Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Versammlung über den Raveaux'schen Antrag erledigt. Abgesehen, daß dies ein
Zirkel, wenn die Nationalversammlung ihre Kompetenz allein festsetzt, liegt in
jenem Beschluß keine Entscheidung dieser Frage. Denn er besagt nur, daß die
Einzelverfassungen mit der Reichsverfassung in Einklang stehen müssen, aber nicht,
was zur rechtlichen Vollendung der Reichsverfassung gehöre, ein Punkt, den
Graf Arnim ganz richtig hervorhob.

Die alleinige Kompetenz der Nationalversammlung aus dem Mandat der Re¬
volution herzuleiten, ist lächerlich. Das Recht der Revolution läßt sich nie for-
muliren. Sicher ist, daß die Revolution uicht gesiegt hätte, wenn sie unter dem
Panier eines allmächtigen Konvents gekämpft hätte, so wenig wie sie später unter
diesem Panier gesiegt hat. Die preußische Regierung kann mit vollem Recht be¬
haupten, daß zur rechtlichen Vollendung des Verfassungswerkes die Zustimmung
aller betheiligten Souveränitäten, das ist, der Regierungen und der Kammern gehöre.
Und sie kann sich gegen den Einwand, daß dies das Zustandekommen der Ver¬
fassung unmöglich machen heiße, auf die amerikanische Verfassung berufen, die
unter gleich schwierigen Verhältnissen ans die nämliche Weise durch Vereinbarung
aller Theile zu Stande gekommen, so wie auf die Thatsache, daß das Gelingen
des deutschen Verfassungswerkes für alle Betheiligten eine Lebensfrage, worin
die hinreichende Garantie der Verständigung liegt.

Die Entscheidung dieser Frage naht heran bei der zweiten Lesung der Grund¬
rechte, wenn nach dem Beschluß, den die Nationalversammlung auf den Schober'-
schen Antrag gefaßt hat, der berathene Theil der Grundrechte sofort publicirt
wird. Die preußische Regierung kaun diesem Theil der Verfassung unbedingt zu¬
stimmen und die einheimische Constituante zu dem Gleichen auffordern. Sie wird
damit der materiellen Forderung genügen und ihr formelles Recht wahren. Wir
meinen aber, daß sie vor oder bei dieser Gelegenheit ans ihr formelles Recht
Verzicht leisten und dadurch die alleinige Kompetenz der Nationalversammlung in
Frankfurt zu begründen, von ihrer Seite den Anfang machen muß. Die Com-
petenzfrage wird bei der Gelegenheit ohne dies sowohl im Frankfurter, wie im
Berliner Parlament wieder zur Sprache kommen, und es ist traurig, wenn die
Regierung nie die Initiative des Nothwendigen zu ergreifen versteht. Die Linke
wird zwar diesmal weniger auf dieser Kompetenz bestehen, weil sie nicht mehr
in ihren Plan paßt. Aber sie wird doch höhnisch darauf hinweisen, wie sie wohl¬
thue, sich von solcher Ohnmacht abzuwenden und wie sie ein Recht habe, auch
ihrerseits den Particularismus auszubeuten. Die preußische Regierung darf den
Freunden Preußens in Frankfurt, d. h. allen einflußreichen und intelligenten Mit¬
gliedern der Nationalversammlung, den Stand nicht unnöthig erschweren, sie darf
diese Männer nicht ihre Kräfte in formellem Gezänk aufreiben lassen, um den
hier ganz unnützen Grundsatz der Vereinbarung aufrecht zu halten. Sie muß
aber vor Allem dem besseren Theil der Nation ein Motiv moralischer Aufrichtung


Versammlung über den Raveaux'schen Antrag erledigt. Abgesehen, daß dies ein
Zirkel, wenn die Nationalversammlung ihre Kompetenz allein festsetzt, liegt in
jenem Beschluß keine Entscheidung dieser Frage. Denn er besagt nur, daß die
Einzelverfassungen mit der Reichsverfassung in Einklang stehen müssen, aber nicht,
was zur rechtlichen Vollendung der Reichsverfassung gehöre, ein Punkt, den
Graf Arnim ganz richtig hervorhob.

Die alleinige Kompetenz der Nationalversammlung aus dem Mandat der Re¬
volution herzuleiten, ist lächerlich. Das Recht der Revolution läßt sich nie for-
muliren. Sicher ist, daß die Revolution uicht gesiegt hätte, wenn sie unter dem
Panier eines allmächtigen Konvents gekämpft hätte, so wenig wie sie später unter
diesem Panier gesiegt hat. Die preußische Regierung kann mit vollem Recht be¬
haupten, daß zur rechtlichen Vollendung des Verfassungswerkes die Zustimmung
aller betheiligten Souveränitäten, das ist, der Regierungen und der Kammern gehöre.
Und sie kann sich gegen den Einwand, daß dies das Zustandekommen der Ver¬
fassung unmöglich machen heiße, auf die amerikanische Verfassung berufen, die
unter gleich schwierigen Verhältnissen ans die nämliche Weise durch Vereinbarung
aller Theile zu Stande gekommen, so wie auf die Thatsache, daß das Gelingen
des deutschen Verfassungswerkes für alle Betheiligten eine Lebensfrage, worin
die hinreichende Garantie der Verständigung liegt.

