die Leidenschaften zu len¬
ken, die Menschen als Werkzeuge zu gebrauchen. Wer das lange thut, wird
entweder ein Schurke, oder er zieht sich, in sich zusammen in einsamer Höhe. Das
letztere war bei Nikolaus, er hat sich in eine Atmosphäre von Hohheit und Adel
zurückgezogen, er liebt es wie der Gott seiner heiligen Bücher zu erscheinen,
plötzlich, andonnernd, beseligend oder vernichtend.' So hat ihn sein wunderbares
Leben zu einem Schwärmer gemacht, zu einem Schwärmer des Despotismus. Ein
solcher Mann kann wissentlich nicht unedel handeln, er muß sich wenigstens für
jede That einen hohen idealen Gesichtspunkt gewonnen haben, der ihn das Un¬
recht derselben übersehen läßt. ----- Anders seine Staatsmänner nud Diplomaten.
Was Diensteifer, Schlauheit, Ehrgeiz, Habsucht nur durchsetzen können, um dem
Auge des Herrn augenehm zu werden, das nehme an, geschieht durch sie. Wenn
russische Agenten und russisches Gold deu Boden eines Volkes durchwühlt haben,
dann erfährt der Kaiser, daß das Volk ihn als Retter erwarte; was mühsam vor¬
bereitet, überlegt und eingeleitet ist, dem Herrn bleibt die nothwendig gewordene
That, als freier Entschluß. Nicht immer jedoch gelingt's den schlauen Köpfen mit
ihrem Kaiser. Sie hatten vor Jahren kein Mittel gespart, dem Kaiser die Mög¬
lichkeit zu verschaffen, der erste Pauslavist zu werden, er hat es unwillig von
der Hand gewiesen. Ihre Späher und Agenten bearbeiten schon lange in den Für-
stenthümern, in Bosnien nud Serbien den Grund für künftige russische Saat, der
Kaiser sträubte sich dagegen, in Europa weiter zu gehen. Und doch werden
sie und die Verhältnisse ihn zwingen, und er wird thun müssen, was er fürchtet.
Für Rußland ist der Besitz des schwarzen Meeres eine Lebensfrage, er wird nur
gesichert durch die Herrschaft über die Fürstentümer nud Constantinopel. Wozu
sie nehmen, so lange sie nicht hindern? Erst wenn sie schädlich werden, muß
Rußland sie nehmen, Constantinopel, wenn es unklug russische« Rath verschmähte,
die Fürstenthümer sobald sie „Freiheit" heischend nach dem Westen schauen. Sie
werden besetzt, pacificirt, endlich müssen sie behalten werden. Von dem Augen¬
blick, wo Rußland den rumainischen nud serbischen Stamm berührt, ändert sich
seine europäische Stellung durchaus, der Kaise-r scheut die Folgen, seine begehr¬
lichen Politiker wünschen sie.

In der Moldau und Walachei legt sich Rußland zuerst auf solche slavische
Stämme, welche von der großen Massenbewegung der Gegenwart ergriffen sind.
Diese Erregung hat bei den östlichen Slaven zunächst die Folge, gewaltsam die
Gesetze der patriarchalischen Hörigkeit zu vernichten und die Völker aufzulösen in
eine Masse von „freien" Einzelwesen. Vielleicht wäre Rußlands Zepter noch stark
genug in den Fürstenthümern diesen Umsturz zu verhindern, aber die Fürstenthü-
mer hängen mit Serbien und Bosnien und mit Euren slavischen Nachbarn so fest
und innig zusammen, daß jedes Zucken des einen sich auch den andern mittheilt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/223>, abgerufen am 22.07.2024.