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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Es war der Abend des 8. April, ein Sonntagsabend, als in den von
wenigen Gasflammen erleuchteten Räumen des Sperlsaales auf eine heimlich er¬
theilte Parole sich etwa 300 Slawen verschiedener Nationen versammelten, um
aus Dr. Trojan'S Munde das Kabinetsschreiben anzuhören, in welchem der Kaiser
der Petition der Prager Abgesandten größtenteils willfahrte. Die Aufnahme
des Kabinetsschreibens war eine kalte. Ich theile dies Factum mit, ohne mich
in Reflexionen über dasselbe einzulassen. Nach ihm bestiegen mehrere Redner die
Tribune, an die wärmsten Danksagungen, die sie den Czechen darbrachten, zugleich
ihre Hoffnungen für die andern slavischen Stämme in Oestreich knüpfend. Man
wollte schon auseinandergehn, als ein alter gebückter Mann auf der Rednerbühne
erschien, und in polnischer Sprache an das Bahrtuch Ostrolenka erinnerte, und
an die traurigen Ufer der Weichsel, wo die Freiheit zum Märchen geworden,
wie König Trojan, der in Nebel zerrinnt. Wohl ist Ostrolenka's Ebne von edlem
Blute gedüngt, fuhr er fort, doch nicht alle sind gefallen, und jene, die eine
klugberechnende Staatsweisheit hinter Kufsteins Gitter gesperrt, leben noch, und
leben in Eurer Mitte, jubeln jetzt mit Euch, unter Euch, in diesem Saale der
langentbehrten, der ewig verloren gemeinten Heimath entgegen! Einstimmiger
Zuruf verlangte die erlösten Polen, die Gefangenen von Kufstein zu sehen. Zehn
traurige Gestalten, bleich, gebeugt, doch glühenden Anges, erschienen auf der
Tribune. Wer will deu Moment beschreiben, als der Redner einem von ihnen,
einem stämmigen Manne von mittlerer Größe, in aschgrauem Ueberrocke, einem
Manne, dessen Haar offenbar der Gram gebleicht und nicht das Alter, um den
Hals fiel und mit bebender Stimme und mit Thränen im Auge ausrief: "Za-
tiwski! o Zatiwski! so sehen Dich Deine Polen wieder? Die Kraft des Redners
brach bei diesen Worten, und die Kniee Zatiwski's umfassend stürzte er nieder
vor dem frühbleichen Greise, beugte sein Haupt bis zur Erde und rief aus: "In
Dir grüße ich Polens wiedererstandene Freiheit; in Dir bete ich an die Tausende
von Helden, die im edelsten Kampfe vor 18 Jahren ihr bestes Herzblut fruchtlos für
die heiligste Sache vergossen. Tiefe Erschütterung ergriff die kleine Versammlung
in diesem Augenblick und jedes Auge schwamm in Thränen. Zatiwsky war Oberst
in der polnischen Armee, einer der entschiedensten und geistreichsten Kämpfer der
Freiheit, und nun? -- Fünfzehnjährige Kerkerluft hat seinen Geist gebrochen und
seinen Körper zermalmt, eine tiefe, düstre Melancholie hat ihre Schatten über
seine Seele gestreckt. Es ist furchtbar!

Auf stürmisches allgemeines Verlangen stellte nun der Redner der Versamm¬
lung die andern freigelassenen Bewohner Kufsteins vor. Es. waren: Michal
Giersza (seit 1837 in Kufstein, früher in Lemberg gefangen), Leopold Biat-
kofskr (seit 1833 auf Kufstein), Ludwig Kempinski (seit 1837 auf Kufstein),
Marcelli Kropiwnicki (seit 1837 auf Kufstein), Casper Cisglevicz
(seit 1837), Stefan Mutkofski (seit 1837), Stanislaw Marinofski


Es war der Abend des 8. April, ein Sonntagsabend, als in den von
wenigen Gasflammen erleuchteten Räumen des Sperlsaales auf eine heimlich er¬
theilte Parole sich etwa 300 Slawen verschiedener Nationen versammelten, um
aus Dr. Trojan'S Munde das Kabinetsschreiben anzuhören, in welchem der Kaiser
der Petition der Prager Abgesandten größtenteils willfahrte. Die Aufnahme
des Kabinetsschreibens war eine kalte. Ich theile dies Factum mit, ohne mich
in Reflexionen über dasselbe einzulassen. Nach ihm bestiegen mehrere Redner die
Tribune, an die wärmsten Danksagungen, die sie den Czechen darbrachten, zugleich
ihre Hoffnungen für die andern slavischen Stämme in Oestreich knüpfend. Man
wollte schon auseinandergehn, als ein alter gebückter Mann auf der Rednerbühne
erschien, und in polnischer Sprache an das Bahrtuch Ostrolenka erinnerte, und
an die traurigen Ufer der Weichsel, wo die Freiheit zum Märchen geworden,
wie König Trojan, der in Nebel zerrinnt. Wohl ist Ostrolenka's Ebne von edlem
Blute gedüngt, fuhr er fort, doch nicht alle sind gefallen, und jene, die eine
klugberechnende Staatsweisheit hinter Kufsteins Gitter gesperrt, leben noch, und
leben in Eurer Mitte, jubeln jetzt mit Euch, unter Euch, in diesem Saale der
langentbehrten, der ewig verloren gemeinten Heimath entgegen! Einstimmiger
Zuruf verlangte die erlösten Polen, die Gefangenen von Kufstein zu sehen. Zehn
traurige Gestalten, bleich, gebeugt, doch glühenden Anges, erschienen auf der
Tribune. Wer will deu Moment beschreiben, als der Redner einem von ihnen,
einem stämmigen Manne von mittlerer Größe, in aschgrauem Ueberrocke, einem
Manne, dessen Haar offenbar der Gram gebleicht und nicht das Alter, um den
Hals fiel und mit bebender Stimme und mit Thränen im Auge ausrief: „Za-
tiwski! o Zatiwski! so sehen Dich Deine Polen wieder? Die Kraft des Redners
brach bei diesen Worten, und die Kniee Zatiwski's umfassend stürzte er nieder
vor dem frühbleichen Greise, beugte sein Haupt bis zur Erde und rief aus: „In
Dir grüße ich Polens wiedererstandene Freiheit; in Dir bete ich an die Tausende
von Helden, die im edelsten Kampfe vor 18 Jahren ihr bestes Herzblut fruchtlos für
die heiligste Sache vergossen. Tiefe Erschütterung ergriff die kleine Versammlung
in diesem Augenblick und jedes Auge schwamm in Thränen. Zatiwsky war Oberst
in der polnischen Armee, einer der entschiedensten und geistreichsten Kämpfer der
Freiheit, und nun? — Fünfzehnjährige Kerkerluft hat seinen Geist gebrochen und
seinen Körper zermalmt, eine tiefe, düstre Melancholie hat ihre Schatten über
seine Seele gestreckt. Es ist furchtbar!

Auf stürmisches allgemeines Verlangen stellte nun der Redner der Versamm¬
lung die andern freigelassenen Bewohner Kufsteins vor. Es. waren: Michal
Giersza (seit 1837 in Kufstein, früher in Lemberg gefangen), Leopold Biat-
kofskr (seit 1833 auf Kufstein), Ludwig Kempinski (seit 1837 auf Kufstein),
Marcelli Kropiwnicki (seit 1837 auf Kufstein), Casper Cisglevicz
(seit 1837), Stefan Mutkofski (seit 1837), Stanislaw Marinofski


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/92>, abgerufen am 01.07.2024.