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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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die Straßen; zwar kein drängendes Gewühl, wie sonst, aber doch bunte Leb¬
haftigkeit, freundlicher Verkehr. Wie hübsch nud elegant alle die Damen, die
fo vorsichtig verwegen die reizenden Füßchen ans die erste Stufe der Barrikaden
heben; wie aristokratisch fashionable die duftenden jungen Herren, die mit den
goldknöpfigen Rohrstvckchen dahin, dorthin zeigen; wie das Alles wieder schäkert
und spaße und so ganz den glänzenden Anstrich alter Zeiten hat, als sei jeder
Laternenpscchl ein Mythus. Aber die Zeichen der Zeit treten allenthalben leserlich
hervor; in den Straßen, wo der Kampf wüthete, gibt es keine unzerbrochenen
Fensterscheiben mehr, die Erschütterung der Luft durch das Feuern hat den Gla¬
sern in die Hände gearbeitet, und am Stock im Eisen, am Graben, auf den Tnch-
lcmben, am Hof wandelt man im eigentlichen Sinne des Worts auf einer Schichte
von Glasstaub und Splittern. Dazu die Kartäschenspuren an den Läden, den
Häusern, die oft so hoch oben zu sehen sind, daß man annehmen muß, die Pio¬
niere hätten mit Fleiß hoch geschossen; ferner die verhangenen Fenster der bessern
Etagen, denn schon Tausende der wohlhabendsten Familien sind geflüchtet, nach
Baden, Klosterneuburg, wer weiß wohin, -- und endlich die Barrikaden. Diese
find das Wappen der Neuzeit, der Stolz der Städte, das liebste Spielwerk der
Demokraten und wie durch Zauber entsteht ihr flüchtiger Bau heut zu Tage bei
jedem Nachtwächterspectakel. Ohne Barrikaden keine Revolution, daher wurden
sie auch in Wien nur da und dann aufgebaut, wo und als sie nicht mehr nöthig
waren. Es ist die Schuld der Stadtverwaltung, warum hat diese Wiens Straßen
mit so sorgfältig behauenen Basaltwürseln pflastern lassen, von welchen nur der
erste schwierig auszuheben ist, die andern aber alle sich gleichsam von selbst zu im¬
provisierten Festungen zusammenfügen? An jeder Barrikade Wiens saß ein Ar¬
beiter und forderte mit einem Teller in der Hand Almosen für seine Genossen;
es war dies gleichsam ein Passagezoll dafür, daß man das Vergnügen hatte mit
einigem Risico für Hals und gerade Glieder, diese Straßenscheidewände zu über¬
klimmen. An einer Barrikade in der Nähe des rothen Thurmthors war ein Pla¬
kat angeheftet mit der Aufschrift: Man bittet um milde Gaben für den verarm¬
ten Adel Oestreichs!

Als Mittelpunkt der sich nach und nach fester gestaltenden und organisirenden
Bewegung des Volks war der Reichstag anzusehen, dessen Majorität von vorn¬
herein sich einstimmig für dieselbe erklärt, sich an ihre Spitze gestellt hatte. In
seinen Sitzungen war ich sehr häufig anwesend, das magische Wort: Ein Jour¬
nalist! eröffnete mir weit die Pforten des Heiligthums. Dasselbe befindet sich in
der Burg und ist ein zweckmäßig eingerichteter, geschmackvoll decorirter Saal. Der
Bicepräsident Franz Smolka, ein Pole, hatte die Präsidentschaft erhalten. Ein
guter, ziemlich junger Mann, der sich vor der ganzen übrigen Welt auszeichnet
durch einen anderthalb Fuß langen rothen Schnurrbart, der ihm das Ansehn gibt,
gls sei er einer jener Schwarzkünstler, welche Feuer aus der Nase zu blasen ver-


die Straßen; zwar kein drängendes Gewühl, wie sonst, aber doch bunte Leb¬
haftigkeit, freundlicher Verkehr. Wie hübsch nud elegant alle die Damen, die
fo vorsichtig verwegen die reizenden Füßchen ans die erste Stufe der Barrikaden
heben; wie aristokratisch fashionable die duftenden jungen Herren, die mit den
goldknöpfigen Rohrstvckchen dahin, dorthin zeigen; wie das Alles wieder schäkert
und spaße und so ganz den glänzenden Anstrich alter Zeiten hat, als sei jeder
Laternenpscchl ein Mythus. Aber die Zeichen der Zeit treten allenthalben leserlich
hervor; in den Straßen, wo der Kampf wüthete, gibt es keine unzerbrochenen
Fensterscheiben mehr, die Erschütterung der Luft durch das Feuern hat den Gla¬
sern in die Hände gearbeitet, und am Stock im Eisen, am Graben, auf den Tnch-
lcmben, am Hof wandelt man im eigentlichen Sinne des Worts auf einer Schichte
von Glasstaub und Splittern. Dazu die Kartäschenspuren an den Läden, den
Häusern, die oft so hoch oben zu sehen sind, daß man annehmen muß, die Pio¬
niere hätten mit Fleiß hoch geschossen; ferner die verhangenen Fenster der bessern
Etagen, denn schon Tausende der wohlhabendsten Familien sind geflüchtet, nach
Baden, Klosterneuburg, wer weiß wohin, — und endlich die Barrikaden. Diese
find das Wappen der Neuzeit, der Stolz der Städte, das liebste Spielwerk der
Demokraten und wie durch Zauber entsteht ihr flüchtiger Bau heut zu Tage bei
jedem Nachtwächterspectakel. Ohne Barrikaden keine Revolution, daher wurden
sie auch in Wien nur da und dann aufgebaut, wo und als sie nicht mehr nöthig
waren. Es ist die Schuld der Stadtverwaltung, warum hat diese Wiens Straßen
mit so sorgfältig behauenen Basaltwürseln pflastern lassen, von welchen nur der
erste schwierig auszuheben ist, die andern aber alle sich gleichsam von selbst zu im¬
provisierten Festungen zusammenfügen? An jeder Barrikade Wiens saß ein Ar¬
beiter und forderte mit einem Teller in der Hand Almosen für seine Genossen;
es war dies gleichsam ein Passagezoll dafür, daß man das Vergnügen hatte mit
einigem Risico für Hals und gerade Glieder, diese Straßenscheidewände zu über¬
klimmen. An einer Barrikade in der Nähe des rothen Thurmthors war ein Pla¬
kat angeheftet mit der Aufschrift: Man bittet um milde Gaben für den verarm¬
ten Adel Oestreichs!

