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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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ser Partei kann man den Grundsatz bezeichnen, zuerst die Constitution zu vollenden,
weil mir so die Ruhe wieder herzustellen sei. Ganz richtig und sehr ehrenwerth! Nur
will leider die Geschichte derweil nicht stille stehen, die Wühler wollen so lauge nicht
warten, die Reaction wird die Hände nicht in den Schooß legen, wenn man ihr bis
dahin die alte Bureaukratie und Militärmacht ungeschwächt zur Seite läßt, das Volk
ist begierig die Früchte des Kampfes zu sehen. So führt der theoretisch vollkommen
passende Grundsatz in der Praxis zu den größten Irrthümern; ich will nur ein Bei¬
spiel statt vieler erwähnen. Am 17. Oktober erscheinen die Arbeiter mit der Petition,
die Versammlung möge das Geschäft der Versöhnung zwischen ihnen und den Bürgern
übernehmen; die Rechte setzt die motivirte Tagesordnung durch -- beiläufig gesagt, ein
höchst beliebtes und für die Partei charakteristisches Mittel. Ganz gewiß war die Bitte
eigentlich mit der Befugniß der Kammer in Widerspruch, man handelte theoretisch ganz
richtig, aber was war die natürlichste Folge? Der Kammer entging ein unberechen-
barer Vortheil, der, bei dem Schweigen unsrer mehr als erbärmlichen Communalbe'
hörten, ganz und gar den Clubs und den Wühlern zufiel. Sie besorgten nunmehr
das Geld zum feierlichen Leichenbegängnisse und am 20. mußte jeder Ehrenmann mit
Wehmuth sehen, wer am it!. gesiegt habe. Dieser Bestattungszng -- ungleich zahl¬
reicher und imposanter als irgend eine der früheren Proccsstonen - hat den Anarchi¬
sten Sympathien im Volke (?) und ein Feld für ihre Thätigkeit geschaffen, wie sie es
ohnedies sobald nicht erlangt hätten. Die Ungeschicklichkeit der Rechten aber und die
Erbärmlichkeit der städtischen Behörden hat ihnen einzig zu diesem Triumphe verholfen. --

Die Kraft der Versammlung und jetzt fast auch die numerische Stärke ruht dem¬
nach im linken Centrum, freilich zerfällt es in mehrere Fraktionen, doch vereinen sich
diese bei allen wichtigen Gelegenheiten und reißen selbst von den andern Parteien oft
Einzelne bei der Abstimmung hin. Hier sitzt der ruhige Unruh, der gewandte und
geistreiche Berg, der ehrgeizige Nvdbertus und Bücher, der trotz einer kleinen
Gestalt und eines schwachen Organs niemals die Tribüne verläßt, ohne den donnern¬
den Applaus aller Parteien -- obwohl er jede derselben stets mit einigen freundschaft-
lichen ScmaSmen bedenkt. Bücher würde ohne Zweifel auch in einer bedeutenderen
Versammlung Aufsehen erregen. An Berg und Nodbertus hat sich in neuster Zeit
Blom enge angeschlossen, auch ihm ist wenigstens die Gabe der Rede eigen. Daß
dieser mächtigste Theil der Kammer nicht ohne persönliche Absichten sein kann, liegt auf
der Hand, aber ihre Kenntnisse nud Talente stellen ihnen andere Mittel zu Gebote, als
den Radikalen. Sie wollen ein Ministerium nicht blos stützen, sie wollen auch an ihm
Participiren, und jedes Kabinet, das nicht ans ihrer Mitte hervorgegangen, wird auf
die Dauer immer Augriffen ausgesetzt sein, denen Privatmotive zum Grunde liegen
und welche die öffentliche Ruhe aufs Neue gefährden. -- Das ist unsere Kammer?
Dasselbe Schwanken, dieselbe Haltlosigkeit, die wir bei den einzelnen Parteien gesehen,
wir finden sie leider in. dem ganzen Ensemble wieder. Ich erinnere nur an das Bür-
gerwehrgesctz. Erst bringt uns der Kampf der Fraktionen, in dem heute diese, mor¬
gen jene Siegerin ist, ein Bürgerwehrgesetz, das aus lauter Inconsequenzen besteht,
dann verwirft der Eigensinn der Rechten Bergs einzig vernünftigen Vorschlag, es für
ein Provisorium zu erklären. Jetzt kaun mau es <?>> KI"<: weder verwerfen, ohne sich zu
blamiren, noch wagt man es der öffentlichen Meinung aufzudringen und nun beginnt
die widerwärtige Transaktion. Man nimmt die Kirchmann'schen Amendements an,' die
einen radikalen Lappen aus ein conservativcs Institut setzen -- von denen eins be¬
kanntlich die Führer der Nationalgarde zu selbstständigem Handeln befähigt! --


