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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Slavische Stimmen ans Oestreich.



i.
Die Polen von Kufstein.

Aufgesprungen sind die Riegel Jcchrzehnde lang verrammelter Kerkerthüren
und hervorgetreten aus ihnen sind die Helden des Geistes, die Helden des Wortes,
die Helden der That, die man noch vor wenigen Wochen bei uns mit dem Na¬
men "Verbrecher" brandmarkte!

Es war ein Abend, dessen Angedenken mir tiefer in die Seele gegraben bleibt,
als der Donnerhall der ersten Salve in der Herrengasse, weil er mich tiefer in
der Seele erfaßt! Die ersten Opfer, welche die ersten Kugeln in der Herren¬
gasse niederstreckten, waren Opfer, auf den Altar des Völkerheils gelegt, sie waren
der Preis, um den die Freiheit errungen werden mußte, sie waren in den Augen
des Volkes die Garantie, daß sie errungen werden würde! Die Opfer, die uns
der Abend des 8. April vorführte, waren die des starrsten, widernatürlichsten,
unmenschlichsten Systems, hingeworfen in die Arme eines schauerlichen Staats¬
gefängnisses, sie waren der Preis, mit dem ein Volk seine Fesseln bezahlte, sie
sollten in den Augen Oestreichs die Garantie sein, daß ein Volk seine Geschichte
vergessen werde! -- Nun sind es fast achtzehn Jahre, als mein seliger Vater all¬
abendlich nach Hause kam und mit Begeisterung erzählte, wie das edle, kühne Volk
der Polen sich erhebe und nun siegreich die Joche fremder Herrschaft von sich ab¬
wälze, und wie es ein einiges, großes Reich werden würde, so wie es ehedem
war. Eines Abends kam er aus dem Cafe und war still und in sich gekehrt,
und als ich ihn fragte warum, da fragte er mich, ob ich es schon so weit im
Lateinischen gebracht hätte, daß ich verstände, was das hieße: unis ?c>Ioni"e ?
Ich hatte eine Freude, daß ich es verstand, mein Vater aber blieb traurig und
in sich gekehrt und sagte: Ich glaub's nicht!

Die Polen haben es auch nicht geglaubt, und sangen: "Noch ist Polen nicht
verloren," und sangen es in den unheimlichen Klausen Kufsteins, bis nach dreizehn
Jahren die Märztage des Jahres 1848 die Schlösser von den schuhdicken eisernen
Kerkerthüren abrissen, und sie herausführten an Gottes langentbehrte Lust und
zurück in das geliebte, geliebte Polen!


Grenzboten. II. I""8. 11
Slavische Stimmen ans Oestreich.



i.
Die Polen von Kufstein.

Aufgesprungen sind die Riegel Jcchrzehnde lang verrammelter Kerkerthüren
und hervorgetreten aus ihnen sind die Helden des Geistes, die Helden des Wortes,
die Helden der That, die man noch vor wenigen Wochen bei uns mit dem Na¬
men „Verbrecher" brandmarkte!

Es war ein Abend, dessen Angedenken mir tiefer in die Seele gegraben bleibt,
als der Donnerhall der ersten Salve in der Herrengasse, weil er mich tiefer in
der Seele erfaßt! Die ersten Opfer, welche die ersten Kugeln in der Herren¬
gasse niederstreckten, waren Opfer, auf den Altar des Völkerheils gelegt, sie waren
der Preis, um den die Freiheit errungen werden mußte, sie waren in den Augen
des Volkes die Garantie, daß sie errungen werden würde! Die Opfer, die uns
der Abend des 8. April vorführte, waren die des starrsten, widernatürlichsten,
unmenschlichsten Systems, hingeworfen in die Arme eines schauerlichen Staats¬
gefängnisses, sie waren der Preis, mit dem ein Volk seine Fesseln bezahlte, sie
sollten in den Augen Oestreichs die Garantie sein, daß ein Volk seine Geschichte
vergessen werde! — Nun sind es fast achtzehn Jahre, als mein seliger Vater all¬
abendlich nach Hause kam und mit Begeisterung erzählte, wie das edle, kühne Volk
der Polen sich erhebe und nun siegreich die Joche fremder Herrschaft von sich ab¬
wälze, und wie es ein einiges, großes Reich werden würde, so wie es ehedem
war. Eines Abends kam er aus dem Cafe und war still und in sich gekehrt,
und als ich ihn fragte warum, da fragte er mich, ob ich es schon so weit im
Lateinischen gebracht hätte, daß ich verstände, was das hieße: unis ?c>Ioni»e ?
Ich hatte eine Freude, daß ich es verstand, mein Vater aber blieb traurig und
in sich gekehrt und sagte: Ich glaub's nicht!

