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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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die Magyaren und Slaven aber auf ungarischen Boden mit blutigem Ernste be¬
kämpften. Der deutsche Theil der Bevölkerung genoß bisher in den sogenann¬
ten deutschen Provinzen die Vortheile der durch intellektuelles Uebergewicht bevor-
zugten Minorität; eine solche, jedoch durch octrvyirte Privilegien begünstigte Mi¬
norität waren nun auch bisher in den ungarischen Ländern die Magyaren gewesen.
Das Deutschthum und Magyarenthnm strebte zwei verschiedene Centralpunkte in
Oestreich an; und während sich das erstere so innig als möglich an das übrige
Deutschland anschließen wollte, trieb das letztere seine selbstische politische Existenz
bis auf den höchsten Grad hinauf. Diesen beiden intensiven Mächten arbeitet
nnn das Slaventhum mit seiner ganzen extensiven Gewalt entgegen. Weil nun
zwischen den deutschen und ungarischen Ländern gewissermaßen auch eine Bit-
dnngsgrenze liegt, so ist es begreiflich, daß bei dem Prävaliren der Reflexion
einer- und der Leidenschaft anderseits der Kampf hier und dort ein anderes Ge¬
präge annehmen mußte, wenn auch nicht andere Umstände die Waffe, mit der er
geführt werden sollte, entschieden hätten. Das Hauptbestrcben der Slaven ging
aber bisher dahin, die Scheidelinie, die zwischen den Slaven der deutschen Pro¬
vinzen und den Ungarslaven liegt und die ihre gemeinsamen Bestrebungen para-
lysiren mußte, zu überwinden und sich so als ein durchgreifendes Bindemittel des
östreichischen Ländercomplexes der Dynastie selbst zum Bewußtsein zu bringen.
Eine solche Vereinigung der Deutsch - und Ungarslaven war auch die leitende
Idee des Slavencongresses, der sich zugleich als einen Bund gleichgesinnter Volks-
stämme zur Wahrung der Integrität Oestreichs ausgab. Zu gleicher Absicht wollte
sich schon früher der vereinigte croatisch-slavonisch-dalmatinische Landtag mit dem
Landtag von Prag durch Ablegaten in Rapport scheu, um so mit vereinten Kräf¬
ten gegen das Aufgehen des slavischen Prinzips in dem Deutschthum und Ma¬
gyarenthnm zu kämpfen. Ebenso setzte es sich die slovanski", lip-i, zur bleibenden
Aufgabe, namentlich die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Czechen und
Slowaken aufrecht zu erhalte". So arbeitet also das einheitliche, slavische Be¬
wußtsein der staatlichen Befestigung des deutsch-magyarischen Doppelbewußtseins
entgegen und kömmt insofern mit de" dynastischen Tendenzen überein, welche auch
ein großes Oestreich aus einem Stücke anstreben. Als ein solches kräftiges Rea¬
gens tritt aber das slavische Prinzip am Entschiedensten in dem nordwestlichen
Böhmen und in dem südöstlichen Kroatien heraus. Während es in Böhmen am
meisten zum Bewußtsein kömmt, sucht es sich auf arvalischen Boden durch schnelle,
kriegerische That immer mehr auszuwirken, und so wird von zwei entgegengesetz¬
ten Seiten, von Böhmen durch die Mittel politischer Bildung, von Kroatien
durch die Mittel strategischer Macht gegen die deutsch-magyarische Mitte hin¬
gearbeitet. Von Agram aus rückt Jellachich mit seinem Heere gegen Pesth und
Wien - - von Prag ausrückte der Kern der Rechten, Pallacky an der Spitze, als
eine compakte Phalanx gegen das Deutschthum aus. Darum war auch der


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die Magyaren und Slaven aber auf ungarischen Boden mit blutigem Ernste be¬
kämpften. Der deutsche Theil der Bevölkerung genoß bisher in den sogenann¬
ten deutschen Provinzen die Vortheile der durch intellektuelles Uebergewicht bevor-
zugten Minorität; eine solche, jedoch durch octrvyirte Privilegien begünstigte Mi¬
norität waren nun auch bisher in den ungarischen Ländern die Magyaren gewesen.
Das Deutschthum und Magyarenthnm strebte zwei verschiedene Centralpunkte in
Oestreich an; und während sich das erstere so innig als möglich an das übrige
Deutschland anschließen wollte, trieb das letztere seine selbstische politische Existenz
bis auf den höchsten Grad hinauf. Diesen beiden intensiven Mächten arbeitet
nnn das Slaventhum mit seiner ganzen extensiven Gewalt entgegen. Weil nun
zwischen den deutschen und ungarischen Ländern gewissermaßen auch eine Bit-
dnngsgrenze liegt, so ist es begreiflich, daß bei dem Prävaliren der Reflexion
einer- und der Leidenschaft anderseits der Kampf hier und dort ein anderes Ge¬
präge annehmen mußte, wenn auch nicht andere Umstände die Waffe, mit der er
geführt werden sollte, entschieden hätten. Das Hauptbestrcben der Slaven ging
aber bisher dahin, die Scheidelinie, die zwischen den Slaven der deutschen Pro¬
vinzen und den Ungarslaven liegt und die ihre gemeinsamen Bestrebungen para-
lysiren mußte, zu überwinden und sich so als ein durchgreifendes Bindemittel des
östreichischen Ländercomplexes der Dynastie selbst zum Bewußtsein zu bringen.
