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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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der Lernfreiheit, wenn der Staat den Universitätsbesuch zur Bedingung mache.
Dann muß aber doch der Staat sagen dürfen, was Universitäten sind und sich
nicht blos an den Namen halten! Man tröstete sich mit der sophistischen Aus¬
flucht, daß diese Beschränkung die Universität Nichts angehe, weil sie nicht von
ihr ausgehe, als ob das erst jetzt in Betracht käme, wenn es überhaupt gälte.
Der Fehler lag diesmal wohl mit in der sonst vortrefflichen Geschäftsleitung.
Hätte der Präsident zuerst gefragt, ob man fordern wolle, daß der Staat von
einer Nothwendigkeit des Universitätsbesuchs ganz abstrahire, so wäre wohl um
der Konsequenz willen die Mehrzahl aufgestanden. So brachte er zuerst deu nicht
am weitesten gehenden Antrag zur Abstimmung, es sei keine Aufhebung der Lern¬
freiheit, wenn der Staat fordere :c. Die Verwirrung war so groß, daß nament¬
lich abgestimmt werden mußte, um die Majorität zu constatiren. Dann erklärte
man sich gegen jeden Collegienzwang, vorgeschriebenen Studienplan, sogar dage¬
gen, daß der Student, um Student zu bleiben, wenigstens eine Vorlesung an¬
nehmen müsse.

Nun kam man auf die Staatsprüfungen, wo ein sehr befriedigender Beschluß
gefaßt wurde. Die Staatsprüfung soll nicht Sache der Universität als solcher
sein, sondern es soll ein Concurs eingerichtet werden und für jeden Fall eigene
Commissionen gebildet, zu welchen nebst Praktikern alle Universitätslehrer ab¬
wechselnd zugezogen zu werden, das Recht haben.

Es handelte sich noch um den Gebrauch der lateinischen Sprache. Bei den
Staatsprüfungen sollte sie wegfallen. Bei den Doctoratsprüfungen wollten Manche
sie cmfrechthalteu. Vangerow führte an, daß sich das Selbststudium der römischen
Rechtsquellen fast nur auf diesem Wege beurtheilen lasse. Man überließ die Ent¬
scheidung den einzelnen Universitäten. Die Doctoratsprüsungen werden freilich
keine Rolle mehr spielen, wenn der Grad keine Rechte verleiht als Ehrenrechte.
Es sei denn, daß man nach Thiersch's Ansicht den Grad nur den Docenten ver¬
leiht, so daß die Doctoratsprüfung ein für allemal mit der Habilitationsprüfnng
zusammenfällt. Dann wird jener Beschluß immerhin zu modificiren sein.

Der Hanptkampf war am dritten Tage. Hier handelte es sich um gleiche
Berechtigung aller Docenten an den corporativen Befugnissen, um die Aufhebung
einer ausschließlichen Scnatsfähigkcit. Vangerow war der Vorkämpfer der con-
servativen Partei. Seine Rede ist die beste, die in diesen Tagen gehalten wurde.
Er sprach von der Unart der Zeit, Alles besitzen zu wollen, ohne es verdient,
ohne dafür gearbeitet zu haben. Man bringe sich um die schönste Freude, um
die edelste Genugthuung, wenn man einen Kampfpreis fordere, den man nicht
errungen :c. Er wollte einen Senat aus allen ordentlichen Professoren mit Zu¬
ziehung einer Deputation der außerordentlichen. Seine Worte drangen aus dem
Gemüth und machten großen Eindruck. Schade nur um die geringfügige Sache!
Platner aus Marburg bemerkte mit Recht, die Senatsverhandlungen seien so


der Lernfreiheit, wenn der Staat den Universitätsbesuch zur Bedingung mache.
Dann muß aber doch der Staat sagen dürfen, was Universitäten sind und sich
nicht blos an den Namen halten! Man tröstete sich mit der sophistischen Aus¬
flucht, daß diese Beschränkung die Universität Nichts angehe, weil sie nicht von
ihr ausgehe, als ob das erst jetzt in Betracht käme, wenn es überhaupt gälte.
Der Fehler lag diesmal wohl mit in der sonst vortrefflichen Geschäftsleitung.
Hätte der Präsident zuerst gefragt, ob man fordern wolle, daß der Staat von
einer Nothwendigkeit des Universitätsbesuchs ganz abstrahire, so wäre wohl um
der Konsequenz willen die Mehrzahl aufgestanden. So brachte er zuerst deu nicht
am weitesten gehenden Antrag zur Abstimmung, es sei keine Aufhebung der Lern¬
freiheit, wenn der Staat fordere :c. Die Verwirrung war so groß, daß nament¬
lich abgestimmt werden mußte, um die Majorität zu constatiren. Dann erklärte
man sich gegen jeden Collegienzwang, vorgeschriebenen Studienplan, sogar dage¬
gen, daß der Student, um Student zu bleiben, wenigstens eine Vorlesung an¬
nehmen müsse.

Nun kam man auf die Staatsprüfungen, wo ein sehr befriedigender Beschluß
gefaßt wurde. Die Staatsprüfung soll nicht Sache der Universität als solcher
sein, sondern es soll ein Concurs eingerichtet werden und für jeden Fall eigene
Commissionen gebildet, zu welchen nebst Praktikern alle Universitätslehrer ab¬
wechselnd zugezogen zu werden, das Recht haben.

Es handelte sich noch um den Gebrauch der lateinischen Sprache. Bei den
Staatsprüfungen sollte sie wegfallen. Bei den Doctoratsprüfungen wollten Manche
sie cmfrechthalteu. Vangerow führte an, daß sich das Selbststudium der römischen
Rechtsquellen fast nur auf diesem Wege beurtheilen lasse. Man überließ die Ent¬
scheidung den einzelnen Universitäten. Die Doctoratsprüsungen werden freilich
keine Rolle mehr spielen, wenn der Grad keine Rechte verleiht als Ehrenrechte.
Es sei denn, daß man nach Thiersch's Ansicht den Grad nur den Docenten ver¬
leiht, so daß die Doctoratsprüfung ein für allemal mit der Habilitationsprüfnng
zusammenfällt. Dann wird jener Beschluß immerhin zu modificiren sein.

Der Hanptkampf war am dritten Tage. Hier handelte es sich um gleiche
Berechtigung aller Docenten an den corporativen Befugnissen, um die Aufhebung
einer ausschließlichen Scnatsfähigkcit. Vangerow war der Vorkämpfer der con-
servativen Partei. Seine Rede ist die beste, die in diesen Tagen gehalten wurde.
Er sprach von der Unart der Zeit, Alles besitzen zu wollen, ohne es verdient,
ohne dafür gearbeitet zu haben. Man bringe sich um die schönste Freude, um
die edelste Genugthuung, wenn man einen Kampfpreis fordere, den man nicht
errungen :c. Er wollte einen Senat aus allen ordentlichen Professoren mit Zu¬
ziehung einer Deputation der außerordentlichen. Seine Worte drangen aus dem
Gemüth und machten großen Eindruck. Schade nur um die geringfügige Sache!
Platner aus Marburg bemerkte mit Recht, die Senatsverhandlungen seien so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/20>, abgerufen am 29.06.2024.