Die Entscheidung dieser Frage naht heran bei der zweiten Lesung der Grund¬
rechte, wenn nach dem Beschluß, den die Nationalversammlung auf den Schober'-
schen Antrag gefaßt hat, der berathene Theil der Grundrechte sofort publicirt
wird. Die preußische Regierung kaun diesem Theil der Verfassung unbedingt zu¬
stimmen und die einheimische Constituante zu dem Gleichen auffordern. Sie wird
damit der materiellen Forderung genügen und ihr formelles Recht wahren. Wir
meinen aber, daß sie vor oder bei dieser Gelegenheit ans ihr formelles Recht
Verzicht leisten und dadurch die alleinige Kompetenz der Nationalversammlung in
Frankfurt zu begründen, von ihrer Seite den Anfang machen muß. Die Com-
petenzfrage wird bei der Gelegenheit ohne dies sowohl im Frankfurter, wie im
Berliner Parlament wieder zur Sprache kommen, und es ist traurig, wenn die
Regierung nie die Initiative des Nothwendigen zu ergreifen versteht. Die Linke
wird zwar diesmal weniger auf dieser Kompetenz bestehen, weil sie nicht mehr
in ihren Plan paßt. Aber sie wird doch höhnisch darauf hinweisen, wie sie wohl¬
thue, sich von solcher Ohnmacht abzuwenden und wie sie ein Recht habe, auch
ihrerseits den Particularismus auszubeuten. Die preußische Regierung darf den
Freunden Preußens in Frankfurt, d. h. allen einflußreichen und intelligenten Mit¬
gliedern der Nationalversammlung, den Stand nicht unnöthig erschweren, sie darf
diese Männer nicht ihre Kräfte in formellem Gezänk aufreiben lassen, um den
hier ganz unnützen Grundsatz der Vereinbarung aufrecht zu halten. Sie muß
aber vor Allem dem besseren Theil der Nation ein Motiv moralischer Aufrichtung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276913"/>
          <p xml:id="ID_439" prev="#ID_438"> Versammlung über den Raveaux'schen Antrag erledigt. Abgesehen, daß dies ein<lb/>
Zirkel, wenn die Nationalversammlung ihre Kompetenz allein festsetzt, liegt in<lb/>
jenem Beschluß keine Entscheidung dieser Frage. Denn er besagt nur, daß die<lb/>
Einzelverfassungen mit der Reichsverfassung in Einklang stehen müssen, aber nicht,<lb/>
was zur rechtlichen Vollendung der Reichsverfassung gehöre, ein Punkt, den<lb/>
Graf Arnim ganz richtig hervorhob.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_440"> Die alleinige Kompetenz der Nationalversammlung aus dem Mandat der Re¬<lb/>
volution herzuleiten, ist lächerlich. Das Recht der Revolution läßt sich nie for-<lb/>
muliren. Sicher ist, daß die Revolution uicht gesiegt hätte, wenn sie unter dem<lb/>
Panier eines allmächtigen Konvents gekämpft hätte, so wenig wie sie später unter<lb/>
diesem Panier gesiegt hat. Die preußische Regierung kann mit vollem Recht be¬<lb/>
haupten, daß zur rechtlichen Vollendung des Verfassungswerkes die Zustimmung<lb/>
aller betheiligten Souveränitäten, das ist, der Regierungen und der Kammern gehöre.<lb/>
Und sie kann sich gegen den Einwand, daß dies das Zustandekommen der Ver¬<lb/>
fassung unmöglich machen heiße, auf die amerikanische Verfassung berufen, die<lb/>
unter gleich schwierigen Verhältnissen ans die nämliche Weise durch Vereinbarung<lb/>
aller Theile zu Stande gekommen, so wie auf die Thatsache, daß das Gelingen<lb/>
des deutschen Verfassungswerkes für alle Betheiligten eine Lebensfrage, worin<lb/>
die hinreichende Garantie der Verständigung liegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_441" next="#ID_442"> Die Entscheidung dieser Frage naht heran bei der zweiten Lesung der Grund¬<lb/>
rechte, wenn nach dem Beschluß, den die Nationalversammlung auf den Schober'-<lb/>
schen Antrag gefaßt hat, der berathene Theil der Grundrechte sofort publicirt<lb/>
wird. Die preußische Regierung kaun diesem Theil der Verfassung unbedingt zu¬<lb/>
stimmen und die einheimische Constituante zu dem Gleichen auffordern. Sie wird<lb/>
damit der materiellen Forderung genügen und ihr formelles Recht wahren. Wir<lb/>
meinen aber, daß sie vor oder bei dieser Gelegenheit ans ihr formelles Recht<lb/>
Verzicht leisten und dadurch die alleinige Kompetenz der Nationalversammlung in<lb/>
Frankfurt zu begründen, von ihrer Seite den Anfang machen muß. Die Com-<lb/>