Eine solche Vereinigung der Deutsch - und Ungarslaven war auch die leitende
Idee des Slavencongresses, der sich zugleich als einen Bund gleichgesinnter Volks-
stämme zur Wahrung der Integrität Oestreichs ausgab. Zu gleicher Absicht wollte
sich schon früher der vereinigte croatisch-slavonisch-dalmatinische Landtag mit dem
Landtag von Prag durch Ablegaten in Rapport scheu, um so mit vereinten Kräf¬
ten gegen das Aufgehen des slavischen Prinzips in dem Deutschthum und Ma¬
gyarenthnm zu kämpfen. Ebenso setzte es sich die slovanski«, lip-i, zur bleibenden
Aufgabe, namentlich die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Czechen und
Slowaken aufrecht zu erhalte». So arbeitet also das einheitliche, slavische Be¬
wußtsein der staatlichen Befestigung des deutsch-magyarischen Doppelbewußtseins
entgegen und kömmt insofern mit de» dynastischen Tendenzen überein, welche auch
ein großes Oestreich aus einem Stücke anstreben. Als ein solches kräftiges Rea¬
gens tritt aber das slavische Prinzip am Entschiedensten in dem nordwestlichen
Böhmen und in dem südöstlichen Kroatien heraus. Während es in Böhmen am
meisten zum Bewußtsein kömmt, sucht es sich auf arvalischen Boden durch schnelle,
kriegerische That immer mehr auszuwirken, und so wird von zwei entgegengesetz¬
ten Seiten, von Böhmen durch die Mittel politischer Bildung, von Kroatien
durch die Mittel strategischer Macht gegen die deutsch-magyarische Mitte hin¬
gearbeitet. Von Agram aus rückt Jellachich mit seinem Heere gegen Pesth und
Wien - - von Prag ausrückte der Kern der Rechten, Pallacky an der Spitze, als
eine compakte Phalanx gegen das Deutschthum aus. Darum war auch der


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[0187] die Magyaren und Slaven aber auf ungarischen Boden mit blutigem Ernste be¬ kämpften. Der deutsche Theil der Bevölkerung genoß bisher in den sogenann¬ ten deutschen Provinzen die Vortheile der durch intellektuelles Uebergewicht bevor- zugten Minorität; eine solche, jedoch durch octrvyirte Privilegien begünstigte Mi¬ norität waren nun auch bisher in den ungarischen Ländern die Magyaren gewesen. Das Deutschthum und Magyarenthnm strebte zwei verschiedene Centralpunkte in Oestreich an; und während sich das erstere so innig als möglich an das übrige Deutschland anschließen wollte, trieb das letztere seine selbstische politische Existenz bis auf den höchsten Grad hinauf. Diesen beiden intensiven Mächten arbeitet nnn das Slaventhum mit seiner ganzen extensiven Gewalt entgegen. Weil nun zwischen den deutschen und ungarischen Ländern gewissermaßen auch eine Bit- dnngsgrenze liegt, so ist es begreiflich, daß bei dem Prävaliren der Reflexion einer- und der Leidenschaft anderseits der Kampf hier und dort ein anderes Ge¬ präge annehmen mußte, wenn auch nicht andere Umstände die Waffe, mit der er geführt werden sollte, entschieden hätten. Das Hauptbestrcben der Slaven ging aber bisher dahin, die Scheidelinie, die zwischen den Slaven der deutschen Pro¬ vinzen und den Ungarslaven liegt und die ihre gemeinsamen Bestrebungen para- lysiren mußte, zu überwinden und sich so als ein durchgreifendes Bindemittel des östreichischen Ländercomplexes der Dynastie selbst zum Bewußtsein zu bringen. Eine solche Vereinigung der Deutsch - und Ungarslaven war auch die leitende Idee des Slavencongresses, der sich zugleich als einen Bund gleichgesinnter Volks- stämme zur Wahrung der Integrität Oestreichs ausgab. Zu gleicher Absicht wollte sich schon früher der vereinigte croatisch-slavonisch-dalmatinische Landtag mit dem Landtag von Prag durch Ablegaten in Rapport scheu, um so mit vereinten Kräf¬ ten gegen das Aufgehen des slavischen Prinzips in dem Deutschthum und Ma¬ gyarenthnm zu kämpfen. Ebenso setzte es sich die slovanski«, lip-i, zur bleibenden Aufgabe, namentlich die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Czechen und Slowaken aufrecht zu erhalte». So arbeitet also das einheitliche, slavische Be¬ wußtsein der staatlichen Befestigung des deutsch-magyarischen Doppelbewußtseins entgegen und kömmt insofern mit de» dynastischen Tendenzen überein, welche auch ein großes Oestreich aus einem Stücke anstreben. Als ein solches kräftiges Rea¬ gens tritt aber das slavische Prinzip am Entschiedensten in dem nordwestlichen Böhmen und in dem südöstlichen Kroatien heraus. Während es in Böhmen am meisten zum Bewußtsein kömmt, sucht es sich auf arvalischen Boden durch schnelle, kriegerische That immer mehr auszuwirken, und so wird von zwei entgegengesetz¬ ten Seiten, von Böhmen durch die Mittel politischer Bildung, von Kroatien durch die Mittel strategischer Macht gegen die deutsch-magyarische Mitte hin¬ gearbeitet. Von Agram aus rückt Jellachich mit seinem Heere gegen Pesth und Wien - - von Prag ausrückte der Kern der Rechten, Pallacky an der Spitze, als eine compakte Phalanx gegen das Deutschthum aus. Darum war auch der 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/187>, abgerufen am 22.07.2024.