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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Gesetz und Gewohnheit eingebürgerte Selbstregierung der Gemeinden; ohne diese
Grundlage gibt es keine dauernde Republik. Diese Reorganisation läßt sich nicht
durch ein ^our co '"-'"" erzwingen und Sie sind sehr im Irrthum, wenn Sie in
Ihren Widerruf behaupten: "Gestehen wir uns offen, dieser Weg durch die
einzelnen Staaten ist naturgemäß und richtig, der Frankfurter Plan war nur im
ersten Sturm möglich." Im ersten Sturm schlägt mau wohl Könige todt,
und reißt die Spitze der Staatsverfassung um, aber man legt nicht dauernde
Fundamente der neuen Organisation.

Dergleichen Schwierigkeiten liegen Ihrem sanguinischen Wesen fern. Sie
freuten Sich über die Reformbanquette, denen Sie präsidirten,. Sie erklärten im
Schießhaus vor Gevatter Schneider und Handschuhmacher, die mit offnem Munde
zuhörten, als Sie von der "Sitnirnng der Prinzipien" und der "Nothwendig¬
keit einer Religion" einen Vortrag hielten, "die alten Herrn hätten die Politik
nichr verstanden, nun müssen wir sie in die Hände nehmen." Wir das souveräne
Leipziger Schießhaus! Es nimmt sich auch so etwas in die Hand! Sie gingen
auf die Redensarten des Tages ein, indem Sie dieselben in eine neue Formel
redigirten: "Nicht Einigkeit, sondern Einheit!" Der formelle Begriff der Ein¬
heit überwog nun als Floskel den Inhalt dieser Einheit. Sie ließen Sich nach
Frankfurt wählen, obgleich Sie noch immer kein rechtes Zutrauen zu der Sache
hatten.

Wo war Ihr Platz in der Paulskirche, wenn Sie Ihren Prinzipien treu
bleiben wollten? Bei der Partei, welche erklärte: Die Festsetzung der Staats--
form bleib! den einzelnen Staaten überlassen, wir haben hier nur den Bürgern
dieser Staaten das Minimum der Rechte zu garantiren, welche Ihnen nach un¬
serer gegenwärtigen Bildung zukommen.

Und welche Partei war das? die äußerste Rechte. Bei Vincke und
Radowitz hätten Sie sitzen müssen. Ich weiß wohl, daß der größere Theil der¬
selben aus Ultramontanen und Absolutisten bestand, aber den Ultramontanismus
und Absolutismus hätten Sie bekämpfen können, ohne Ihr Prinzip aufzugeben:
die S vno cräni tai der einzelnen Staaten, bestimmter formulirt: die Sou¬
veränität der einzelnen Constitnanten. Sie gaben Ihr Prinzip auf, und prokla-
mirteu die Souveränität des Deutschen, d. h. eines staatlich gar noch nicht
existirenden Volkes, sie sielen zu den Romantikern ab! Halten Sie das für kei¬
nen Scherz, der Sache nach erklären Sie es ja selber in Ihrem jetzigen Manifest.
Wie die Sachen jetzt stehen, wird wenigstens Ein Glied des souveränen, unheil¬
baren Deutschland wohl nächstens von seinem Körper abfallen.

Ihr weiteres Wirken auf dem Parlament null ich hier übergehn; gemein¬
schaftlich mit Nößler arbeite ich an einer Kritik Ihres gesäumten Wirkens, die
ich Ihnen zur Zeit überschicken werde. Nur dieses. Sie verwechselten die Na-


Gesetz und Gewohnheit eingebürgerte Selbstregierung der Gemeinden; ohne diese
Grundlage gibt es keine dauernde Republik. Diese Reorganisation läßt sich nicht
durch ein ^our co '»-'"» erzwingen und Sie sind sehr im Irrthum, wenn Sie in
Ihren Widerruf behaupten: „Gestehen wir uns offen, dieser Weg durch die
einzelnen Staaten ist naturgemäß und richtig, der Frankfurter Plan war nur im
ersten Sturm möglich." Im ersten Sturm schlägt mau wohl Könige todt,
und reißt die Spitze der Staatsverfassung um, aber man legt nicht dauernde
Fundamente der neuen Organisation.

Dergleichen Schwierigkeiten liegen Ihrem sanguinischen Wesen fern. Sie
freuten Sich über die Reformbanquette, denen Sie präsidirten,. Sie erklärten im
Schießhaus vor Gevatter Schneider und Handschuhmacher, die mit offnem Munde
zuhörten, als Sie von der „Sitnirnng der Prinzipien" und der „Nothwendig¬
keit einer Religion" einen Vortrag hielten, „die alten Herrn hätten die Politik
nichr verstanden, nun müssen wir sie in die Hände nehmen." Wir das souveräne
Leipziger Schießhaus! Es nimmt sich auch so etwas in die Hand! Sie gingen
auf die Redensarten des Tages ein, indem Sie dieselben in eine neue Formel
redigirten: „Nicht Einigkeit, sondern Einheit!" Der formelle Begriff der Ein¬
heit überwog nun als Floskel den Inhalt dieser Einheit. Sie ließen Sich nach
Frankfurt wählen, obgleich Sie noch immer kein rechtes Zutrauen zu der Sache
hatten.