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ser Partei kann man den Grundsatz bezeichnen, zuerst die Constitution zu vollenden,
weil mir so die Ruhe wieder herzustellen sei. Ganz richtig und sehr ehrenwerth! Nur
will leider die Geschichte derweil nicht stille stehen, die Wühler wollen so lauge nicht
warten, die Reaction wird die Hände nicht in den Schooß legen, wenn man ihr bis
dahin die alte Bureaukratie und Militärmacht ungeschwächt zur Seite läßt, das Volk
ist begierig die Früchte des Kampfes zu sehen. So führt der theoretisch vollkommen
passende Grundsatz in der Praxis zu den größten Irrthümern; ich will nur ein Bei¬
spiel statt vieler erwähnen. Am 17. Oktober erscheinen die Arbeiter mit der Petition,
die Versammlung möge das Geschäft der Versöhnung zwischen ihnen und den Bürgern
übernehmen; die Rechte setzt die motivirte Tagesordnung durch — beiläufig gesagt, ein
höchst beliebtes und für die Partei charakteristisches Mittel. Ganz gewiß war die Bitte
eigentlich mit der Befugniß der Kammer in Widerspruch, man handelte theoretisch ganz
richtig, aber was war die natürlichste Folge? Der Kammer entging ein unberechen-
barer Vortheil, der, bei dem Schweigen unsrer mehr als erbärmlichen Communalbe'
hörten, ganz und gar den Clubs und den Wühlern zufiel. Sie besorgten nunmehr
das Geld zum feierlichen Leichenbegängnisse und am 20. mußte jeder Ehrenmann mit
Wehmuth sehen, wer am it!. gesiegt habe. Dieser Bestattungszng — ungleich zahl¬
reicher und imposanter als irgend eine der früheren Proccsstonen - hat den Anarchi¬
sten Sympathien im Volke (?) und ein Feld für ihre Thätigkeit geschaffen, wie sie es
ohnedies sobald nicht erlangt hätten. Die Ungeschicklichkeit der Rechten aber und die
Erbärmlichkeit der städtischen Behörden hat ihnen einzig zu diesem Triumphe verholfen. —

Die Kraft der Versammlung und jetzt fast auch die numerische Stärke ruht dem¬
nach im linken Centrum, freilich zerfällt es in mehrere Fraktionen, doch vereinen sich
diese bei allen wichtigen Gelegenheiten und reißen selbst von den andern Parteien oft
Einzelne bei der Abstimmung hin. Hier sitzt der ruhige Unruh, der gewandte und
geistreiche Berg, der ehrgeizige Nvdbertus und Bücher, der trotz einer kleinen
Gestalt und eines schwachen Organs niemals die Tribüne verläßt, ohne den donnern¬
den Applaus aller Parteien — obwohl er jede derselben stets mit einigen freundschaft-
lichen ScmaSmen bedenkt. Bücher würde ohne Zweifel auch in einer bedeutenderen
Versammlung Aufsehen erregen. An Berg und Nodbertus hat sich in neuster Zeit
Blom enge angeschlossen, auch ihm ist wenigstens die Gabe der Rede eigen. Daß
dieser mächtigste Theil der Kammer nicht ohne persönliche Absichten sein kann, liegt auf
der Hand, aber ihre Kenntnisse nud Talente stellen ihnen andere Mittel zu Gebote, als
den Radikalen. Sie wollen ein Ministerium nicht blos stützen, sie wollen auch an ihm
Participiren, und jedes Kabinet, das nicht ans ihrer Mitte hervorgegangen, wird auf
die Dauer immer Augriffen ausgesetzt sein, denen Privatmotive zum Grunde liegen
und welche die öffentliche Ruhe aufs Neue gefährden. — Das ist unsere Kammer?
Dasselbe Schwanken, dieselbe Haltlosigkeit, die wir bei den einzelnen Parteien gesehen,
wir finden sie leider in. dem ganzen Ensemble wieder. Ich erinnere nur an das Bür-
gerwehrgesctz. Erst bringt uns der Kampf der Fraktionen, in dem heute diese, mor¬
gen jene Siegerin ist, ein Bürgerwehrgesetz, das aus lauter Inconsequenzen besteht,
dann verwirft der Eigensinn der Rechten Bergs einzig vernünftigen Vorschlag, es für
ein Provisorium zu erklären. Jetzt kaun mau es <?>> KI»<: weder verwerfen, ohne sich zu
blamiren, noch wagt man es der öffentlichen Meinung aufzudringen und nun beginnt
die widerwärtige Transaktion. Man nimmt die Kirchmann'schen Amendements an,' die
einen radikalen Lappen aus ein conservativcs Institut setzen — von denen eins be¬
kanntlich die Führer der Nationalgarde zu selbstständigem Handeln befähigt! —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/193>, abgerufen am 25.12.2024.