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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Unbilligkeit, Fantasterei, und knüpft daran eine Reihe von Befürchtungen für seine
eigene Existenz.

Meine, über den Kämpfen der Partei stehende Meinung ist nun diese.

Das czechische Element usurpirt nichts, in so fern es seine Rechte im vollsten
Maße auf die czechische Bevölkerung ausgedehnt wissen will. Es emancipirt sich
nur. Und welche Nationalität thut das jetzt nicht? welche that es nicht, so bald
sie zum Bewußtsein kam? That es nicht die deutsche in Bezug auf das sie ehe¬
mals beherrschende Franzosenthum? Wenn nun die Deutschen in Böhmen an
diese Emancipation die Befürchtung knüpfen, als sei durch dieselbe die Existenz
des Deutschthums in Böhmen bedroht, so ist diese Befürchtung in Bezug auf deu
czechischcn Theil der Bewohner eine völlig gegründete, aber ungerechte, weil die
Deutschen dieselbe freie Entwicklung, die sie für sich in Anspruch nehmen, auch
für andere müssen gelten lassen; in Bezug auf den deutschen Theil der Bevöl¬
kerung jedoch eine völlig ungegründete, da der erste Paragraph der neuen
Institutionen die durchgehende Gleichstellung und Berechtigung beider Nationa¬
litäten in Schule und Staatsverwaltung zum Grundsatze macht. Die Besorg¬
nisse der Deutschen sprechen sich nun dahin aus: Wie kann das gelten, daß von
nun an jeder, der in Böhmen amtlich angestellt werden will, beider Landes¬
sprachen kundig sein muß? Wie kommen deutsche Bezirke dazu, daß ihre von nun
an anzustellenden Beamten auch böhmisch kennen sollen? Ich antworte, daß die
Kenntniß beider Landessprachen von jeher gesetzlich erfordert wurde, daß das
Studium der böhmischen Sprache für die Rechtsbeflissenen an der Prager Univer¬
sität sogar ein obligates war; daß jedoch dieses Gesetz immer umgangen und
nicht beachtet wurde! Und frage gleich wieder, wie kommt die czechische Be¬
völkerung daz", daß Jemand, der in ihren Bezirken ein Amt bekleiden will, nicht
auch ihrer Sprache mächtig zu sein brauchte? Daß man in stockböhmischen Dör¬
fern stockdeutschc Verwalter, Justiziäre ze. anstellte? daß keine Stimmerhebung
dagegen etwas fruchtete? Das brachte das deutsche Element mit; fürchtet etwa
das deutsche Element, man werde nun in stockdeutschen Dörfern stockböhmische
Beamten anstellen? Diese Furcht zerfällt in sich, da ja die Kenntniß beider
Landessprachen erfordert wird! Studirte ein Deutschböhme in Prag die Rechte,
so mußte er ja von jeher die Vorlesungen über böhmische Sprache besuchen.
Brachte er nun bisher ein Zeugniß über die verlangte Kenntniß bei, ohne sie
wirklich im mindesten erlangt zu haben, so möge er nun einige Stunden des Mo¬
nats darauf verwenden, sich wirklich das nöthigste derselben anzueignen, und
mehr verlangt man und kann man auch billigermaßcn nicht verlangen.

Eine zweite Frage stellen die Deutschen in Böhmen dahin: Welche Sprache
soll auf dem Landtage gesprochen werden? und beantworten sie gleich selbst, indem
sie unbedingt die deutsche als die Landtagssprache anerkannt wissen wollen. Liegt
hierin nicht wieder Unbilligkeit, Intoleranz, Ueberhebung? Geben sie als Grund


Unbilligkeit, Fantasterei, und knüpft daran eine Reihe von Befürchtungen für seine
eigene Existenz.

Meine, über den Kämpfen der Partei stehende Meinung ist nun diese.

Das czechische Element usurpirt nichts, in so fern es seine Rechte im vollsten
Maße auf die czechische Bevölkerung ausgedehnt wissen will. Es emancipirt sich
nur. Und welche Nationalität thut das jetzt nicht? welche that es nicht, so bald
sie zum Bewußtsein kam? That es nicht die deutsche in Bezug auf das sie ehe¬
mals beherrschende Franzosenthum? Wenn nun die Deutschen in Böhmen an
diese Emancipation die Befürchtung knüpfen, als sei durch dieselbe die Existenz
des Deutschthums in Böhmen bedroht, so ist diese Befürchtung in Bezug auf deu
czechischcn Theil der Bewohner eine völlig gegründete, aber ungerechte, weil die
Deutschen dieselbe freie Entwicklung, die sie für sich in Anspruch nehmen, auch
für andere müssen gelten lassen; in Bezug auf den deutschen Theil der Bevöl¬
kerung jedoch eine völlig ungegründete, da der erste Paragraph der neuen
Institutionen die durchgehende Gleichstellung und Berechtigung beider Nationa¬
litäten in Schule und Staatsverwaltung zum Grundsatze macht. Die Besorg¬
nisse der Deutschen sprechen sich nun dahin aus: Wie kann das gelten, daß von
nun an jeder, der in Böhmen amtlich angestellt werden will, beider Landes¬
sprachen kundig sein muß? Wie kommen deutsche Bezirke dazu, daß ihre von nun
an anzustellenden Beamten auch böhmisch kennen sollen? Ich antworte, daß die
Kenntniß beider Landessprachen von jeher gesetzlich erfordert wurde, daß das
Studium der böhmischen Sprache für die Rechtsbeflissenen an der Prager Univer¬
sität sogar ein obligates war; daß jedoch dieses Gesetz immer umgangen und
nicht beachtet wurde! Und frage gleich wieder, wie kommt die czechische Be¬
völkerung daz», daß Jemand, der in ihren Bezirken ein Amt bekleiden will, nicht
auch ihrer Sprache mächtig zu sein brauchte? Daß man in stockböhmischen Dör¬
fern stockdeutschc Verwalter, Justiziäre ze. anstellte? daß keine Stimmerhebung
dagegen etwas fruchtete? Das brachte das deutsche Element mit; fürchtet etwa
das deutsche Element, man werde nun in stockdeutschen Dörfern stockböhmische
Beamten anstellen? Diese Furcht zerfällt in sich, da ja die Kenntniß beider
Landessprachen erfordert wird! Studirte ein Deutschböhme in Prag die Rechte,
so mußte er ja von jeher die Vorlesungen über böhmische Sprache besuchen.
Brachte er nun bisher ein Zeugniß über die verlangte Kenntniß bei, ohne sie
wirklich im mindesten erlangt zu haben, so möge er nun einige Stunden des Mo¬
nats darauf verwenden, sich wirklich das nöthigste derselben anzueignen, und
mehr verlangt man und kann man auch billigermaßcn nicht verlangen.

Eine zweite Frage stellen die Deutschen in Böhmen dahin: Welche Sprache
soll auf dem Landtage gesprochen werden? und beantworten sie gleich selbst, indem
sie unbedingt die deutsche als die Landtagssprache anerkannt wissen wollen. Liegt
hierin nicht wieder Unbilligkeit, Intoleranz, Ueberhebung? Geben sie als Grund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/95>, abgerufen am 03.07.2024.