Wo war Ihr Platz in der Paulskirche, wenn Sie Ihren Prinzipien treu
bleiben wollten? Bei der Partei, welche erklärte: Die Festsetzung der Staats--
form bleib! den einzelnen Staaten überlassen, wir haben hier nur den Bürgern
dieser Staaten das Minimum der Rechte zu garantiren, welche Ihnen nach un¬
serer gegenwärtigen Bildung zukommen.

Und welche Partei war das? die äußerste Rechte. Bei Vincke und
Radowitz hätten Sie sitzen müssen. Ich weiß wohl, daß der größere Theil der¬
selben aus Ultramontanen und Absolutisten bestand, aber den Ultramontanismus
und Absolutismus hätten Sie bekämpfen können, ohne Ihr Prinzip aufzugeben:
die S vno cräni tai der einzelnen Staaten, bestimmter formulirt: die Sou¬
veränität der einzelnen Constitnanten. Sie gaben Ihr Prinzip auf, und prokla-
mirteu die Souveränität des Deutschen, d. h. eines staatlich gar noch nicht
existirenden Volkes, sie sielen zu den Romantikern ab! Halten Sie das für kei¬
nen Scherz, der Sache nach erklären Sie es ja selber in Ihrem jetzigen Manifest.
Wie die Sachen jetzt stehen, wird wenigstens Ein Glied des souveränen, unheil¬
baren Deutschland wohl nächstens von seinem Körper abfallen.

Ihr weiteres Wirken auf dem Parlament null ich hier übergehn; gemein¬
schaftlich mit Nößler arbeite ich an einer Kritik Ihres gesäumten Wirkens, die
ich Ihnen zur Zeit überschicken werde. Nur dieses. Sie verwechselten die Na-


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[0167] Gesetz und Gewohnheit eingebürgerte Selbstregierung der Gemeinden; ohne diese Grundlage gibt es keine dauernde Republik. Diese Reorganisation läßt sich nicht durch ein ^our co '»-'"» erzwingen und Sie sind sehr im Irrthum, wenn Sie in Ihren Widerruf behaupten: „Gestehen wir uns offen, dieser Weg durch die einzelnen Staaten ist naturgemäß und richtig, der Frankfurter Plan war nur im ersten Sturm möglich." Im ersten Sturm schlägt mau wohl Könige todt, und reißt die Spitze der Staatsverfassung um, aber man legt nicht dauernde Fundamente der neuen Organisation. Dergleichen Schwierigkeiten liegen Ihrem sanguinischen Wesen fern. Sie freuten Sich über die Reformbanquette, denen Sie präsidirten,. Sie erklärten im Schießhaus vor Gevatter Schneider und Handschuhmacher, die mit offnem Munde zuhörten, als Sie von der „Sitnirnng der Prinzipien" und der „Nothwendig¬ keit einer Religion" einen Vortrag hielten, „die alten Herrn hätten die Politik nichr verstanden, nun müssen wir sie in die Hände nehmen." Wir das souveräne Leipziger Schießhaus! Es nimmt sich auch so etwas in die Hand! Sie gingen auf die Redensarten des Tages ein, indem Sie dieselben in eine neue Formel redigirten: „Nicht Einigkeit, sondern Einheit!" Der formelle Begriff der Ein¬ heit überwog nun als Floskel den Inhalt dieser Einheit. Sie ließen Sich nach Frankfurt wählen, obgleich Sie noch immer kein rechtes Zutrauen zu der Sache hatten. Wo war Ihr Platz in der Paulskirche, wenn Sie Ihren Prinzipien treu bleiben wollten? Bei der Partei, welche erklärte: Die Festsetzung der Staats-- form bleib! den einzelnen Staaten überlassen, wir haben hier nur den Bürgern dieser Staaten das Minimum der Rechte zu garantiren, welche Ihnen nach un¬ serer gegenwärtigen Bildung zukommen. Und welche Partei war das? die äußerste Rechte. Bei Vincke und Radowitz hätten Sie sitzen müssen. Ich weiß wohl, daß der größere Theil der¬ selben aus Ultramontanen und Absolutisten bestand, aber den Ultramontanismus und Absolutismus hätten Sie bekämpfen können, ohne Ihr Prinzip aufzugeben: die S vno cräni tai der einzelnen Staaten, bestimmter formulirt: die Sou¬ veränität der einzelnen Constitnanten. Sie gaben Ihr Prinzip auf, und prokla- mirteu die Souveränität des Deutschen, d. h. eines staatlich gar noch nicht existirenden Volkes, sie sielen zu den Romantikern ab! Halten Sie das für kei¬ nen Scherz, der Sache nach erklären Sie es ja selber in Ihrem jetzigen Manifest. Wie die Sachen jetzt stehen, wird wenigstens Ein Glied des souveränen, unheil¬ baren Deutschland wohl nächstens von seinem Körper abfallen. Ihr weiteres Wirken auf dem Parlament null ich hier übergehn; gemein¬ schaftlich mit Nößler arbeite ich an einer Kritik Ihres gesäumten Wirkens, die ich Ihnen zur Zeit überschicken werde. Nur dieses. Sie verwechselten die Na-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/167>, abgerufen am 26.12.2024.