Als Mittelpunkt der sich nach und nach fester gestaltenden und organisirenden
Bewegung des Volks war der Reichstag anzusehen, dessen Majorität von vorn¬
herein sich einstimmig für dieselbe erklärt, sich an ihre Spitze gestellt hatte. In
seinen Sitzungen war ich sehr häufig anwesend, das magische Wort: Ein Jour¬
nalist! eröffnete mir weit die Pforten des Heiligthums. Dasselbe befindet sich in
der Burg und ist ein zweckmäßig eingerichteter, geschmackvoll decorirter Saal. Der
Bicepräsident Franz Smolka, ein Pole, hatte die Präsidentschaft erhalten. Ein
guter, ziemlich junger Mann, der sich vor der ganzen übrigen Welt auszeichnet
durch einen anderthalb Fuß langen rothen Schnurrbart, der ihm das Ansehn gibt,
gls sei er einer jener Schwarzkünstler, welche Feuer aus der Nase zu blasen ver-


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[0146] die Straßen; zwar kein drängendes Gewühl, wie sonst, aber doch bunte Leb¬ haftigkeit, freundlicher Verkehr. Wie hübsch nud elegant alle die Damen, die fo vorsichtig verwegen die reizenden Füßchen ans die erste Stufe der Barrikaden heben; wie aristokratisch fashionable die duftenden jungen Herren, die mit den goldknöpfigen Rohrstvckchen dahin, dorthin zeigen; wie das Alles wieder schäkert und spaße und so ganz den glänzenden Anstrich alter Zeiten hat, als sei jeder Laternenpscchl ein Mythus. Aber die Zeichen der Zeit treten allenthalben leserlich hervor; in den Straßen, wo der Kampf wüthete, gibt es keine unzerbrochenen Fensterscheiben mehr, die Erschütterung der Luft durch das Feuern hat den Gla¬ sern in die Hände gearbeitet, und am Stock im Eisen, am Graben, auf den Tnch- lcmben, am Hof wandelt man im eigentlichen Sinne des Worts auf einer Schichte von Glasstaub und Splittern. Dazu die Kartäschenspuren an den Läden, den Häusern, die oft so hoch oben zu sehen sind, daß man annehmen muß, die Pio¬ niere hätten mit Fleiß hoch geschossen; ferner die verhangenen Fenster der bessern Etagen, denn schon Tausende der wohlhabendsten Familien sind geflüchtet, nach Baden, Klosterneuburg, wer weiß wohin, — und endlich die Barrikaden. Diese find das Wappen der Neuzeit, der Stolz der Städte, das liebste Spielwerk der Demokraten und wie durch Zauber entsteht ihr flüchtiger Bau heut zu Tage bei jedem Nachtwächterspectakel. Ohne Barrikaden keine Revolution, daher wurden sie auch in Wien nur da und dann aufgebaut, wo und als sie nicht mehr nöthig waren. Es ist die Schuld der Stadtverwaltung, warum hat diese Wiens Straßen mit so sorgfältig behauenen Basaltwürseln pflastern lassen, von welchen nur der erste schwierig auszuheben ist, die andern aber alle sich gleichsam von selbst zu im¬ provisierten Festungen zusammenfügen? An jeder Barrikade Wiens saß ein Ar¬ beiter und forderte mit einem Teller in der Hand Almosen für seine Genossen; es war dies gleichsam ein Passagezoll dafür, daß man das Vergnügen hatte mit einigem Risico für Hals und gerade Glieder, diese Straßenscheidewände zu über¬ klimmen. An einer Barrikade in der Nähe des rothen Thurmthors war ein Pla¬ kat angeheftet mit der Aufschrift: Man bittet um milde Gaben für den verarm¬ ten Adel Oestreichs! Als Mittelpunkt der sich nach und nach fester gestaltenden und organisirenden Bewegung des Volks war der Reichstag anzusehen, dessen Majorität von vorn¬ herein sich einstimmig für dieselbe erklärt, sich an ihre Spitze gestellt hatte. In seinen Sitzungen war ich sehr häufig anwesend, das magische Wort: Ein Jour¬ nalist! eröffnete mir weit die Pforten des Heiligthums. Dasselbe befindet sich in der Burg und ist ein zweckmäßig eingerichteter, geschmackvoll decorirter Saal. Der Bicepräsident Franz Smolka, ein Pole, hatte die Präsidentschaft erhalten. Ein guter, ziemlich junger Mann, der sich vor der ganzen übrigen Welt auszeichnet durch einen anderthalb Fuß langen rothen Schnurrbart, der ihm das Ansehn gibt, gls sei er einer jener Schwarzkünstler, welche Feuer aus der Nase zu blasen ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/146>, abgerufen am 12.12.2024.