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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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ich diese Vorschnelligkeit. Die militärischen Maßregeln sind sehr verständig und zeit¬
gemäß ; aber was soll z. B. die Anklage gegen Blum und Günther? Wenn nun,
im glücklichsten Fall, jene Herren wegen eines Preßvergehens z. B. zu achttägigen
Gefängniß verurtheilt werden, so sind sie Märtyrer, und die gute Sache hat
nichts gewonnen. Gegen die Nichtswürdigkeit der Presse helfen nur moralische
Mittel. Wenn die conservative Partei es bis dahin nicht verstanden hat, dem
Gift der radikalen Blätter entgegenzuwirken, so ist sie selber daran schuld. Ge¬
fängnißstrafe u. dergl. ist nur eine Aushilfe der Trägheit und hat keine Wirkung,
und zu Cavaignac'schen Maßregeln ist noch keine Zeit -- hoffentlich wird es bei
uns auch nicht dahin kommen. Wenn die Radikalen das Volk bearbeiten, so mö¬
gen das die Conservativen ebenfalls thun; sie haben bessere Mittel und eine bessere
Sache. Weist die Verächtlichkeit jener Angriffe nach, nicht einmal, sondern un¬
ermüdlich, und ihr werdet sie überwinden!

Eine andere Sache ist es mit der Anklage gegen Zitz, Simon und Schlöffet.
Hier wäre es ein Frevel, wenn die Versammlung anch nur einen Augenblick an ein
Nachgeben dächte. Schon in dem Antrag der Commission, zwar die Untersuchung,
aber uicht die Verhaftung gegen jene Deputirten eintreten zu lassen, liegt eine Un¬
schlüssigkeit, die in solchen Zeiten verhängnißvoll werden kann. Wo eine directe Auf¬
forderung zum gewaltsamen Widerstand gegen das Gesetz dein wirklichen Attentat
vorausgeht, ist es ebeu so wenig eine juristische als eine moralische Rechtfertigung,
wenn die Urheber des Verbrechens es für gerathen finden, nicht seine Theilnehmer
zu werden. Der abenteuerliche Vorschlag eines Theils der Linken, schon durch
ein Viertel der Stimmen den Angeklagten seiner Untersuchung zu entziehen, spricht
ebenso für die Vernunft als für den gesetzlichen Sinn dieser Partei. Nicht minder
der von dem linken Centrum lebhaft unterstützte Antrag, acht Tage lang die ehe¬
maligen Deputirten über das Gesetz zu stellen und ihnen die Freiheit strafloser
Ausübung jedes beliebigen Verbrechens zu geben.

Bei dieser Stimmung hat denn die Physiognomie unsrer Nationalversamm¬
lung in der letzten Zeit einen ganz eigenthümlichen Charakter angenommen. Seit¬
dem Gagern den Antrag der Abgeordneten Wicsner und Schmidt, die Ver-
sammlung solle nnr ohne Weiteres die Verhaftung der Angeklagten beschließen,
damit ihr reactivnärer Charakter dem Volle klar würde, mit dem ihm gebühren¬
den Ausdrucke "Frechheit" bezeichnet hat, unterläßt die Linke keinen Tag, ihrem
Herzen und ihrer Erziehung durch ähnliche Ausdrücke Luft zu machen. Jener
Ausdruck war freilich unparlamentarisch; aber diese parlamentarische Convenienz geht
von der Voraussetzung eines parlamentarischen Benehmens aus. Die Verletzung
der parlamentarischen Regel ist allein der Linken Schuld zu geben; und wenn es
andrerseits zu wünschen wäre, daß die Majorität ihrem gerechten Unwillen größere
Zügel anlegte und ihre eben so gerechte Verachtung nicht durch Ausdrücke der
Verachtung verstärkte, so muß man doch gestehen, daß alle Mäßigung ihre Grenze


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ich diese Vorschnelligkeit. Die militärischen Maßregeln sind sehr verständig und zeit¬
gemäß ; aber was soll z. B. die Anklage gegen Blum und Günther? Wenn nun,
im glücklichsten Fall, jene Herren wegen eines Preßvergehens z. B. zu achttägigen
Gefängniß verurtheilt werden, so sind sie Märtyrer, und die gute Sache hat
nichts gewonnen. Gegen die Nichtswürdigkeit der Presse helfen nur moralische
Mittel. Wenn die conservative Partei es bis dahin nicht verstanden hat, dem
Gift der radikalen Blätter entgegenzuwirken, so ist sie selber daran schuld. Ge¬
fängnißstrafe u. dergl. ist nur eine Aushilfe der Trägheit und hat keine Wirkung,
und zu Cavaignac'schen Maßregeln ist noch keine Zeit — hoffentlich wird es bei
uns auch nicht dahin kommen. Wenn die Radikalen das Volk bearbeiten, so mö¬
gen das die Conservativen ebenfalls thun; sie haben bessere Mittel und eine bessere
Sache. Weist die Verächtlichkeit jener Angriffe nach, nicht einmal, sondern un¬
ermüdlich, und ihr werdet sie überwinden!

Eine andere Sache ist es mit der Anklage gegen Zitz, Simon und Schlöffet.
Hier wäre es ein Frevel, wenn die Versammlung anch nur einen Augenblick an ein
Nachgeben dächte. Schon in dem Antrag der Commission, zwar die Untersuchung,
aber uicht die Verhaftung gegen jene Deputirten eintreten zu lassen, liegt eine Un¬
schlüssigkeit, die in solchen Zeiten verhängnißvoll werden kann. Wo eine directe Auf¬
forderung zum gewaltsamen Widerstand gegen das Gesetz dein wirklichen Attentat
vorausgeht, ist es ebeu so wenig eine juristische als eine moralische Rechtfertigung,
wenn die Urheber des Verbrechens es für gerathen finden, nicht seine Theilnehmer
zu werden. Der abenteuerliche Vorschlag eines Theils der Linken, schon durch
ein Viertel der Stimmen den Angeklagten seiner Untersuchung zu entziehen, spricht
ebenso für die Vernunft als für den gesetzlichen Sinn dieser Partei. Nicht minder
der von dem linken Centrum lebhaft unterstützte Antrag, acht Tage lang die ehe¬
maligen Deputirten über das Gesetz zu stellen und ihnen die Freiheit strafloser
Ausübung jedes beliebigen Verbrechens zu geben.

Bei dieser Stimmung hat denn die Physiognomie unsrer Nationalversamm¬
lung in der letzten Zeit einen ganz eigenthümlichen Charakter angenommen. Seit¬
dem Gagern den Antrag der Abgeordneten Wicsner und Schmidt, die Ver-
sammlung solle nnr ohne Weiteres die Verhaftung der Angeklagten beschließen,
damit ihr reactivnärer Charakter dem Volle klar würde, mit dem ihm gebühren¬
den Ausdrucke „Frechheit" bezeichnet hat, unterläßt die Linke keinen Tag, ihrem
Herzen und ihrer Erziehung durch ähnliche Ausdrücke Luft zu machen. Jener
Ausdruck war freilich unparlamentarisch; aber diese parlamentarische Convenienz geht
von der Voraussetzung eines parlamentarischen Benehmens aus. Die Verletzung
der parlamentarischen Regel ist allein der Linken Schuld zu geben; und wenn es
andrerseits zu wünschen wäre, daß die Majorität ihrem gerechten Unwillen größere
Zügel anlegte und ihre eben so gerechte Verachtung nicht durch Ausdrücke der
Verachtung verstärkte, so muß man doch gestehen, daß alle Mäßigung ihre Grenze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/107>, abgerufen am 26.06.2024.