Die Polen haben es auch nicht geglaubt, und sangen: „Noch ist Polen nicht
verloren," und sangen es in den unheimlichen Klausen Kufsteins, bis nach dreizehn
Jahren die Märztage des Jahres 1848 die Schlösser von den schuhdicken eisernen
Kerkerthüren abrissen, und sie herausführten an Gottes langentbehrte Lust und
zurück in das geliebte, geliebte Polen!


Grenzboten. II. I««8. 11
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[0091] Slavische Stimmen ans Oestreich. i. Die Polen von Kufstein. Aufgesprungen sind die Riegel Jcchrzehnde lang verrammelter Kerkerthüren und hervorgetreten aus ihnen sind die Helden des Geistes, die Helden des Wortes, die Helden der That, die man noch vor wenigen Wochen bei uns mit dem Na¬ men „Verbrecher" brandmarkte! Es war ein Abend, dessen Angedenken mir tiefer in die Seele gegraben bleibt, als der Donnerhall der ersten Salve in der Herrengasse, weil er mich tiefer in der Seele erfaßt! Die ersten Opfer, welche die ersten Kugeln in der Herren¬ gasse niederstreckten, waren Opfer, auf den Altar des Völkerheils gelegt, sie waren der Preis, um den die Freiheit errungen werden mußte, sie waren in den Augen des Volkes die Garantie, daß sie errungen werden würde! Die Opfer, die uns der Abend des 8. April vorführte, waren die des starrsten, widernatürlichsten, unmenschlichsten Systems, hingeworfen in die Arme eines schauerlichen Staats¬ gefängnisses, sie waren der Preis, mit dem ein Volk seine Fesseln bezahlte, sie sollten in den Augen Oestreichs die Garantie sein, daß ein Volk seine Geschichte vergessen werde! — Nun sind es fast achtzehn Jahre, als mein seliger Vater all¬ abendlich nach Hause kam und mit Begeisterung erzählte, wie das edle, kühne Volk der Polen sich erhebe und nun siegreich die Joche fremder Herrschaft von sich ab¬ wälze, und wie es ein einiges, großes Reich werden würde, so wie es ehedem war. Eines Abends kam er aus dem Cafe und war still und in sich gekehrt, und als ich ihn fragte warum, da fragte er mich, ob ich es schon so weit im Lateinischen gebracht hätte, daß ich verstände, was das hieße: unis ?c>Ioni»e ? Ich hatte eine Freude, daß ich es verstand, mein Vater aber blieb traurig und in sich gekehrt und sagte: Ich glaub's nicht! Die Polen haben es auch nicht geglaubt, und sangen: „Noch ist Polen nicht verloren," und sangen es in den unheimlichen Klausen Kufsteins, bis nach dreizehn Jahren die Märztage des Jahres 1848 die Schlösser von den schuhdicken eisernen Kerkerthüren abrissen, und sie herausführten an Gottes langentbehrte Lust und zurück in das geliebte, geliebte Polen! Grenzboten. II. I««8. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/91>, abgerufen am 03.07.2024.