petenzfrage wird bei der Gelegenheit ohne dies sowohl im Frankfurter, wie im<lb/>
Berliner Parlament wieder zur Sprache kommen, und es ist traurig, wenn die<lb/>
Regierung nie die Initiative des Nothwendigen zu ergreifen versteht. Die Linke<lb/>
wird zwar diesmal weniger auf dieser Kompetenz bestehen, weil sie nicht mehr<lb/>
in ihren Plan paßt. Aber sie wird doch höhnisch darauf hinweisen, wie sie wohl¬<lb/>
thue, sich von solcher Ohnmacht abzuwenden und wie sie ein Recht habe, auch<lb/>
ihrerseits den Particularismus auszubeuten. Die preußische Regierung darf den<lb/>
Freunden Preußens in Frankfurt, d. h. allen einflußreichen und intelligenten Mit¬<lb/>
gliedern der Nationalversammlung, den Stand nicht unnöthig erschweren, sie darf<lb/>
diese Männer nicht ihre Kräfte in formellem Gezänk aufreiben lassen, um den<lb/>
hier ganz unnützen Grundsatz der Vereinbarung aufrecht zu halten. Sie muß<lb/>
aber vor Allem dem besseren Theil der Nation ein Motiv moralischer Aufrichtung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] Versammlung über den Raveaux'schen Antrag erledigt. Abgesehen, daß dies ein Zirkel, wenn die Nationalversammlung ihre Kompetenz allein festsetzt, liegt in jenem Beschluß keine Entscheidung dieser Frage. Denn er besagt nur, daß die Einzelverfassungen mit der Reichsverfassung in Einklang stehen müssen, aber nicht, was zur rechtlichen Vollendung der Reichsverfassung gehöre, ein Punkt, den Graf Arnim ganz richtig hervorhob. Die alleinige Kompetenz der Nationalversammlung aus dem Mandat der Re¬ volution herzuleiten, ist lächerlich. Das Recht der Revolution läßt sich nie for- muliren. Sicher ist, daß die Revolution uicht gesiegt hätte, wenn sie unter dem Panier eines allmächtigen Konvents gekämpft hätte, so wenig wie sie später unter diesem Panier gesiegt hat. Die preußische Regierung kann mit vollem Recht be¬ haupten, daß zur rechtlichen Vollendung des Verfassungswerkes die Zustimmung aller betheiligten Souveränitäten, das ist, der Regierungen und der Kammern gehöre. Und sie kann sich gegen den Einwand, daß dies das Zustandekommen der Ver¬ fassung unmöglich machen heiße, auf die amerikanische Verfassung berufen, die unter gleich schwierigen Verhältnissen ans die nämliche Weise durch Vereinbarung aller Theile zu Stande gekommen, so wie auf die Thatsache, daß das Gelingen des deutschen Verfassungswerkes für alle Betheiligten eine Lebensfrage, worin die hinreichende Garantie der Verständigung liegt. Die Entscheidung dieser Frage naht heran bei der zweiten Lesung der Grund¬ rechte, wenn nach dem Beschluß, den die Nationalversammlung auf den Schober'- schen Antrag gefaßt hat, der berathene Theil der Grundrechte sofort publicirt wird. Die preußische Regierung kaun diesem Theil der Verfassung unbedingt zu¬ stimmen und die einheimische Constituante zu dem Gleichen auffordern. Sie wird damit der materiellen Forderung genügen und ihr formelles Recht wahren. Wir meinen aber, daß sie vor oder bei dieser Gelegenheit ans ihr formelles Recht Verzicht leisten und dadurch die alleinige Kompetenz der Nationalversammlung in Frankfurt zu begründen, von ihrer Seite den Anfang machen muß. Die Com- petenzfrage wird bei der Gelegenheit ohne dies sowohl im Frankfurter, wie im Berliner Parlament wieder zur Sprache kommen, und es ist traurig, wenn die Regierung nie die Initiative des Nothwendigen zu ergreifen versteht. Die Linke wird zwar diesmal weniger auf dieser Kompetenz bestehen, weil sie nicht mehr in ihren Plan paßt. Aber sie wird doch höhnisch darauf hinweisen, wie sie wohl¬ thue, sich von solcher Ohnmacht abzuwenden und wie sie ein Recht habe, auch ihrerseits den Particularismus auszubeuten. Die preußische Regierung darf den Freunden Preußens in Frankfurt, d. h. allen einflußreichen und intelligenten Mit¬ gliedern der Nationalversammlung, den Stand nicht unnöthig erschweren, sie darf diese Männer nicht ihre Kräfte in formellem Gezänk aufreiben lassen, um den hier ganz unnützen Grundsatz der Vereinbarung aufrecht zu halten. Sie muß aber vor Allem dem besseren Theil der Nation ein Motiv moralischer Aufrichtung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/157>, abgerufen am 12.12.2024.